Gefährlicher Sommer (Teil 10)

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von Annelie Kelch

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– So müssen Sommerferien sein! Über den Bergen
ein enzianblauer Himmel, wochenlang ein strahlend
heißer Tag am andern, nur je und je ein heftiges, kurzes
Gewitter. Der Fluß, obwohl er seinen Weg durch so
viele Sandsteinfelsen und Tannenschatten und enge Täler
hat, war erwärmt, dass man noch spät am Abend baden konnte.
(Hermann Hesse, „Unterm Rad")

Eine alte Rechnung und zwei Schnulzen im Wald

„Wir sind da! Endlich!“, jubelte Kora, bremste mit quietschenden Reifen und sprang vom Rad.
Das also ist das Erho­lungsgewässer der Clique, dachte ich, nachdem ich mir einen Überblick verschafft hatte.
Ich hatte es viel schöner in Erinnerung, liebe Christine. Wenn ich mich nicht irre, haben wir vorletztes Jahr mit Knut und Tante Agnes in diesem Nixenteich herumge­plantscht.
Groß ist er ja nicht, höchstens einen Kilo­meter im Quadrat. Vor den recht steilen Ab­bruchkanten liegen wasserumflutete Kieshügel und der extrem flache Uferstreifen ist mit griesgrauem Sand be­deckt, nicht eben das ideale Badeparadies. Aus der Mitte des Sees ragt eine Kiesinsel empor, worauf lediglich ein paar verdorrte bräunliche Grashalme wachsen, eigentlich nicht erwähnenswert und ziemlich öde, und mir war sofort klar, dass ich mir nicht die Mühe machen würde, dort­hin zu schwimmen. Das Wasser hingegen scheint noch einiger­maßen sauber zu sein.
Auf der flachen Uferzone treiben sich neben Rohrkolben und Schachtel­halm ein paar Binsen und Disteln herum, darin ein Heer von Fröschen quakt und zahllose Insekten sirren, erpicht darauf, uns zu piesacken. Der Badesee wird von hohen Birken umsäumt, deren Stämme und Äste zur Krone hin heller werden. Es sieht beinah so aus, als hockten skurrile Gespenster und weißgeschrubbte Skelette im Laub, die irgendein Künstler dort hineinge­setzt hat. Ein zwar verwittertes, jedoch unübersehbares Schild warnt mit einem Schriftzug von anno dazumal: „Achtung! Baden auf eigene Gefahr!“

Ich sah mich mit gemischten Gefühlen um. Die Warnung schien an den „Badegästen“ ab­zuperlen wie das Wasser. Selbst Konny hatte an diesem offenbar lebensgefährlichen Teich nicht das Geringste auszu­setzen.
Wir breiteten die Decken, die wir mitge­schleppt hatten, auf dem groben Kiessand aus und ent­kleideten uns bis auf das Badezeug. Es war sehr heiß, und der Teich war gut besucht. Ein paar Mäd­chen und Jungs in unserem Alter saßen auf einem stark verwitterten, mit Grünalgen bewachse­nen Steg aus breiten Holzbohlen, der fast bis in die Mitte des Weihers ragte. Sie plätscherten mit den Füßen im Wasser umher. Am Ufer gegenüber dümpelte ein flacher Fischerkahn, darin drei Kinder spielten, im seichten Wellengang auf und ab. Er war mit einem dicken Seil an einem grünbe­spanten Pflock festgezurrt.
Und dann das verwitterte Bootshaus, haar­genau an jener Stelle gelegen, wo der Steg ins Wasser führt. Es hängt dermaßen wind­schief im schütteren Schilf, als wolle es sich vor den Badegästen verneigen, um sich im nächsten Moment vor lauter Ehrfurcht ins Wasser zu stürzen.
Ich war mehr als froh darüber, dass ich mir vor den Sommerferien einen neuen Badeanzug kaufen durfte, denn Kora trug einen be­sonders schönen in hellgrü­ner Farbe, mit orangem Volant über der Taille und gleichfarbigen, glänzenden Tupfern, sehr modern und deshalb eigentlich nicht mein Fall; aber er stand ihr wirklich hervorragend. Meiner war zwar schlicht, aber nagelneu und so blau wie der herrliche Sommerhimmel über uns.
„Wer braucht noch Sonnenöl?“, erkundigte sich Hannes (scheinheilig, wie sich herausstellen sollte) und begann, seinen Körper einzureiben. Ich löste behutsam den Schnürsenkel meines Turnschuhs, zog die Rechnung hervor und deponierte sie in einem Seitenfach meiner Badetasche.
„Na, Katja, hast du deine Haarspange endlich wiedergefunden?“, fragte Konny.
„Nööö...“, sagte ich.
„Ich weiß, wo sie steckt.“
„Tatsächlich, Konny?!“ – Ich sah ihn erstaunt an.
„Sie hält deinen Pferdeschwanz zusammen.“
„Himmel aber auch, dass ich daran nicht gedacht habe“, wunderte ich mich und griff in mein Haar.
„Es wird jene Spange sein, die das Haar nur ganz locker zusammenhält, Konny. Deshalb glaubte ich, sie verloren zu haben.“
Konny gab sich mit meiner Antwort zufrieden, zumindest stellte er keine Fragen mehr. Ich atmete erleichtert auf.

