Nie stattfindende Betrachtungen

Bild zeigt Alf Glocker
von Alf Glocker

Als ich vor nunmehr über 60 Jahren einmal meinen Vater fragte, „Sag mal, wohin geht eigentlich der ganze Rauch aus den Schornsteinen?“ (ich zeigte dabei auf mehrere riesige Fabrikschornsteine), erklärte er mir: „Der geht nirgendwohin, der verteilt sich so, daß man gar nichts mehr von ihm bemerkt“. Ein paar Jahre später fragte ich ihn, wohin das weggeworfene Plastik komme. Er erklärte mir, daß es im Meer entsorgt würde, wo es sich dann mit der Zeit so verteile, daß man es gar nicht mehr bemerkt. Ich erwiderte ihm daraufhin, er solle mich nicht veräppeln, das könne nicht sein – so blöd sei doch kein Mensch! Da wurde er böse und wies mich zurecht: „Warum machst du dir über so etwas überhaupt Gedanken?! Arbeite lieber mehr, dann kommst du auf derartige Spitzfindigkeiten überhaupt nicht!“ Aus Furcht vor einem Streit ...

Als ich später dann im Fernsehen mitbekam, daß die großen Fischfangflotten ihre Gebiete ausdehnen durften, weil sonst der Ertrag nicht wirtschaftlich genug wäre, nahm ich mich innerlich zurück, weil ich wusste, daß ich erst gar nicht gehört werden würde. Es war klar, die Schleppnetze mussten größer werden, ebenso wie die Fanggründe, denn der Reichtum des Meeres wurde als „unerschöpflich“ beschrieben. Mir wurde bewusst, daß ich „von solchen Sachen“ nichts verstand und deshalb das Maul zu halten hatte. Die, welche es verstanden, würden schon ihr Möglichstes tun, damit die Vernunft obsiegte und zugleich die Wirtschaftlichkeit nicht zu kurz kam. Was war ich doch naiv, grün hinter den Ohren und unreif. Ich kannte ja die Zahlen nicht!! Wie blöd von mir?!

Aber je erwachsener ich wurde, desto mehr wurde ich davon ich überzeugt, daß ich tatsächlich unerträglich blöde war und bin. Da konnten Urwälder gerodet werden und es machte nichts. Da konnten die Städte immer noch größer werden, aber es machte nichts. Vor unserem Haus wurden die letzten Bäume gefällt, weil die Straße verbreitert werden sollte – was ging das mich an?! „Da werden dann schon irgendwo anders neue Bäume gepflanzt!“, verriet man mir verschwörerisch, damit ich auch mal in den Genuss des neuesten Wissens käme. Und ich wartete … tatsächlich geschah dann was: Der Stadtpark wurde erheblich verkleinert, weil jemand auf die Idee gekommen war, dort einen Wolkenkratzer zu errichten, ein Wahrzeichen.

Oh, wie wahr sind solche Zeichen denn überhaupt? Sie sind sehr wahr! Niemand kommt an diesen wahren Zeichen mehr vorbei. Überall haben wir sie vor Augen. Wir können ihnen gar nicht mehr ausweichen. Die Städte sind voll davon! Und zwischen ihnen lastet der Smog – das sind die Abgase, die sich mit der Zeit so weiträumig verteilen, daß sie uns gar nichts mehr ausmachen. Das ist schön! Endlich habe auch ich kapiert, wie wenig ich von auch nur irgendwas verstehe. Es gibt so viele Menschen, die so viel mehr verstehen als ich, daß man mich glatt totschweigen könnte – es würde niemandem etwas ausmachen! Jedenfalls, wenn ich jemanden frage, was ich wohl zu der Misere zu sagen hätte, dann fragt man mich, wozu das denn nötig sei. Es gibt …

doch schon sehr viele Menschen, die dazu etwas zu sagen haben, da kommt es doch auf meine Meinung überhaupt nicht an! Jetzt ist der Groschen bei mir endgültig gefallen! „Ich“, das ist einer, also ich bin einer, der hier gar nicht mehr reinpasst, denn wenn man mich, sagen wir mal oft genug, zerteilt, dann falle ich überhaupt nicht mehr ins Gewicht – man bemerkt mich quasi gar nicht mehr. Und so kann ich auch keinen Schaden anrichten. Milliarden Stimmen übertönen die meine, nein, sie überdröhnen sie geradezu! Einerseits die Massen der Lebenden und andererseits die Übermacht der Vielen, die in der Lage sind, mächtige Baumaschinen loszuschicken, die mich wegbaggern können. Ich schwimme also gegen den Strom der Fangflotten. Fangen sie Seelen?

Meine ist bereits sicher hinter Gittern! Das ist auch gut so, denn ließe man mich reden und – würde das Schule machen – andere auch noch, dann käme womöglich einer daher der z.B. seinen Vater fragen würde: „Sag mal, wo gehen eigentlich die vielen Menschen hin, die da zu uns kommen?“ Und der Vater müsste dann, wenn er nicht mundtot gemacht werden wollte, antworten: „Die werden verteilt und verteilt und immer wieder verteilt – so lange, bis man gar nicht mehr merkt, daß wir auch noch da sind. Dann müsste das Kind (um keinen Streit zu provozieren) schweigen und sich seinen, keinen, Teil denken, weil in diesem Fall das Denken gar nicht erlaubt wäre. Und was geschähe dann? Was dann?

Dann würde irgendwer zugeben müssen, daß alles seine Grenzen hat: die Raffgier, die Eroberungssucht, die Abholzungsgeilheit, die Vermehrungsnarretei, die Lügerei und die Betrügerei … weil eben eines Tages nichts mehr dafür ausreichen würde. Wasss? Na, die Wälder, die Gelder, das Erdöl, die Naivität derer, die bereit sind, aus stupiden Hoffnungsgründen alles hinzunehmen, was man ihnen unter die Nase reibt, oder mit Gewalt hinter die Ohren schreibt. Vielleicht reicht eines Tages ja auch ganz einfach der Sauerstoff nicht mehr aus, damit die unverschämtesten Schwätzer der Welt noch, für ihre idiotischen Reden, genug Luft holen können, um uns auf den Arm zu nehmen. Dann brauchen wir endlich auf nichts mehr Acht zu geben, denn dann gibt es keine Besen mehr … nur noch den Schmutz vor jedermanns Tür!

Veröffentlicht / Quelle: 
auf anderen webseiten
Prosa in Kategorie: