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Schlafsack und die Isomatte vom Gepäckträger meines Fahrrads und wollte mir gerade einen ruhigen Platz zum Pennen suchen, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte. Es war Claudia, ein ziemlich heißer Feger aus der Parallelklasse.
(Ich muss an dieser Stelle zu meiner Schande eingestehen, dass meine Schulkameradin natürlich nicht wirklich Claudia hieß. Aber da mich mein Namensgedächtnis an dieser Stelle im Stich lässt und ich ihren richtigen Namen nach so langer Zeit vergessen habe, nenne ich sie an dieser Stelle einfach Claudia auch weil der Name irgendwie zu der Zeit passt, in der die Geschichte spielt und es damals an meiner Schule und im Freundeskreis jede Menge Claudias gab.)
Claudia machte auf den ersten Blick einen ziemlich bekifften Eindruck, was in diesen Jahren mit einiger Sicherheit auf unseren recht sorglosen Umgang mit soften Betäubungsmitteln zurückzuführen war und mich deshalb nicht weiter verwunderte. Wie immer trug sie ein wenig zu viel schwarzen Lidschatten und Kajal um ihre Augen, war aber damit zweifellos auf der Höhe der Zeit, was das Make Up anging. Claudia hatte ihre hellblonden, welligen Haare, an deren Spitzen noch die Überreste der letzten Färbung mit Henna auszumachen waren, hinten mit einem Gummi zu einem spärlichen Pferdeschwanz zusammengebunden.
Bekleidet war Claudia mit engen Jeans, die an den Knien und am Hintern zerrissen und überdies mit verwaschenen Filzstiftmalereien verziert waren, die von öden, nicht enden wollenden Unterrichtsstunden zeugten. Dazu hatte Claudia ein schwarzes, extrem weites, ärmelloses TShirt an, dass an den Schultern und am Hals waghalsig weit ausgeschnitten war und dem Betrachter phantastische Einblicke auf bestimmte Partien ihrer Anatomie verhieß. Komplettiert wurde ihr Outfit durch das damals übliche Sommerschuhwerk – nämlich Espadrilles, die umso cooler waren, je verschlissener und abgetragener ihr Zustand war und die dem Betrachter (und den entgeisterten Eltern) den Eindruck vermittelten mussten, sie wären an den Füßen ihrer Besitzer per Interrail durch ganz Europa gereist.
Claudia kam, nachdem wir uns mit Küsschen links und Küsschen rechts begrüßt hatten, auch gleich fröhlich plappernd zur Sache:
„Weißt du was? Ich hab' ein Bett.“
„Ok, ich auch. Aber nicht hier.“
„Meins ist hier, ohne Scheiß jetzt.“
„Öhm...! Ehrlich?“
„Glaubst du, ich will dich verarschen?“
„Öhm...!“
„Du kannst bei mir im Bett schlafen, wenn du willst“, sagte sie und sah mich aufmunternd zwinkernd an.
Verdammt, das Bett wollte ich sehen. Ich bat Claudia, kurz zu warten und wuchtete einen Kasten Bier, der noch beinahe halbvoll war, sozusagen als Gastgeschenk aus dem Gebüsch. Dann griff sie meinen Schlafsack, nahm mich bei der Hand und zog mich über die Wiese hinunter zum Ufer. Ich traute meinen Augen nicht. Da stand, etwas schief und mit zwei Beinen im Wasser, tatsächlich ein großes, altmodisches Eisenbett mit gestreiften, nicht bezogenen Matratzen der Sorte Knutschpartykeller, auf denen ein paar Figuren herumlümmelten und sich zu diesem Zeitpunkt noch Hoffnungen auf einen vernünftigen Schlafplatz machten. In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass irgendjemand das Bett nach dem Open Air ein Stück weit in den Wald zerrte, wo man es noch Jahre später besichtigen konnte.
„Verzieht euch von meinem Bett, aber ein bisschen plötzlich“, herrschte Claudia die Typen resolut an. Die lachten aber nur hämisch und fläzten sich noch breiter hin. Ich fischte seufzend ein paar Flaschen Bier aus meiner Kiste und gab sie ihnen unter der Bedingung, dass sie sich sofort aus dem Staub machten. Das klappte besser und nach einigem Hin und Her zogen die Gestalten mit meinem Bier ab und das Bett gehörte uns.
