Eine Begegnung (Miniatur)

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Ich traf sie damals zufällig im Park. Damals – das war Mitte/Ende der Sechziger. Ich durchquerte ihn, unseren schönen kleinen Stadtpark, um schneller zu Hause zu sein. Es war bereits spät, jedoch noch hell, anderenfalls hätte ich auf die Abkürzung verzichtet. Damals wurde gemunkelt, dass unsere Gastarbeiter ein immenses Liebesbedürfnis hätten und hinter „jedem Rockzipfel her wären“. Aber das war, wie vieles, das in der Kleinstadt von Mund zu Mund wanderte, ein Gerücht. Der Park wäre mir auch ohne 'unsere kleinen Italiener' im Dunkeln unheimlich gewesen.

Sie kam mir entgegen, klein, zierlich, schnelle Trippelschritte. Ich hatte nie viel mit ihr zu tun gehabt. Wir besuchten gemeinsam die Klassen der Grundschule. Das war schon alles. Ich hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen, erkannte sie jedoch auf den ersten Blick - an den hellbrauen, ewig zerzausten dünnen braunen Locken und den immerroten Wangen.
Ich wollte freundlich mit „Hallo“ grüßen und an ihr vorübergehen – wir hatten uns noch nie viel zu sagen. Sie jedoch stellte sich mir in den Weg und richtete derart herzliche Worte an mich, dass ich gar nicht wusste, wie mir geschah. Sie war mir nie besonders aufgefallen, ein gutes kleines Mädchen vom Lande, das auch an mir kein besonderes Interesse gezeigt hatte.
Wir plauderten eine Weile in einer Vertrautheit, als seien wir beste Freundinnen – immer gewesen und mir fiel auf, wie nett sie doch eigentlich war.
Ich war spät dran, meine Eltern warteten mit dem Abendbrot, und ich bedauerte sehr, dass ich mich von ihr trennen musste. Wir haben uns nie wiedergesehen. Möglich, dass sie mir zu meiner Hochzeit eine Glückwunschkarte geschrieben hat. Ich weiß es leider nicht mehr. Es kamen so viele. In einer Kleinstadt kennt jeder fast jeden.

Ich denke noch oft und gern an diese wundersame Begegnung mit meiner Ex- Klassenkameradin zurück.

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