Gefährlicher Sommer (Teil 21; Text 1) - Page 3

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von Annelie Kelch

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dein Opa darin döst. Anderenfalls treffen wir uns vor dem Eingang zum Lachauer Forst. Ich habe etwas sehr Wichtiges mit dir zu besprechen.“
Hannes drehte sich um und verschwand. Die Bemerkung über Opas Döserei ging entschieden zu weit, fand ich. Das würde ich ihm heimzahlen. Was hatte Opa Edmund mit der ganzen Sache zu tun? Hannes wird immer unverschämter, Christine. Es stimmt im Übrigen: „Der Apfel fällt nicht wirklich nicht weit vom Pferd".
Fehlt nur noch, dass er gesagt hätte: Ver­standen, Katja Kleve?, murmelte ich vor mich hin.
„Seit wann führt deine Tochter Selbstgespräche?“, wandte sich Leni an Mutti. Ich hatte die beiden längst durch die offene Verandatür von der Küche in das Herren­zimmer spazieren hören. Meine Ohren waren nämlich noch gespitzt, weil mir vorher die Gnade zuteil wurde, dem Gesang der Gnädigsten zu lauschen (Forellenquintett von Schubert: In einem Bächlein helle ...). Offenbar hatte Frau Brandner vor wenigen Minuten ihre Bügelarbeit beendet. Wie man bei dieser glühenden Hitze auch noch ein heißes Plätteisen schwenken konnte, war mir ohnehin ein Rätsel.
„Sie wird eben alt, Leni“, sagte Mutti und lächelte süffisant zu mir herüber.
„Wenn ihr keine anderen Sorgen habt, als euch über mich und mein Alter Gedanken zu machen, dann bin ich wirklich beruhigt“, konterte ich, verließ die Veranda und ging auf den Hof hinaus. Ich hatte nämlich die nervtötenden Geräusche von Onkel Ludwigs grauem, knatternden Loyd, Marke Auslaufmodell, vernommen und die witzige Karre in die Kastanienallee biegen sehen. Das Vehikel mühte sich die kleine Anhöhe hinauf und in den brutwarmen Bauch des Hofes hinein, und es hätte mich nicht gewundert, wenn der Blechkasten währenddessen explodiert wäre. Luchs hob bei diesem ohrenbetäubenden Lärm seinen schlanken Kopf, der träge auf den Vorderpfo­ten geruht hatte, und sprang aufgeregt hin und her.
Es ist allgemein bekannt, dass er Gäste, die sich dem Herrenhaus nähern, ausgesprochen freundlich zu begrüßen pflegt; in seiner Haltung und in seinem Blick jedoch liegen stets höchste Wachsamkeit. Autofahrer nehme er besonders scharf ins Visier, hatte Knut mir letztes Jahr noch anvertraut, liebe Christine; aber derart von der Rolle hatte ich dieses ausgesprochen ruhige Tier noch nie erlebt. Vermutlich überhäufen Tante Sarah und Onkel Ludwig ihn jedes Mal mit Leckerbissen, wenn sie Oma und Opa besuchen. Das sähe ihnen jedenfalls ähnlich, dachte ich.
***
Elegant, leichtfüßig und erstaunlicherweise unverletzt, stiegen beide aus dem baufälligen Vehikel, und ich fragte mich, wie lange es noch dauern würde, bis sich die Türen endgültig von den Scharnieren verabschiedeten. Ohne sich auch nur im Geringsten um Mutti, Leni oder mich zu küm­mern, tätschelten sie mit bemerkenswerter Ausdauer dem treuen alten Luchs das Fell, der vor Freude die verrücktesten Sachen auffführte und sich über­haupt nicht mehr beruhigen wollte. Der sonst eher phlegmatische Hund war kaum noch wiederzuerkennen. Er machte auf mich den Eindruck, als sei er geradewegs aus einem Jungbrunnen gehechtet. Ein Jungbrunnen, das wäre bei dieser Hitze das Richtige für Opa, kam mir in den Sinn.