„Sag mal, wie hast du das Ding bloß hierher bekommen?“, fragte ich Claudia, auf die durchgelegene Matratze klopfend und sie antwortete lachend, während sie im Schneidersitz auf dem Bett saß und, einen Beutel Schwarzer Krauser vor sich liegend, eine Zigarette drehte:
„Nur so eine bescheuerte Schnapsidee von ein paar Freunden. Die sind aber weg. Keine Ahnung.“
Sie leckte mit ihrer Zunge die Gummierung des Papierchens an, rollte die Zigarette fertig, knipste mit den Fingernägeln den überstehenden Tabak an den Zigarettenenden ab und packte ihn zusammen mit Päckchen Gizeh Special zurück in den Tabaksbeutel. Dann fegte mit einer nachlässigen Handbewegung ein paar heruntergefallene Tabakkrümel von der Matratze und fuhr fort:
„Wir haben das Bett ganz für uns. Besser als auf dem Boden rumliegen, oder? Hast du mal Feuer?“
Wir lagen schon eine ganze Weile gemütlich in meinen halboffenen Schlafsack aneinander gekuschelt auf dem Bett, rauchten Zigaretten, tranken genüsslich unser Bier, ignorierten die anzüglichen Sprüche von Neugierigen, die vorbeikamen, blickten auf zu den Sternen und unterhielten uns, als es plötzlich in der Ferne zu blitzen und donnern begann. Ein böiger Wind zog als Vorbote des sich rasch nähernden Gewitters auf und schon bald klatschten die ersten schweren Regentropfen kühl in unsere Gesichter. Im nächsten Moment prasselte ein gewaltiger Platzregen auf die Erde. Alle Leute, die rund um uns herum zu pennen versuchten, sprangen panisch auf und eilten schutzsuchend vom Seeufer weg.
Auch wir schnappten in aller Eile unsere Habseligkeiten und überließen das Bett den entfesselten Naturgewalten, denn keiner von uns hatte Lust, in dem wuchtigen Eisengestell gegrillt zu werden, falls ein Blitz einschlug. Auf unserer Flucht vor dem Wolkenbruch rannten wir durch Pfützen patschend und lauthals lachend über den immer schlammiger werdenden Platz. Schließlich erreichten wir, bis auf die Haut durchnässt, den verwaisten Hähnchenstand, der, ebenso wie die ganze Wiese und das Chaos und Durcheinander, das sich darauf abspielte, in rascher Folge von den zuckenden Entladungen des Gewitters grell erleuchtet wurde.
Ohne lange nachzudenken, bugsierte ich Claudia, deren verlaufenes schwarzes Make Up einen sensationellen Kontrast zu ihren, vom Regen strähnig gewordenen Naturlocken abgab, zu Skelettjäcks Leichenwagen, dessen Heckklappe immer noch sperrangelweit offenstand. Ich schmiss meinen Schlafsack, der auf der Innenseite einigermaßen trocken geblieben war, auf die Ladefläche und schob mit einer weit ausholenden Schaufelbewegung den ganzen Ramsch und Müll, den Jäck im Laufe der Zeit hinten im Auto angesammelt hatte, eilig beiseite.
Dann krabbelten wir in den schwarzen Granada und ich zog von innen die Heckklappe zu. In dem beengten Fond des Leichenwagens schlüpften wir schnell und unter allerlei Verrenkungen aus unseren nassen Klamotten und rubbelten uns nacheinander mit meinem Handtuch die feuchten Haare und die Gesichter trocken. Dann quetschten und falteten wir uns kichernd mit jeder Menge „Auas“ und „Sorrys“ in meinem Schlafsack aneinander, zogen den Reißverschluss hoch, so weit es eben ging und sahen zu, wie die Scheiben des Autos auf der Stelle von innen beschlugen.
Wir verbrachten bereits einige Minuten plaudernd und bibbernd eng nebeneinander liegend und versuchten uns aufzuwärmen, als Claudia plötzlich schnuppernd fragte:
„Sag mal, was riecht hier drin eigentlich so komisch?“
Ich antwortete:
„Wir sind hier nicht alleine.“
Ich fädelte einen Arm aus dem Schlafsack und klopfte gegen eine der vier weißen Plastikboxen, die sich, zwei hintereinander und zwei übereinander an einer Seite der Ladefläche aufreihten.
„Willst du mich verarschen oder was?“
„Nein, ganz bestimmt nicht.“
„Also, was ist jetzt in den Kisten?“, wollte Claudia wissen.
„Naja. Vier Kisten. Macht 200 fertig gewürzte, rohe und ungekühlte Brathähnchen.“
„Scheiße“, sagte Claudia, zog sich den Schlafsack über den Kopf und wir fingen an zu lachen.
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