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eine Idee, wie wir den Lachauer Hausdrachen erklären sollen, weshalb wir außerhalb des Dorfes genächtigt haben?“, seufzte ich.
Hannes grinste und meinte: „Na, weil du viel zu besoffen warst, um heimzufahren.“
Ich sah ihn erschrocken an. Hannes weidete sich eine Zeitlang an meiner Angst (Sadist). Dann sagte er lässig: „Das ist alles längst geregelt, Katja. Ich habe noch gestern Abend, als du mit deinem angesäuseltem Kopf schon im besten Schlummer gelegen hast, meinen Vater und Tante Selma angerufen. Nicht nur die gesamte Hofbesatzung, sondern auch meine leidgeprüfte Tante Selma, nebst entzückener Cousine Kora und Klugscheißer-Cousin Konny sind der festen Überzeugung, dass du dir den rechten Fuß verstaucht hast und irrsinnige Schmerzen erdulden musst. Deshalb werden wir nachher zu einem Arzt gehen und uns einen fachmännischen Verband anlegen lassen.“
„Uns?“, fragte ich spöttisch.
„Das sagt man so“, klärte Hannes mich seelenruhig auf. „Oder hast du jemals einen Arzt fragen hören: ,Wie geht es Ihnen?' Nein, Katja, die wollen immer nur wissen, ,wie es u n s geht'. Wahrscheinlich deshalb, weil sie so schrecklich mitfühlend sind.“
Ich lachte und sah sofort ein, dass dies ein Fehler gewesen war, denn mein Kopf erinnerte mich umgehend daran, wie unvernünftig ich mich am Vorabend benommen hatte. Aber woher sollte ich wissen, dass der Genuss dieses rein äußerlich ausgesprochen harmlos wirkenden Getränks mit derlei Nebenwirkungen einhergeht?
„Lass uns bitte erst den Brief auf irgendeiner Polizeistation abliefern“, warf ich leise und vorsichtig, fast wie eine Schwerkranke, ein.
Hannes griente. „Längst passiert, ,Prinzessin zur Trauerweide'. Falls Herr Fuchs keinen Nachtdienst geschoben hat, müsste ihm der Schrieb bereits vorliegen.“
„Dann wird es höchste Zeit, dass wir nach Lachau zurückkehren“, sagte ich. „Sonst klärt er den Mord noch ohne uns auf. Das wäre Knut ganz gewiss nicht recht.“
Ich begrüsste den flammenden Lübecker Morgen, indem ich schützend die rechte Hand über die Stirn legte. Meine vom Eierlikör getränkten Augen scheuten zweifelsohne das Tageslicht.
„Ist was, Katja?“, fragte Hannes scheinheilig.
***
Während wir im Wartezimmer eines Allgemeinmediziners saßen, versuchte ich, meinen rechten Fuß derart zu beeinflussen, dass sich wenigstens geringe Schmerzen einstellten, damit ich nicht zu sehr heucheln musste. Ich bog und krümmte ihn in grotesker Weise hin und her und hieb obendrein mit dem linken Schuh heftig auf die rechte Fessel ein. Den mit uns wartenden Patienten war deutlich anzusehen, was sie dachten: Vielleicht sollte die Kleine besser einen Nervenarzt aufsuchen.
„Übertreib es nicht, Katja“, flüsterte Hannes, der meine Verrenkungen mit einem unverständlichen Kopfschütteln verfolgt hatte. „Nachher überweist er dich doch noch zu einem Facharzt. Und wenn der diesen Schwindel nicht aufdeckt, hat mein Vater Recht, wenn er behauptet, dass die meisten Ärzte ...“
Leider erfuhr ich nicht mehr, was „Blaubart" den Medizinern andichtet, liebe Christine, denn die Tür zum Untersuchungszimmer wurde geöffnet und eine junge blonde Sprechstundengehilfin lächelte meinen Namen herunter. Erst zwei Stunden später kam ich dahinter, dass ihre Sympathiebekundung lediglich Hannes gegolten hatte, der sie vermutlich angehimmelt hat, als sei sie die Garbo, weil die böse Katja ihn nicht in „Blaubarts Bett" ließ.
