Nachdenken über Liebe

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von Marie Mehrfeld

Im Lexikon der Rechtschreibung findet man das oft missbrauchte Wort Liebe eingesperrt zwischen Lidrand und Liebermann. Es stammt aus dem Althochdeutschen, Liubi heißt Gunst oder Freundlichkeit.
Die antike griechische Literatur und Philosophie unterscheidet drei Arten von Liebe. Eros ist die begehrende, triebgesteuerte Liebe, die Befriedigung sucht. Philia ist die freundschaftliche, die auf Teilen und Mitteilen, auf gemeinsame Freude ausgerichtet ist und Agape die altruistische, aufopferungsbereite, mitfühlende Liebe. Diese drei Spielarten des Begriffes stecken in der deutschen Sprache alle in dem einen Wort - Liebe. Sie ist viel mehr als nur eine erfolgreiche Strategie für die Ausbreitung der Spezies Homo Sapiens auf dem Planeten Erde. Sie ist das Lebenselixier der Menschen schlechthin, die große Sehnsucht des Individuums nach Einheit. Liebe ist in dir und mir, sie ist der Weg und das Ziel zugleich. Und ich bin ein Teil von ihr, so wie du es auch bist. Denn alles, was lebt, ist aus Liebe entstanden. Wer sie verschenkt, bekommt sie mehrfach zurück. Wer sich nicht traut, zu lieben, gerät oft in die Fangarme der Angst. Wer seine Liebe verliert, stürzt tief in die Trauer, verliert die Freude am Leben.
Wir lieben unsere Kinder, Eltern, Großeltern, Freundinnen und Freunde, wir lieben auch Tiere, Pflanzen und die Natur, wir lieben Kunst und Musik, wir lieben Worte, die ihre Entstehung der Liebe verdanken. Liebe wird durch warme Farben, mit herzlichen Worten, harmonischen Klängen zum Ausdruck gebracht. Wir spüren Liebe beim Singen, beim Musizieren, Betrachten unseres Lieblingsbildes, beim Nachsinnen über das Land, in den wir leben. Der Schreiner spürt Freude und Liebe, wenn er seinem Tisch den letzten Schliff gibt. Ich spüre die Liebe in deiner Stimme bei unseren spätabendlichen Telefonaten. Mit Liebe habe ich Kinder eine Zeit lang durch ihr Leben begleitet, sie haben mich mit ihrer Zuneigung, ihrem Vertrauen dafür belohnt. Das hat meine Liebe zum Leben gestärkt. Liebe löst Freude und Dank aus. Wo Liebe das Sagen hat, werden Konflikte und Kriege vermieden. Sie ist stärker als alle negativen Gefühle wie Furcht, Enttäuschung, Neid, Hass und Misstrauen. Wer lieben kann und geliebt wird, ist ein glücklicher Mensch. Das Gefühl der Liebe verbindet alle Menschen der Welt miteinander. Zutiefst geborgen fühlt sich, wer sie empfinden und weiter geben kann. Sie ist das Wesen der Schöpfung, ist das Göttliche in uns. Wir alle sind seit dem ersten Atemzug auf der Suche nach der Liebe und damit nach dem Sinn und der Erfüllung unseres Seins. Omnia vincit Amor, alles besiegt die Liebe, schrieb der römische Dichter Vergil schon vor mehr als zweitausend Jahren.
Die poetischsten Umschreibungen des Begriffs Liebe findet man im Hohelied der Liebe im 1. Korintherbrief Kapitel 13: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Die Liebe ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach, freut sich nicht über das Unrecht, freut sich an der Wahrheit, sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“

Das Phänomen Liebe lässt sich nicht umfassend beschreiben, dazu es ist zu mächtig, es sprengt das Fassungsvermögen unserer Köpfe. Mir war aber danach, auszusprechen, aufzuschreiben, was mir spontan und ganz persönlich dazu einfällt, grade in der Pandemiezeit, wo die Liebe das Gegengewicht sein kann zu Angst, Zweifel, Verunsicherung, denn sie steht für Aufbruch, Hoffnung, Freude – für Zukunft und für neues Leben.

(Aufgeschrieben im April 2017, überarbeitet im Mai 2020)

Sandro Botticelli, auch Alessandro di Mariano Filipepi oder Sandro di Mariano di Vanni Filipepi, gen. Botticelli, wurde am 1. März 1445 in Florenz geboren und dort auch am 17. Mai 1510 begraben. Er war ein italienischer Maler und Zeichner der frühen Renaissance. Der Ausschnitt des eingefügten kreisrunden Botticelli-Madonnenbildes zeigt die Liebe zwischen Mutter und Kind auf besonders eindringliche Weise.

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