Gefährlicher Sommer (Teil 21; Text 1)

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von Annelie Kelch

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Am Waldrand, wo schackernd die Elstern schrien,
stand halb in der Erde ein Mann und schlug
mit Axt und Keil aus Stubben den Kien.
Wann war dieser Sommer? Ich weiß es nicht mehr.
Doch fahren sie Grummet, der Sommer weht her
vom Heuweg der Kindheit, wo ich einst saß,
das Schicksal erwartend im hohen Gras,
den alten Zigeuner, um mit ihm zu ziehn.
(Peter Huchel, Caputher Heuweg)

Spargel, Pflaumenkuchen und Sonnenschirme für die Hühner (Teil 21; Text 1)

„Die Wettervorhersagen im Radio und im Fernsehen werden von Jahr zu Jahr zuverlässiger, nicht wahr, meine Lieben?“, stellte Opa am nächsten Morgen beim Frühstück fest, und obgleich er diese Bemerkung als Frage formulierte, war uns allen klar, dass er keine Antwort erwartete und schon gar keine, die gegenteiliger Meinung war.
„Und falls eintreffen sollte, was gestern prophezeit wurde, steigt unser Lauben-Thermome­ter im Laufe des Vormittags auf etwa dreißig Grad“, stöhnte ich leise.
„Etwa im Schatten?“, fragte Mutti über­flüssigerweise; denn in der Laube war es aufgrund des dichten Efeus, der die Backsteinwände überwucherte, und den zahlreichen Fichten, die, nicht weit entfernt, neben dem Herrenhaus wuchsen und ihre trotz hohen Alters üppigen Kronen gen Himmel reck­ten, fast immer schattig.
„Selbstverständlich nur im Schatten, Martha“, erwiderte Opa mit Nachdruck und einem kaum vernehmbaren Seufzer. „In der Sonne wird es gewiss noch beträchtlich heißer werden.“
„Man kann sich heutzu­tage sogar schon mit siebzigprozentiger Sicherheit auf die Wettervorhersagen verlassen, Opa“, warf ich ein. „Das haben wir kürzlich im Geounterricht durchgenommen.“
Mutti warf mir einen verwunderten Blick zu.
„Ach, und ich habe immer geglaubt, dass dich Erdkunde nicht sonderlich interessiert, um mal ganz vorsichtig auf deine Zeugniszensuren hinzuweisen.“
„Wieso? In Geo­graphie habe ich dieses Jahr eine glatte Zwei“, verteidigte ich mich voller Em­pörung.
„Bitte, Katja, nicht in diesem Ton“, glaubte Mutti mich zurechtweisen zu müssen.
„Außerdem heißt das Fach jetzt ,Geo­graphie'. ,Erdkunde' nannte man es vielleicht zu deiner Zeit, also anno dazu­mal“, ergänzte ich im leicht spöttischen Ton.
Mutti schnappte nach Luft, aber bevor sie sich rächen konnte, sagte Opa: „Also, Martha, ich verstehe dich wirklich nicht. Eine ,Zwei' ist doch eine recht gute Note. Damit kann man doch durchaus zufrieden sein.“ Oma nickte zustimmend.
Ich warf den beiden dankbare Blicke zu, leerte die Silberhochzeitstasse mit dem Rot­wein-Zuckerei in einem Zug und verließ die Küche. Dass ausgerechnet Mutti an meinen Zensuren herummäkelte, schlug doch wahrhaftig dem Fass den Boden aus. In den Fächern ,Mathematik', ,Physik' und ,Erdkunde'(!) hatte sie sich nämlich in jedem(!) Schuljahr als komplette Versagerin erwiesen. Dazu brauchte man sich noch nicht einmal ihre Zeugnisse anzusehen, sondern ledig­lich gut zuzuhören, wenn es unvermeidbar war, dass sie sich zu verwandten Themen in irgendeiner Weise äußern musste oder auch nur die Heizkosten­rechnung interpretieren sollte, was ihr bisher jedenfalls nicht gelungen war, ohne dass Papa vor Heiterkeit die Tränen gekommen wären.
Wenn sie frustiert ist, weil der Gutshof ihr zu wenig Abwechslung bietet, dann hätte sie auch zu Hause bleiben können, liebe Christine.
Schließlich wäre ich auch ohne sie wohlbehal­ten in Lübeck angekommen, dachte ich wütend, während ich aus der Veranda in den Hof trat. Immerhin bin ich bald sechzehn und kein kleines Kind mehr.
