Gefährlicher Sommer (Teil 11) - Page 3

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von Annelie Kelch

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ankam, er­wartete mich eine Überraschung: Konny, Kora und Hannes waren eifrig dabei, das restliche Unkraut zu bekämpfen.
„Hej, Katja“, rief Kora. „Wo bleibst du denn?“
„Jetzt aber mal ran an die guten Sachen hier“, meinte Hannes und pfiff die Melodie von „La Paloma ade“.
„Onkel Axel fährt heute nachmittag mit uns nach Lübeck. Wir wollen die Stadt besichtigen. Kommst du mit, Katja?“, fragte Kora.
„Nö, lass man“, wehrte ich ab und freute mich insgeheim, dass sie mir im Wald nicht in die Quere kommen konnten.
„Hast du etwa Angst vor meinem Vater, den großen, starken Axel Kröger?“, fragte Hannes und sah mich prüfend an.
„So 'n Quatsch, ich habe mir vorgenommen, 'Die Gerechten von Kummerow' zu Ende lesen und Opas Bücherschrank zu durch­forsten. Mal sehen, was sich dort im letz­ten Winter so alles angesammelt hat“, er­widerte ich.
Mir klopfte ein wenig das Herz bei dieser Lüge, und ich be­mühte mich, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. – Hatte ich tatsächlich „durch­forsten“ gesagt?
Das war eigentlich nicht gelogen. Allerdings wollte ich den Wald durch­forsten, genauer gesagt, den Lachauer Forst. Das Fernglas bereitete mir noch einiges Kopfzerbrechen. Ich würde Opa darum bitten müssen.
***
Als wir die Gartengeräte zum Schuppen zurückbringen wollten, lief uns Axel Kröger über den Weg. Und was glaubst du, mit wem er sich ange­regt unterhielt, Christine? Halt dich gut fest in deinem Bettchen: mit Mutter Kleve.
Jetzt petzt er die Sache mit dem Pyjama, war mein erster Ge­danke, und ich senkte schuldbewusst den Kopf.
„Lustwandeln im Park?“, hörte ich Hannes neben mir amüsiert fra­gen.
Mutti sah wieder mal aus wie die Hauptfigur aus einem Roman von Hedwig Courths-Mahler. Sie trug ein schulterfreies kornblumenblaues, fast bo­denlanges Seidenkleid (bei diesem Staub überall!) mit Plisseefalten überm Rocksaum, einen hellblauen Hut mit einer lila Blume an der Seite, was ziemlich lächerlich aussah, eine zweirei­hige Perlenkette, um jedes Handgelenk ein Armband, ein kleines Abendhand­täschchen aus schwarzem Samt(!) und, du wirst es nicht glauben, liebe Christi­ne, schwar­ze Pumps mit halsbrecherisch hohen Pfennigabsätzen. Hier, auf einem Gutshof, zwi­schen Kühen und Schweinen, Gänsen und Hühnern! Es war wirklich nicht zu fassen.

„Wer weiß, was sich da an­bahnt, Katja“, feixte Hannes und grinste anzüg­lich.
„Viel­leicht wirst du irgendwann mein liebes Schwester­lein.“
„Gott be­wahre“, ent­fuhr es mir. „Im Übrigen habe ich einen Vater, und mit dem bin ich sehr zu­frieden.“
Ich schäm­te mich gewaltig für Muttis Aufzug.
„Deine Mutter sieht toll aus, Katja. Wie eine echte Schauspielerin“, schwärmte Kora.
„Gibt es auch unech­te?“, amüsierte sich Konny. Kora verdrehte die Augen.
„Kostet sie auch die beste Zeit ihres Lebens“, klärte ich die Clique auf.
„Es gibt wichtigere Dinge im Leben, als wie ein Filmstar auszusehen.“
Konny pflichtete mir sofort bei, in­dem er ernsthaft nickte.
„Zum Beispiel, Katja?“, fragte Hannes neugierig.
„Zum Beispiel, dass Christine wie­der gesund und sich nächstes Jahr hier einfinden wird und dass es nie wieder Krieg gibt“, entgegnete ich ohne Umschweife.
„Ach Stine-Christine“, blödelte Hannes.
„In dieser Rei­henfolge, Katja?“
Konny grinste. Er kam sich vermut­lich unheimlich schlau vor.
„Ach, lasst mich doch in Ruhe“, fauchte ich.
Die Clique ging mir allmählich auf die Nerven.

Ich muss unbedingt in Erfahrung bringen, worüber sich Mutti mit Axel Krö­ger unterhalten hat, Christine. Falls Kröger nun der Mörder von Knut ist ...? Vieles spricht gegen ihn. Sollte ich Mutti nicht auf der Stelle vor ihm war­nen?
Mir war vor lauter Angst eine Gänsehaut gewachsen. Die feinen Härchen auf meinen Armen standen allesamt zu Berge.
„Sag mal, Katja, hörst du mir über­haupt zu? Wovon träumst du?“
Hannes starrte mich fragend an.
„Entschuldi­ge, was hast du ge­sagt?“
„Nichts“, gab Krögers Sprössling beleidigt zur Antwort.

