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aus“, schwärmte Hannes plötzlich und zeigte auf ein Foto von Romy Schneider. „Wie sieht eigentlich deine Freundin Christine aus?“ „So ähnlich wie Romy Schneider“, sagte ich. „Vielleicht noch ein bisschen süßer.“
Hannes bekam seinen Mund nicht mehr zu, liebe Christine. Er erweckte den Eindruck, als wolle er auf der Stelle aus dem Fensterchen hechten und zu dir ins Krankenhaus eilen. Wir saßen nämlich justament im Bus nach Lachau. Der bereits angeschmuddelte Verband brachte mich jetzt schon zur Weißglut. Mein Fuß juckte dermaßen unerträglich, als wucherten Nesseln unter der Haut; aber ich konnte mich natürlich nicht kratzen, weil ausgerechnet an diesen Stellen die feste Bandage saß. Die ersten Häuser von Lachau tauchten auf, als wir gerade dabei waren, die Liebeskummer-Briefe an den fachkundigen Ratgeber zu studieren.
***
„Vergiss bloß nicht, zumindest ein bisschen zu humpeln“, erinnerte mich Hannes an mein neues Leiden, das er mir über Nacht aufgehalst hatte.
Und so kam es, Christine, dass ich die Kastanienallee hinunterhinkte. Die Auffahrt war sorgfältig geharkt, offenbar von Leni; denn Kröger, Heiner und Oskar hielten derart profane Arbeiten für unter ihrer Würde.
„Geharkt! Extra für uns!“, staunte Hannes und warf sich in die Brust. „Und dort hinten thront das Herrenhaus, Hof Lachau. Und die liebe Sonne scheint zur Feier des Tages drauf.“
Tatsächlich, die Fassade des altehrwürdigen Herrenhauses schimmerte recht beeindruckend durch das Laubwerk der alten Linden.
„Das tut sie mittlerweile jeden Tag, Hannes“, holte ich meinen Komplizen, der meinen Arm fest unter den seinen geklemmt hatte, auf den Teppich der Tatsachen zurück. – Das musste vorerst reichen. Mir stand in jenem Moment nicht der Sinn danach, Hannes lang und breit darüber aufzuklären, dass Leni beim Harken mit Sicherheit nicht an ihn oder an mich gedacht hatte. Sollte er ruhig weiterträumen! Ich für meinen Teil war vollauf damit beschäftigt, mich auf mein Gebrechen zu konzentrieren. Manchmal tat ich, als zuckte ich vor Schmerz zusammen. Es war mehr als anstrengend, sich krank zu stellen.
Ein feines Pärchen, wir beide! Vermutlich ein Bild für die Götter! Einen Moment lang wünschte ich mir, die kuschelige Dämmerung in der geöffneten Scheune würde mich einsaugen und verschlucken. Ich würde mich in den alten Kutschwagen legen, ein Viersitzer mit zerschlissenen Lederpolstern und riesigen, altertümlichen Rädern, und träumen – einfach nur so vor mich hin – und mir dabei ausmalen, was dieses Leben noch für mich bereithalten könnte.
Luchs, der im Schatten eines Holunders geruht hatte, kam auf Hannes und mich zugejagt und sprang bellend an uns hoch. Was für eine Begrüßung! Er wedelte freudig mit dem buschigen Schwanz und machte dabei den Eindruck, als lachte er über das ganze liebe Hundegesicht. Nach und nach trat die gesamte Hofbesatzung aus dem Schatten der Veranda und marschierte uns entgegen.