„Katja, würdest du bitte meinen Rücken einreiben?“, erkundigte sich Hannes mit sanfter Stimme. „Ich bekomme immer so leicht einen Sonnenbrand.“
„Aus­nahmsweise“, sagte ich.
Er war wirklich sehr dünn. Man hätte die Rippen zählen können, aber ich hatte noch nicht mal Lust auf Grundrechnungsarten. Alles, was nur annähernd an Mathe erinnerte, war in den Ferien für mich tabu.

„Deine Haut ist trocken wie gegerbtes Leder. Ob das gesund ist? Hattest du dieses Jahr schon einen starken Sonnenbrand, Hannes?“, fragte ich.
„Ja, stell dir vor, Katja, und jetzt bist du dran“, grinste er, klatschte eine Ladung Sonnenöl auf meinen linken Ober­schenkel und wollte es verteilen.
Ich schob seine Hand weg und sag­te: „Stell dir vor, Hannes, das kann ich schon ganz alleine.“
Konny lachte schaden­froh.
Hannes ließ sich auf seine Decke fallen und maulte herum. Ich wartete sehn­süchtig darauf, dass die Clique endlich ins Wasser verschwand, damit ich mir die Rechnung vornehmen konnte. Aber Hannes, Konny und Kora blieben stur neben mir liegen, als warteten sie auf die Einla­dung einer der Ameisen­königinnen, die zuhauf im spröden Gras umherkrabbelten.
Endlich, nach etwa zehn Minuten, die mir vorka­men, als schleiche eine Algebrastunde durch mein geplagtes Gemüt, raffte sich Kora auf: „Ich brauche jetzt dringend eine Abkühlung. Wer kommt mit?“
„Wir“, riefen Hannes und Konny, die sofort aufsprangen, als hätten sie die ganze Zeit auf diese Frage gelauert.
„Und du, Katja? Willst du nicht mit ins Wasser?“, erkundigte sich Hannes, nachdem er festgestellt hatte, dass mich Koras Appell nicht aus der Ruhe gebracht hatte.
„Nachher vielleicht“, sagte ich mit gleichgültiger Miene. „Ich möchte erst noch ein wenig in dem Buch lesen, das ich mir aus Opas Regal gefischt habe.“
Ich we­delte mit den „Heiden von Kum­merow“ vor seiner Nase umher.

„Katja!?“ – Hannes seufzte tief und verständnislos und lief kopf­schüttelnd hinter Kora und Konny her. Als die Clique außer Sichtweite war, öffnete ich mit zitternden Händen den Reißverschluss meiner Badetasche und an­gelte den mysteriösen Zettel heraus. Ich holte tief Luft, bevor ich zu lesen begann.
„Zur Alten Farm“, stand in großen schwar­zen Lettern auf dem oberen Teil der Rechnung. Weiter unten hatte der Kellner oder die Kellnerin mit eiliger Hand­schrift „1 x Schnitzel, zwei Bier, 8,20“, notiert. Sonst nichts. Von einem Datum keine Spur. Ich suchte mehrmals den Zettel danach ab, als hätte ich Tomaten auf den Augen. Lediglich

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