Gefährlicher Sommer (Teil 11) - Page 2

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von Annelie Kelch

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Axel Kröger und seinen Pyjama. Hätte er sich bei Leni oder Frau Brandner be­klagt, wäre Leni gewiss schon längst in mein Zimmer gepoltert, um mir, zumindest pro forma, die Leviten zu lesen.
Nach einer guten Weile, indes ich die Zeit verschwenderisch verstreichen ließ, wagte ich mich endlich nach unten. Bereits auf der Wendeltreppe, noch bevor ich das Herrenzimmer betreten hatte, drangen laute Stimmen an mein Ohr.
Leni und der Axel Kröger unterhielten sich in der Küche. Ich blieb in der Vordiele stehen, zügelte gewaltig meinen Atem und lauschte. Es musste sein, Christine, allein schon wegen Knut.
„Vier Milch­kühe und zwei Zuchtbullen“, hörte ich Kröger parlieren. „Wirklich pracht­volle Tiere, Lene. Die Fahrt hat sich gelohnt. In Lübeck fiel mich allerdings der­maßen der Hun­ger an, dass ich beschloss, im Gasthaus ,Zur Alten Farm' Rast zu machen, um mir ein zünftiges Schnitzel zu genehmigen (mir brach der Schweiß aus). Schnitzel! Im Gasthaus „Zur Alten Farm"!
„Übrigens, was gibt es heute zum Mittag?“ Kröger lachte.
„Grüne Bohnen mit Rindfleisch. Und jetzt marsch an die Arbeit, Axel. Ich muss noch Brot backen, sonst steigt mir die Gnädigste aufs Dach. Heute bleibt alles an mir hängen. Heiner, Henry und Gudrun stehen schon seit Stunden mit den Eiern auf dem Markt und werden vor dem Abendessen nicht zurückerwartet, Agnes und die Gnädigste pflücken Erbsen, und Metzger Kolbe wird gleich eintreffen, um die Schweine zu schlachten. Ruf bitte sofort den Tierarzt an, damit er herkommt und das Fleisch prüft.“
„Wird gemacht, Lene. Aber danach muss ich dringend auf die Felder, um dort nach dem Rechten zu sehen. Und sollte dir Frau Brandner über den Weg laufen, so bestelle ihr bitte einen Gruß von mir und dass wir dringend jemanden brauchen, der sich inten­siv um die Kälberaufzucht kümmert, möglichst eine Person aus dem Dorf ... ich dachte dabei an Jan Dosch vom Papenweghof. Meine Schwester hat mir neulich er­zählt, er sei schon seit einem Vierteljahr ohne Arbeit“, plauderte Kröger und verließ – offenbar gutgelaunt – die Küche; zum Glück durch den Vorraum zum Hinterhof, liebe Christine, sonst hätte er mich beim Lauschen ertappt.
Aber wes­halb war der plötzlich so umgänglich? Und weshalb hatte dieser Kerl so irrsinnig gute Laune? –
„Na, weil er deinen blöden Streich überhaupt nicht bemerkt hat, Katja, du dumme Nuss, weil er sich gestern Abend einen frischen Pyjama genehmigt und den alten in die Wäsche gegeben hat“, gab ich mir lakonisch zur Antwort.
Ich fühlte mich unzufrieden und erleichtert zugleich. Schnitzel hatte der Herr Inspektor also verspeist. Das war allerdings im höchsten Maße verdächtig, aber solange ich nicht beweisen kann, dass Hannes' Vater der Mörder von Knut ist, muss ich vorsichtig sein, liebe Christine. Jetzt allerdings, da feststeht, dass er im Gasthaus „Zur Alten Farm“ verkehrt und dort Schnitzel zu verspeisen pflegt ... Oder hatte er mich die Treppen hinuntersteigen hören und wollte mich an der Nase herumführen?