Mir wurde ziemlich mulmig in den Gliedern, als ich sie auf uns zumarschieren sah: An die Spitze des Zuges hatten sich Oma und Leni gesetzt (gestärkte karierte Schürzen, Arme in die breiten Hüften gestemmt, gegen jede Unbill des Lebens gewappnet). Dann folgten in zwangloser Reihenfolge und angeregter Unterhaltung: Gutsinspektor Axel Kröger (Blaubart), Mutti (im langen, fliederfarbenen Chiffon, seufz; der Rocksaum schleifte durch den Staub wie zu Zeiten des Sonnenkönigs), ein paar kreischende, aufgeregte Gänse, die zischelten, ihre langen Hälse vorstreckten und uns voller Triumph entgegenstarrten, als wüssten sie, was Hannes und ich ausgeheckt hatten, und Kauderwelsch gackernde Hühner, in deren Mitte der Goldene Brakel mit hocherhobenem, wackelnden Kamm, gerecktem Hals und aufgeplusterter Kehle albern einherstolzierte, Tante Selma, Kora und Konny, Tante Agnes, Frau Brandner (die eine ihrer waldgrünen, abwaschbaren Schürzen trug, die ihr gut zu Gesicht standen), Opa, Gudrun und Heiner. Der Trupp schien kein Ende zu nehmen. Niemand schien zu arbeiten. Kein Wunder, dass das Gut rote Zahlen schrieb.
„Mannomann, wenn das keine Begrüßung ist! Was wollen wir mehr? Jetzt fehlt nur noch ein Eimer mit kühlem Quittenkompott!“, freute sich Hannes.
Von Helge war gottlob weit und breit keine Spur. Aber auch Kommissar Fuchs schien noch nicht eingetroffen zu sein. Oder hatte er Helge bereits verhaftet? Ohne uns? – Nein! Dann hätten die Mienen des Empfangskomitees entschieden versteinerter dreingeschaut.
Luchs kam wieder auf uns zugesprungen, als wären wir mindestens ein halbes Jahr fortgewesen, und schnüffelte an meinem Fußverband. Dann wandte er sich plötzlich ab – ohne den geringsten Mitleidsblick aus seinen seelenvollen dunklen Augen, als habe er den Betrug durchschaut.
Na, das kann ja heiter werden, dachte ich sorgenvoll.
Die Hitze und meine diffusen Gedanken vibrierten über dem Hof.
Mir wurde leicht übel, als Oma und Leni näher rückten, und ich entschied, dass es am besten sei, mich in die von Hannes angedichtete Krankheit zu flüchten. Ich verzog mein Gesicht zu einer jammervollen Leidensmiene, als könne ich die Schmerzen im Fuß kaum noch ertragen. Mutti löste sich aus dem Geschwader und kam auf mich zugestürzt. „Wie geht es dir, mein armes Kind? Erst Christine und jetzt du!“, rief sie voller Mitleid.
„Stell dich nicht so an, Martha. Katjas Fuß ist nicht gebrochen, sondern nur verstaucht“, fuhr Oma mit scharfer Stimme dazwischen und musterte mich von oben bis unten – nicht minder scharf. Ich konnte mir schon denken, was sie Hannes und mir unterstellte. Aber da täuschte sie sich gewaltig in ihrer Enkelin Katja Kleve! Ich sank an Lenis wogenden, weichen Busen, der durch kein Korsett gebändigt wurde, wie bei Mutti und Oma.
Sie schlang beide Arme um mich und strich mir sanft übers Haar. Dann stand Blaubart plötzlich zur Begrüßung bereit, und ich wechselte urplötzlich meinen Teint: von totenbleich in tomatenrot. Jedenfalls hatte irgendetwas in meinem Inneren zu brodeln begonnen und stieg nun siedend heiß Richtung Kopf. Das Lächeln, mit dem mich der Gutsinspektor betrachtete – er schien es sich mit großer Mühe abgerungen zu haben – verriet nicht allein Skepsis (die wäre ja noch zu ertragen gewesen, liebe Christine), sondern nahezu eine infame, unverhohlene Ironie. Ich wandte mich schnell Frau Brandner zu und rief, wie zur Rettung und Verteidigung meiner Ehre und um ja keine Zweifel an der Versehrtheit eines meiner wichtigsten Gliedmaßen aufkommen zu lassen: „Herzliche Grüße von Doktor Dietmar Drengelmann, ein ehemaliger Schulkamerad von Ihnen aus Lübeck! Er hat