Gefährlicher Sommer (Teil 21; Text 1) - Page 2

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von Annelie Kelch

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uns jemand im Stall belauschen und der Gnädig­sten über unsere Hühnerschuppen-Gespräche umgehend Meldung erstatten.
„Ja und, Leni? Weshalb soll das so schlimm sein?“, fragte ich verwundert.
„Das bedeutet, dass sie Eier gefressen hat, Katja. Wir müssen sie auf der Stelle schlachten, sonst verführt sie auch noch die anderen Hennen zum Eierfressen.“
Leni zog ein Gesicht, als hätte sich die Pest im Gehege ausgebreitet. Ich musste mich zu der guten Elvira hinunterbeugen, um im Dämmerlicht zu entdecken, was Lenis Argusaugen offenbar nicht entgangen war. Elviras Schnabel kam bei dieser Aktion meiner Nase gefährlich in die Quere, und dann entdeckte auch ich einen winzigen, längst getrock­neten Dotterfleck an ihrer Schnabelspitze.
An jenem Körperteil, den Leni als Halsbehang bezeichnet hatte, ovale rote Lappen, die den Eindruck erweckten, als habe ihr jemand Blütenblätter aus Kautschuk ans Kinn geheftet, prangte ebenfalls ein klitzekleiner Klecks aus Eidotter. Leni war den Tränen nahe.
„Sie haben hier doch alles, was sie brauchen“, jammerte sie, „reichlich Futter, immer frisches Trinkwasser, ein schönes Haus, massenhaft Staub zum Baden, genügend Auslauf, Gras, Brennnesseln und Löwenzahn, Obst und Gemüse. Es will mir einfach nicht in den Kopf, dass sich eine derart grobe Untugend in unserem Hühnerstall eingeschlichen hat. Dann noch lieber ein Steinmarder, der Eier stiehlt. Da weiß man wenigstens, woran man ist.“
Leni hörte sich an, als plauderte sie über ein Mädchenpensionat. Ich tippte auf Wechseljahre oder Torschlusspanik.
Weshalb sollten nicht auch Hennen mittleren Alters den Sinn ihres Lebens hinterfragen, an­statt wie blind und taub bis zum Ende aller Tage, ihrem Schlachttag nämlich, hinter eitlen Gockeln wie dem Goldenen Brakel herzustelzen, dachte ich. Gerade wollte ich Leni meine Gedanken mitteilen, als sich die Stimme des Gutsverwalters hinter uns zu Wort meldete.
„Schatten“, warf uns Kröger vor die Füße, „und das mit dem Steinmarder, will ich nicht gehört haben, Lene.“
Ich spürte fast am eigenen Leib, wie es in Lenis Hirn zu arbeiten begann. Ihr Unterkiefer zitterte bereits erheblich.
„Du meinst also, Axel, ...“, begann sie zögernd.
„Genau, Lene!“, fiel Kröger ihr ins Wort. Offenbar konnte der ,Herr Gutsinspektor' Gedanken lesen.
„Die Sonneneinwirkung ist in diesem Sommer viel zu intensiv, jedenfalls für unsere Hühner, denn sie dringt bis in die Ställe hinein. Es ist ein Wunder, dass die armen Tiere noch keinen Hitzekoller erlitten haben. Im Auslauf wachsen einfach nicht genügend Bäume und Sträucher, Hibiscussträucher, zum Beispiel. Kein Wunder, dass unsere ,eßbaren Eierleger' auf dumme Gedanken kommen. Es wird vorerst das Beste sein, wenn wir alle Sonnenschirme, die sich auf Hof Lachau auftreiben lassen, ins Gehege stellen.“
„Meine Großeltern haben auf dem Dachboden auch noch ein altes Exemplar aufbewahrt – aus der Zeit, als es die Laube noch nicht gab“, erinnerte ich mich.
„Ach, damit die Viecher auch noch unsere schönen Sonnenschirme vollkacken“, protestierte Leni schwach.
„Unsinn!“, konterte Kröger. „Außerdem sind die Schirmständer aus Plastik und somit abwaschbar. Oder sollen wir den Stall umbauen lassen und Abrollnester konstruieren?“