Vielleicht hat sogar der Herr Gutsinspektor höchstpersönlich die Rechnung in der Nähe der Jagdkanzel ver­loren, weggeworfen oder was auch immer. Ein bizarrer Gedanke formte sich jäh in meinem Kopf: ... mit voller Absicht am Tatort deponiert. Aber weshalb? Und inwieweit war Hannes in die Sache verwickelt? Nein, Hannes ist kein guter Schauspieler. Er könnte sich niemals in einem solchen Maße verstellen.
Ich zerbrach mir schier den Kopf, überlegte in sämtliche Richtungen. Be­dachte, erwog, verwarf und kam zu keinem vernünftigen Ergebnis. Eines je­doch stand fest: Heute Nachmittag würde ich mit irgendeinem Fernglas in den Wald fahren und mich auf die Jagdkanzel setzen, genau wie Knut es vermutlich getan hat – im letzten Herbst, als er noch am Leben war.
Ach übrigens, liebe Christine, hockte deine Tante Agnes heute morgen bei Oma in der Küche. Sie haben zusammen gefrühstückt. Frag mich bitte nicht, weshalb und ob wieder irgendwas mit Leni ist. Ich weiß es nämlich nicht. Sie sprach auch von dir, ihrer „Stine“, und dass sie dich an deinem Geburtstag in Kiel besuchen wolle. Hoffentlich habe ich jetzt kein Geheimnis verraten.
Auf meinem Platz stand wie immer die Silberhochzeitstasse. Das Zucker-Rotwein-Ei schäumte noch. Opa zwinkerte mir zu, Mutti gab mir einen Kuss auf die Wange, und Oma meinte, ich solle mir ja nicht angewöhnen, jeden Morgen zu spät zu kommen. Dabei war es erst Viertel nach acht. Oma und Tante Agnes flüsterten miteinander, was sich ja eigentlich nicht gehört, wenn andere dabei sind. Mehrmals fiel Lenis Name. Was wollen sie ihr jetzt schon wieder ans Zeug flicken?, dachte ich und eine leichte Wut stieg in mir hoch. Sie blieb mir im Hals stecken und verharrte dort, damit ich meinen Mund hielt.
Nach dem Früh­stück schlenderte ich in die Gutsküche. Leni war am Kneten und Walken. Immer wieder streute sie trockenes Mehl auf den Teig, damit er nicht zu kleb­rig wurde, drückte ihn mit dem Handballen weg und klopfte ihn mit der Hand­fläche wieder zurück, bis er endlich trocken und geschmeidig war. Dann schnitt sie den Teig in kleine Portionen, füllte ihn in eingefettete Backformen und stellte ihn warm, zum „Aufgehen“. Vorher ritzte sie noch verwegene, picassoverdächtige Designs in die Laibe.
„Na, Katja“, ließ Leni verlauten und sah mich dabei recht sonderbar an.
„Axel Kröger“, schoss es mir sofort in den Sinn. „Er hat mich verpetzt oder zumindest etwas angedeutet.“
„Na, Leni“, erwiderte ich. Meine Stimme zitterte wie eine kleine Gans vor dem Fuchs.
„Ich gehe jetzt zum Unkrautjäten in den Kräutergar­ten“, fuhr ich hastig fort.
„Geh nur, geh nur“, murmel­te Leni mit gleichgültiger Stimme.
Na, das kann ja heiter werden. Was ist jetzt schon wieder im Gange? Auf Lachau ist immer irgendjemand eingeschnappt. Ich war kreuzunglücklich: Leni beleidigt, obwohl ich ihr gar nichts getan hatte, du weit weg im Krankenhaus, Kröger, der sich noch nicht mal über einen zugenähten Pyjama är­gert und immer verdächtiger wird ...
Oder hatte Leni sich mal wieder, zum hundertsten Mal in diesem Jahr, mit Oma oder Tante Agnes verkracht oder gar mit beiden? Und wenn ja, weshalb diesmal? (Du kennst bereits einige Gründe, liebe Christine; es sind immer die­selben und meistens sind sie zum Totlachen.)
Als ich mit Hacke und Spaten bewaffnet bei den Kräuterbeeten

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