„Hey, junge Frau, lassen Sie das!
Junge Frau … Ingrid sah sich erstaunt um.
Eben hatte sie einen der Laubhaufen durcheinander gewirbelt, die jemand sorgfältig am Rand der Beete aufgeschichtet hatte.
Vorher war sie die Lindenallee im Schlossgarten entlang geschlendert. Hatte sich gefreut an den wärmenden Strahlen der Herbstsonne und am Rascheln der fallenden Blätter. Bis sie diese Laubhaufen entdeckte – und vom Übermut gepackt wurde.
Sie war glücklich. Überglücklich wieder hier zu sein, in der Stadt, in der sie studiert hatte. Denn auch nach vierzig Jahren wissenschaftlicher Arbeit in allen Ausgrabungsstätten dieser Welt, fühlte sie sich hier immer noch zu Hause.
Hier würde sie sich hier eine Wohnung suchen, vielleicht in der Nähe der Uni. Um sich ein bisschen so wie früher zu fühlen, sich selbst wieder näher zu kommen … und … von Bruno zu träumen.
„Ach, das ist doch viel zu lange her …“
unterbrach sie ihre eigenen Gedanken.
„Er hat mich längst vergessen. Wie komme ich nur darauf?“
Diese Laubhaufen hatten sie an ihn erinnert.
Damals, während des Studiums hatte Bruno, der angehende Biologe, jeden Herbst das Laub sorgfältig aufgeschichtet. Er wollte den Kleintieren im Schlossgarten über den Winter helfen.
Mit leuchtenden Augen erzählte er dann von Regenwürmern und Molchen, von Larven und von den Kerbtieren, seinem Spezialgebiet.
Ingrid lächelte bei dem Gedanken an die gemeinsame Studienzeit. Und – ganz Archäologin – ging sie in die Knie und begann, den Blätterwust auseinander zu sortieren, um die kleinen Tierchen zu finden.
„Halt! Wissen Sie denn nicht, was Sie da tun?“
„Doch, Ich suche die Kerbtiere.“
Ingrid wandte sich um.
Ihr Blick fiel auf derbe Arbeitsschuhe, von denen Lehm und Mutterboden bröckelten, und auf eine Laubharke.
„Was wissen Sie denn über die Kerbtiere? Es gibt im Moment ein Forschungsprojekt … Soll ich Ihnen Material zu kommen lassen?“
Ingrid traute ihren Ohren kaum.
„Bruno???“
Sie hob den Blick und er konnte ihr ins Gesicht sehen.
Ingrid??? Ingrid!!! Und noch genauso hübsch wie vor vierzig Jahren!“
„Ach, du Schmeichler!!!
Lachend ließ sie sich von ihm aufhelfen.
„Das muss gefeiert werden!“
sagte Bruno,
„darf ich dich zu einer Tasse Kaffee einladen?“
Er deutete mit dem Kopf auf das Stehcafé am Ende der Lindenallee, und kurze Zeit später standen sie an einem der Bistrotische. Ihre Körper suchten eine Nähe, die sie vorher nie gehabt hatten.
„Weißt du noch…?“
„Ja.“
Sie brauchten nicht viele Worte - auch nach vierzig Jahren nicht.
Während ihrer Zeit an der Uni hatten Ingrid und Bruno in einer Wohngemeinschaft mit zwei anderen Studenten gelebt. Beste Freunde. Mehr nicht. Zu Brunos großen Kummer. Aber als begeisterte Archäologin hatte Ingrid nur die mumifizierten Pharaonen im Sinn gehabt.
„Bist du verheiratet?“
„Nein, ein paar Bekanntschaften hier und da, aber die Richtige war nicht darunter.“
„Oh Bruno, das tut mit Leid!“
„Und du, hast du einen Partner? “
„Nein, die eingewickelten Pharaonen waren mir dann doch zu alt.“
Und nach kurzem Schweigen:
„Wer wohl jetzt in unserer alten Wohnung lebt?“
„Ich.“
Bruno lachte, als er Ingrids erstaunten Blick sah.
„Ihr seid ja alle in die Welt hinaus gezogen, aber ich bin immer hier geblieben. Auch an der Uni. Erst die Promotion, dann ein Lehrstuhl … und später verschiedene Forschungsprojekte. Irgendwann hatte ich genug Geld zusammen, um die Wohnung zu kaufen. Sie ist renoviert, hat eine Fußbodenheizung – nicht mehr die alten Öfen – und neue Fenster … du kannst morgen einziehen, wenn du willst.“
Ingrid schluckte den dicken Kloß hinunter, der sie am Sprechen hindern wollte.
„Jaha … gern.“
„Schreiben Sie Liebesgeschichten, Frau Ka …“
sagte der Kardiologe, „jedes Happy End beruhigt Ihr flatterndes Herz.“
(meine Geschichte „Herz ist Trumpf“)
Kommentare
Der Kardiologe hat schon recht:
Die Story ist auch echt nicht schlecht!
LG Axel
Dankeschön, ich freue mich.
LG, Susanna