Auf dem Hof entdeckte ich Leni, die festen Schrittes, bewaffnet mit vier Eierkörben und geradezu grimmiger Entschlossenheit, dem Hühnergehege zustrebte. Ich sputete mich, um sie einzuholen, begrüsste sie mit einem Kuss auf die Wange und nahm ihr zwei der von Heiner fachmännisch geflochtenen Weidekörbe ab. Leni musterte mich skep­tisch von oben bis unten. Ihr Blick blieb an meinen weißen Riemchen-Sanda­len hängen; sie zog eine unmissverständliche Grimasse. Ich machte kehrt und jagte zurück zum Herrenhaus, um in der Waschküche das leichte Schuh­werk gegen ihre alten Gummikruken einzutauschen.
Die süßen, intensiven Duftschwaden der hohen Fliederbüsche, die vor den drei großen Scheunen und vor den Pfer­deställen ihre weiße und violette Pracht entfalteten, kribbelten in meiner Nase und erfüllten die mittlerweile recht heiße Luft an diesem herrlichen Sommermorgen derart nachdrücklich, dass mir fast ein wenig schwindelig wurde. Gleichzeitig jedoch beflügelte mich der betäubende Geruch zu neuen Taten auf Lachau, und ich ver­gaß den unerfreulichen Wortwechsel mit Mutti. Ich bedauerte die Bienen und stellte mir vor, wie sie zwischen den Holunderblüten hin und her torkelten, als hätten sie statt Nektar Bier gesüffelt.
Das Hühnerhaus hatte glücklicherwei­se noch nicht allzu viel von seiner vorbildlichen Reinlichkeit einge­büßt, und das Einsammeln der Eier brachte diesmal richtig Spaß. Es war den Lachauer Hennen deutlich anzumerken, dass sie sich in ihrem blitzblanken Stall pudel­wohl fühlten. Durch die sauberen Fensterscheiben strahlte die Sonne, die Streu roch immer noch nach frischen Sägespänen, und aus den Nestern stieg der Duft von frischem Heu empor. Leni streckte ihre Nase zur Decke und schnupperte begeistert durch die Gegend.
„Katja“, sagte sie, „ich habe vorhin an die Stalltür ge­klopft und die Hennen höflich gefragt, ob es gestattet sei, dass ich mich ihrer Legepro­dukte bemächtige. Du wirst es nicht glauben, aber keine der GBL-Damen (Gluck-, Brüt- und Lege-Damen) hat dagegen Protest angemeldet.“
„Kein Wunder, Leni“, lachte ich. „Wenn du dermaßen gestelzt daherredest, ver­steht dich nämlich keine Sau.“
Leni sah mich einen Moment lang sprachlos an, als hätte ich etwas furchtbar Unanständiges von mir gegeben und nicht die reine Wahrheit, liebe Christine. Wenig später jedoch verzog sich ihr Gesicht, ihre Mund­winkel kippten nach oben, und ich ahnte bereits die Lachtränen, die in den nächsten Sekunden über ihre zerfurchten Wangen kullern würden, denn ihre wasserblauen Augen begannen verdächtig zu funkeln. Plötzlich jedoch, als sei ihr das Lachen unvermittelt im Halse steckengeblieben, breitete sich schieres Entsetzen über ihr Gesicht.
„El...El...Elvira“, stammelte Leni und deutete auf eine fette Henne mit prächtigem, glatten Gefieder, die vor Ge­sundheit zu strotzen schien.
„Ja, siehst du das denn nicht, Katja?“, fragte sie aufgeregt, als ich nicht sofort reagierte.
„Was denn? Was soll ich sehen, Leni? Die Henne ist doch völlig okay.“
Meine Ahnungslosigkeit war wirklich nicht gespielt, liebe Christine. Ich konnte an dieser prachtvollen Henne nicht den winzigsten Makel entdecken; denn außer, dass sich Elvira mit ihrem schwarz-weißen Gefieder von den durchweg braun-schattierten und uni-weißen GBL-Damen unterschied, fiel mir nichts Außergewöhnliches an ihr auf.
„Sie hat Eigelb am Schnabel und am Halsbe­hang“, flüsterte Leni dermaßen aufgeregt, als wäre ein Ufo auf dem Hof gelan­det oder als würde

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