Nachtschichten sind wider die Natur. Genau wie Sekundenkleber. Und Zimtschnecken. Nachts sollte man wirklich nur zum Pissen raus. Oder wenn das Haus brennt. Im Besten aller schlechten Fälle passt beides zusammen. Man sollte dann nur keinen Spargel gegessen haben. Denn sonst geht ganz schnell das Gerücht, beim Gemüsetürken um die Ecke würde es brennen. In Sachen Floriansjünger geht man in Folge dessen selbstverständlich leer aus. Andererseits ist es ja fast schon poetisch: gelblich schimmernde Dampfschwaden, welche im rötlichen Schein züngelnder Flammen dem tiefschwarzen Nachthimmel die Hängebrust waschen. Und über allem liegt das Aroma polnischer Erntehelfer. Hat man nicht alle Tage. Und Nächte. Doch wenn die Bude erstmal über die ersten elf, zwölf Etagen in Flammen steht, so ist so ein Blaseninhalt schließlich auch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Da kannst du dich als Mann mit angesengter Vorhaut ruhig wieder zurück ins warme bzw. heiße Bett legen. Kulante Versicherung vorausgesetzt. Aber Nachtschicht und Bett wollen bei mir einfach nicht zueinander finden. Denn ich komme nach der Nachtschicht nur selten in den Schlaf. Müde bin ich schon wie das Material eines Getriebes nach 500.000 Kilometern Wüstenrallye. Also durch Sachsen-Anhalt. Doch kaum liege ich in den Federn, schon schreit das blöde Gehirn: GUTEN MORGEN! Und dann steht es kerzengerade im Bett. Die Macht der Gewohnheit halt. Schließlich bin ich in meinem bisherigen Berufsleben tagtäglich halb Fünf morgens raus. Nun soll ich nach fast 40 Jahren Maloche halb Sieben rein. Und in Folge um die Mittagszeit herum aufstehen. Das passt genauso wenig wie zusammen wie Apotheken-Umschau und der Nobelpreis für Literatur. Was hat eine Morgenlatte auch am Mittagstisch verloren?! Als Staffelstab eines Hand in Hand gehenden geregelten Tagesablauf taugt sie jedenfalls nicht. Meine biologische Uhr liegt nämlich nach einer jeden Nachtschicht in Gänze zerbrochen am Boden. Und über deren Scherben muss ich durch den Tag gehen. Das tut aber nicht weh. Weil, man ist mangels Schlaf mental im Zustand gefrorener Hähnchen. Da geht nichts rein. Doch das Schlimmste: nach spätestens drei Schichten sieht man auch so aus! Blassgrau. Ringe unter den Augen. Und darüber auch. Und Gefrierbrand. Aber mehr innen. Genau da, wo Religiöse wohl eine Seele vermuten. Und ich Heide die Psyche. Ist aber dasselbe. Nur einmal mit, und einmal ohne Schutzhelm. Egal. Jedenfalls hinterlässt nächtliches Schuften hässliche Spuren an Körper und Geist. Sportabzeichen kannst du dann vergessen. Und bei “Wer wird Millionär?” bist du schon bei der Frage “Wie heißen Sie?” sowas von raus. Man baut noch schneller ab als die Reifenwechsler die Schlappen beim F1-Boxenstopp. Nur dass die Psyche nach einer Nachtschicht eben keinen neuen Reifen aufgezogen bekommt. Da bleibt dir nur die nackte Felge. Bekanntlich macht Stress auch Tinnitus. Es ist aber nur die Felge der Psyche, welche die Geräusche im Ohr macht, wenn sie nackt über die Härte des Lebens rumpelt. Meine Theorie. Also mehr eine Hypothese. Ich bin nämlich, was deren Beweise betrifft, nicht sattelfest. Nach 6 Nachtschichten am Stück ist man intellektuell einfach zu abgewrackt; selbst die SUPERillu ist da für mich schwer verdaubare Hochliteratur. Und das will was heißen! Denn die SUPERillu wurde speziell für den ostdeutschen Markt entwickelt. Wenig Kettensätze. Wenig Fremdworte. Wenig Inhalt. Gemäß dem Motto, dass man schlafende Hunde nicht wecken soll. Nicht, dass da Einer mit denken anfängt. Und dann vielleicht Fragen stellt. Zum Beispiel die, warum man für Mindestlohn eigentlich nachts, statt im Bett zu liegen, an einer Maschine steht. Um daran Dinge zu produzieren, die man a) nicht braucht. Oder b) sich nicht leisten kann. Oder, wenn's ganz dicke kommt: sich leistet, aber nicht braucht! Worauf schließlich das ganze System gründet. Man stelle sich vor: man kauft nur noch Das, was man braucht! Dann braucht auch Niemand in irgendeine Nachtschicht. Oder Spätschicht. Oder überhaupt. Doch auf solche Gedanken komme ich gar nicht. Ich lese nämlich die SUPERillu. Man muss ja schließlich nicht alles wissen. Wie: Sekunden sind immateriell. Die kann man gar nicht kleben. Und wenn ich schon dabei bin: keine Schnecke wälzt sich jemals in Zimt. Keine.
Was Rembrandts Nachtwache nicht klärt
von Lothar Peppel
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Interne Verweise
- Autorin/Autor: Lothar Peppel
- Prosa von Lothar Peppel
- Prosakategorie und Thema: Essay
Kommentare
Weckt mein Interesse; ja, Nachtschichten sind wider die Natur ...
LG Marie
Hallo Marie,
die Doomsday Clock zeigte gestern auf 2 vor 12. Wahrscheinlich ist das Thema Nachtschichten schon in Kürze obsolet.
Gleichfalls LG
Lothar
Hallo Marie,
die Doomsday Clock zeigte gestern auf 2 vor 12. Wahrscheinlich ist das Thema Nachtschichten schon in Kürze obsolet.
Gleichfalls LG
Lothar