„Es reicht! Uns gibt es auch noch!“, tönte mit einem Mal Lenis empörte Stimme über den Hof, und Tante Sarah kam sogleich freudestrahlend auf uns zu, während Onkel Ludwig immer noch dabei war, dem alt gedienten Gutswächter diverse Hunde­kuchen in den weit geöffneten Rachen zu schieben.
„Na, ihr vier Grazien!“, lachte er uns entgegen, nachdem er sich endlich aufgerichtet und Luchs in Ruhe gelassen hatte. „Nu hört moln beeten tau!“ Und dann redete er und redete und redete – mit wachsender Begeisterung, wie mir schien, und zwar in jener niederdeutschen Mundart, die mich schon im Deutschunterricht nicht gerade vom Hocker gerissen hatte. Ich verstand weniger als die Hälfte von seinen plattdeutschen Anekdoten. Und das schien bei Weitem nicht genug zu sein, denn ich konnte am Ende nicht einmal lachen, obwohl Onkel Ludwig in sämtlichen Dörfern im Umkreis von mindestens fünf­zig Kilometern für seinen geistreichen Witz bekannt ist, liebe Christine.
Mutter Kleve guckte gleichermaßen entgeistert wie hilflos aus der Wäsche, genauer gesagt, aus ihrem eleganten roten Cocktailkleid, das wieder mal total fehl an diesem Platz war, und ich konnte eine in mir aufsteigende Mitleids­welle nur mit äußerster Not im Keime ersticken. Umso mehr freute ich mich, dass wenigstens Leni und Tante Sarah herzhaft lachen konnten, als Onkel „Hör moln beeten tau“ seine Story beendet hatte. (Hast du eigentlich gewusst, dass Leni Plattdeutsch versteht, liebe Christine?)
„Wo ist eigentlich Edmund, der alte Knabe?“, fragte Onkel Ludwig dann im feinsten Hochdeutsch und ließ seine Blicke suchend über den Hof schweifen.
„Was ist denn das? Betreibt ihr neuerdings einen Campingplatz?“, fragte er entgeistert und deutete auf die Sonnenschirme, die in allen Farben zu uns herüberleuchteten.
„Nein“, erklärte Leni ernst, „diese prachtvollen Exemplare dienen unseren Hühnern als Sonnenschutz, jedenfalls so lange, bis die Sträucher, die Axel im Auslauf pflanzen will, hoch genug sind, um genügend Schatten zu spenden. Diese Bruthitze macht die armen Tiere sonst dermaßen verrückt, dass sie auf dumme Gedanken kommen und die eigenen Eier fressen.“
Bevor sich Onkel Ludwig dazu äußern konnte, warf Oma ein: „Edmund sitzt übrigens in der Laube. Im Haus und auf dem Hof ist es ihm jetzt viel zu heiß. Hoffentlich überlebt er diese Hitzewelle. In unserem Alter, lieber Ludwig, ist das leider nicht mehr selbstverständlich.“
„Und was gibt es zur Feier des Tages zum Mittagessen, Anita?“, fragte Tante Sarah und legte unvermittelt ihren Kopf schief. Diese Geste, die ich niemals zuvor an ihr beobachtet hatte, erinnerte mich außerordentlich an unsere geschlachtete Lieblingsglucke Frieda, wohlgemerkt, nur die Geste, liebe Christine. Darüber hinaus hat Tante Sarah gottlob keinerlei Ähnlichkeit mit einem italienischen Huhn, obgleich Frieda, verglichen mit ihren Artgenossinnen, wirklich sehr attraktiv war und mit absoluter Sicherheit die Lieblingsfrau im Harem dieses französischen Gockels, dieses Goldenen Brakels, geworden wäre, wenn nicht das Fallbeil einer Berserkerin ihren bezaubernden Kopf vom Rumpf getrennt hätte. Ich habe übrigens Leni in Verdacht.
„Rindergulasch mit Spargel“, gab Oma bereitwillig Auskunft. „Und zum Nachtisch Bananencreme mit Schokoladeneis.“
„Das lässt sich hören, Anita“, riefen Onkel Ludwig und Tante Sarah wie aus einem Mund und nickten zufrieden.
Ich machte mich auf eine neue Fressorgie gefasst. Erinnerst du dich noch an letztes Jahr, liebe Christine, nach

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