***
„Kathinka! Kathinka!“ (Ich hasse diesen Namen, Christine; er ist noch wesentlich schlimmer als „Stine“.)
Leni kam aufgeregt aus der Veranda getrippelt und stolperte auf uns.
“Zweimal Post für dich: ein Brief von Christine und einer von einem gewissen Harry.“
Sie wedelte aufgeregt mit den beiden Kuverts herum.
„Weiß Mutti ...?“, fragte ich atemlos vor Glück.
„Keine Panik“, seufzte Leni ergriffen. „Ich hab den Postboten vorhin von der Veranda aus kommen sehen und bin ihm entgegengegan­gen.“
Ihre Unter­lippe zitterte vor lauter Aufregung. Ich um­armte sie und gab ihr einen Kuss auf den weißen Scheitel.
„Du bist ein Goldstück, Leni!“
Schließlich braucht Mutti nicht alles zu wissen. Sie macht aus jeder Mücke einen Elefan­ten.
„Der schöne Harry hat also geschrieben!“
Täuschte ich mich oder lag eine Spur von Eifer­sucht in Hannes' Stimme? Schwang da nicht ein winziger bitterer Unter­ton mit?
„Ich wün­sche euch viel Spaß in Lübeck. Bis morgen dann. Ich muss ja ohnehin gleich zum Mittagessen“, erklärte ich, blickte ungeniert in die verblüfften Gesich­ter, er­griff Hacke und Spaten, die ich an die Hauswand gelehnt hatte, und trug beides in den Geräteschuppen.
Dann, außer Sichtweite für sämtliche Cliquenmitglieder, raste ich die Verandatreppe hoch, stieß hastig die Tür auf und landete – direkt in Axel Krögers Armen.
„Katja“, rief er. „Welche Ehre! Aber ich befürchte fast, dass du es nur sehr eilig hast.“
„Ja, ja, natürlich, was dachten Sie denn?“, stotterte ich und wurde wahr­scheinlich rot wie eine Tomate unter seinem amü­sierten Blick, dem ich total verwirrt aus­wich. Was faselt der von Ehre, dachte ich. Neulich auf dem Hof schien er mich kaum wahrgenommen zu haben. Ich hatte nach dieser Begegnung erhebliche Zweifel, ob ich überhaupt existierte.
Als ich in meinem Zimmer war, fragte ich mich, wer oder was diese offen­sichtliche Veränderung in seinem Verhalten ausgelöst haben könnte. Sollte etwa Mutti ...? Ich dachte an Papa, der keinen Urlaub bekom­men hatte und bei diesem herrlichen Wetter arbeiten musste, während Mutti hemmungslos herumflirtete – auf einem Gutshof, in Tanzkleidern, mit Stöckelschuhen.
Eure Briefe, Christine!
Ich schob die trübsinnigen Gedanken beiseite und presste die beiden Kuverts an mein Herz. Sie waren mir gleichermaßen wert­voll. Und weil ich keinen Würfel zur Hand hatte, entschied ich mit „Ene mene meck und du bist weg“, welchen ich zuerst lesen sollte.
Bei „weg“ tippte ich auf Harrys Brief.
Ich riss deine lieben Zeilen aus dem Um­schlag, Christinchen, und freute mich beim Lesen der ersten Sätze, dass du wieder zu Hause bist, bei deinen Eltern und bei Leonhard, der seine große Schwester gewiss schon sehr vermisst hat.
In einem Jahr sehen wir uns endlich wieder. Mach dir doch bitte keine Sorgen um mich. Du wirst zwar im Laufe des nächsten Briefes etwas lesen, das deinen gesunden Schlaf nicht gerade för­dern wird; aber denke stets daran, was ich dir neulich am Telefon versprochen habe: hochdrama­tische Ferien, damit wir uns beide nicht langweilen.

Als wir beim Mittagessen saßen, pochte es zaghaft an der Tür. Leni steckte ihren etwas nachlässig frisierten Kopf hindurch, spähte in die Küche und wollte eilends wieder verschwinden, weil sie zu stören glaubte, aber Oma bat sie zu uns an den Tisch. Es gab nämlich Kohlrou­laden, Lenis Lieblingsge­richt. Sie strahlte übers ganze Gesicht.
Ich fragte Leni, ob ich ihr Fahrrad aus­leihen dürfe; ich wolle am Nachmittag ein wenig über die Dörfer radeln.
„Ja, fährst du denn nicht mit nach Lübeck?“, fragte Leni erstaunt.
„Axel will euch doch die Stadt zeigen.“
„Keine Lust“, sagte ich.
„Das ist aber nicht sehr höflich von dir“, wandte Mutti empört ein. „Herr Kröger ist ein so netter, kulti­vierter Herr.“
„Ich möchte endlich mal wieder für mich sein und alleine etwas unternehmen“, gab ich zur Antwort. „Habt bitte ein wenig Verständnis dafür.“
Merkwürdiger­weise verhielt sich Oma, die bei dem „kultivierten Herrn“ amü­siert ihre Mund­winkel nach oben gezogen hatte, mucksmäuschenstill und misch­te sich mit keinem Wort ein. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Und wo­mit hatte ich diese äußerst verdächtige Neutralität verdient?
„Opa, darf ich dein Fern­glas mit­nehmen?“, bat ich.
„Wozu brauchst du ein Fernglas?“, fragte Mutti. „Hat deine Sehkraft nachgelassen?“
„Mein Gott“, stöhnte ich genervt. „Muss man neuerdings für alles eine Erklärung abgeben?“
„Du darfst das Fernglas haben“, sagte Opa. „Aber gib bitte gut darauf Acht. Es ist noch ziemlich neu und war sehr teuer.“
„Klar Opa. Vielen, vielen Dank.“
Ich war erleichtert, dass ich es nicht heimlich nehmen musste – und froh, denn in wenigen Stunden würde ich Knuts Geheimnis kennen oder doch zumindest einen erheblichen Teil jener Natur und jener schrecklichen Dinge entdecken, die er an seinem Todestag im Wald erspäht hatte. Mein Herz pochte wie wild angesichts dieser nicht allein das Fernglas betreffenden Aussicht.

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