„Was für Nester?“, fragte Leni entgeistert und klammerte ihre blau geäderten Hände, die schon erhebliche Lasten über den Hof geschleppt hatten, um einen Balken, auf dem eine kleine weiße Henne saß und sorglos vor sich hindöste.
„Nester, in denen die Eier sofort nach dem Legen abrollen und für die Hennen nicht mehr erreicht sind“, klärte Kröger sie auf.
„Viel zu teuer“, sagte Leni.
„Dann muss zum Ausgleich eben ein Stück Wald verkauft werden. Es wird ja ohnehin kaum Nutzen aus diesem riesigen Forstgebiet gezogen. Weiß der Himmel, warum das so ist und Karla sich jedesmal stur stellt, wenn dieses Thema angesprochen wird.“
„Weiß der Teufel, weshalb ,seine Karla' diesen verhexten Wald so sehr liebt“, dachte ich.
„Dazu wäre die Gnädigste niemals bereit. Das ist ihr wunder Punkt. Mittlerweile müsste sich dieses Faktum auch bis zu dir herumgesprochen haben, Axel. Ach, was ist das alles ...“, wollte Leni das Gespräch beenden, aber Kröger fiel ihr ins Wort und ergänzte lächelnd: „... längst nicht so schlimm wie Seuche oder Frost im Mai, liebe Lene. Außerdem füttern wir ab sofort zusätzlich Salz und Vitamine. Diese Gaben wirken auch gegen Kannibalismus.“
„Du musst es ja wissen, Axel“, grinste Leni.
***
„Wo steckt eigentlich dieser Helge schon wieder?“
Hannes stand plötzlich in der Veranda, wohin ich mich wegen der bereits unerträglichen Hitze zurückgezogen hatte, nachdem wir die Hühner mit sämt­lichen auf Lachau auffindbaren Sonnenschirmen ausgestattet hatten. Das Hühnergehege sah von Weitem wie ein Campingplatz aus und leuchtete farben­froh in alle Himmelsrichtungen.
Onkel Ludwig und Tante Sarah, die für heute Mittag ihren Besuch bei Oma und Opa angekündigt hatten, würden bei diesem Anblick Bauklötze staunen. Hoffentlich fährt Onkel Ludwig nicht vor lauter Schreck gegen einen der Kastanienbäume, dach­te ich besorgt.
„Nicht so laut, Hannes“, wies ich ihn zurecht. „Die Gnädigste hält sich nebenan im Herrenzimmer auf und bügelt.
„Ist mir doch sowas von schnuppe“, schnaubte Hannes wütend.
„Mehr als fünfzehn Kälber sind von der Weidekoppel getürmt und trampeln jetzt frisch und fröhlich im Hafer umher. Mein Vater, Heiner und ich haben alle Hände voll zu tun, um sie wieder einzufangen.“
„Versucht es doch mal mit Lassos“, grinste ich.
„Katja?!“ Hannes hob seine rechte Hand, als wollte er mir eine Ohrfeige verpassen.
Ich zog amü­siert meine Augenbrauen hoch.
„Meinst du etwa den herzensguten und fleißigen Helge Brandner?“, fragte ich dann. Hannes warf mir einen Blick zu , als spräche er mir auf der Stelle den letzten Rest Zurechnungsfähigkeit ab, den er mir gerade noch zubilligte.
„Genau! Dieses dämliche Scheusal meine ich!“, zischte er und beugte sich währenddessen zu mir hinunter. Ich wischte mir lässig die Spucke aus dem Gesicht und deutete auf das Hühnergehege.
„Vielleicht solltest du dir auch einen Schirm zulegen, wenn möglich, einen Regenschirm. Der gute Helge weilt übrigens in Kiel. Er habe wichtige Vorlesungen, die er unter gar keinen Umständen versäu­men dürfe – sagt die Gnädigste. Habe ich dich nicht längst darüber aufgeklärt, Hannes?“
„Mir fehlt jetzt wirklich die Zeit, um mit dir darüber zu diskutieren, Katja“, tat Hannes sich wichtig. „Und überhaupt, der und studieren! Dass ich nicht lache! Finde dich bitte um drei Uhr in der Laube ein. Aber bitte nur dann, wenn sie auch tatsächlich leer ist. Besetzt ist sie übrigens auch, wenn

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