Nachdem ich dem Doc lang und breit erklärt hatte, dass ich sehr wohl krankenversichert sei, und zwar bei meinem Vater, der in diesem Jahr leider beruflich verhindert sei, mit Mutti und mir die Ferien zu genießen, dass wir diese auf Hof Lachau zu verbringen pflegen, dass ich ... und ... und ...., stellte der Arzt mit Entzücken fest, dass er in Lübeck das Vergnügen hatte, mit der bezaubernden Karla, wie er sich ausdrückte, die Schulbank zu drücken, dass ich sie ganz herzlich von ihrem alten Klassenkameraden Dietmar grüßen solle und erst dann, schon etwas weniger entzückt, dass ich wahnsinnig schwache Gelenke hätte (womit er nicht völlig im Unrecht war, allerdings traf dies bis jetzt lediglich auf meine Handgelenke zu). Wider besseres Wissen bestätigte ich seine Diagnose mit einem heftigen Kopfnicken. Mir wäre an jenem Vormittag jeder Befund recht gewesen, selbst der Verdacht auf galoppierende Schwindsucht hätte mich beglückt.
Ich war froh, dass er nicht auch noch auf Knut zu sprechen kam. Das hätte mich echt genervt.
„Ich lege dir jetzt einen wunderschönen Verband an. Und in vier, fünf Tagen können wir(!) wieder herumspringen wie ein junges Reh“, sagte er schließlich, nickte zufrieden und klopfte sich in Gedanken auf die Schulter.
Ich humpelte aus der Praxis. Hannes hatte mich fürsorglich untergehakt. Was für ein Theater! Hannes und ich: ein abgebrühtes Gaunerpärchen zu Besuch in der großen Stadt!
„Vier, fünf Tage“, murmelte ich empört vor mich hin. „Hättest du dir nicht etwas weniger Langwieriges einfallen lassen können, Hannes?“
Hannes lachte schadenfroh. „Das kommt davon, wenn man nicht in der Lage ist, Maß zu halten“, grinste er. Ich hätte ihm am liebsten eine Lektion in Form einer schallenden Ohrfeige verpasst. Schließlich war ich weder auf diesen puddingverdächtigen Eierlikör noch auf irgendwelchen Whiskey scharf gewesen.
„Es reicht völlig aus, wenn du nur ein wenig hinkst“, sagte Hannes gönnerhaft. „Dann fällt es nicht so sehr auf, dass du morgen schon wieder fast normal laufen kannst, nicht wahr, liebe Katja?“ Ich zog es vor, ihm keine Antwort zu geben. Schweigend strebten wir dem Bahnhof zu.
Am einem Kiosk entdeckte ich die „BRAVO“. Zum ersten Mal in meinem Leben kaufte ich mir eine Ausgabe dieser offenbar sehr beliebten Teenager-Zeitung. Auf der Titelseite prangte nämlich ein Foto von Gitte und Rex Gildo. Als ich es entdeckt hatte, fiel mir sofort ihr Schlager vom letzten Winter ein: „Gehn sie aus, vom Stadtpark, die Laternen ...“, und ich erinnnerte mich an jenen Abend, als Irene, Karin, Uschi und ich Arm in Arm (einträchtig wie selten) durch die Straßen unserer Stadt gezogen waren und dabei immer und immer wieder dieses Lied gesungen hatten. Wir kamen auch am Stadtpark vorbei, und ich musste natürlich sofort an Harry denken. Als ich ihn dann am nächsten Morgen in der Schule erblickte, wurde ich richtig nervös.
Aber diese Zeit schien bereits in einer Ferne zu liegen, die mich nicht mehr so recht erreichen wollte, als sei ich stark gealtert, seit ich auf Lachau weilte. Dieser Sommer hatte es in sich. Er schickte sich an, meine Vergangenheit und ein paar Gefühle gänzlich auszulöschen.
„Die sieht ja süß