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3 Jahren schrieb Potty nur rote Zahlen. Wie kam das? Auch die Tatsache, dass alle deutschen Mitarbeiter übernommen worden waren, natürlich nicht, was die „big jobs“ betraf, hatte leider in keiner Weise je dazu beigetragen, die Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung zu bestärken oder eben überhaupt erst zu wecken. Was lief da schief? Das musste evaluiert werden.
Immer, wenn Potty von Lubbock aus eine Stippvisite, meist nach Essen, abhielt, war sein Eintreffen im Pottykopter stets eine Sensation. Mit Ehrenspalier, Hoch-Rufen der Angestellten, mit Marschmusik und Ehrengarde. Vergleichbar mit J. Cäsars Heimkehr, im Juli 46 nach der Zeitrechnung, als er seinen Vierfach-Triumph feierte (über Pontos und Gallien, über Mauretanien und Ägypten). Ein unumschränkter, leicht beschränkt wirkender Herrscher, ein Narzisst und Schwerenöter, einer, der sich selbst sehr gern reden hörte, Potty erinnerte in allen Facetten an seinen besten Freund, Don Trump.
Er änderte die Öffnungszeiten, von 7 Uhr an bis Mitternacht, er ließ permanent zwei Mitarbeiter pro Filiale an der Eingangstür applaudieren, er hatte an jeder Kasse zwei bis drei „Einpacker“, die alles, was eingekauft worden war, in riesige Papier-Taschen stopften, oft zum Unwillen der Kunden, und er führte ein, ihn persönlich jeden Tag, früh um 6:45 Uhr, zu lobpreisen, mit einem intonierten „Kier-naaan Pooot-tyyy“, auch zum Ladenschluss, kurz nach Mitternacht. Er ließ gerne heimlich Aufnahmen machen, um sich zu vergewissern, dass die notwendige Leidenschaft, dass Aplomb, im Sinne von Nachdruck, und gewaltige Begeisterung über solch einen großartigen Chef, den evtl. besten Chef überhaupt im Multiversum, wirklich zum Ausdruck gebracht wurden.
Das mehr als groteske Ritual: Um 6:45 Uhr bildeten die Mitarbeiter zwei Reihen. Die eine Reihe rief der anderen zu: "Kier-naaan!" Und die Gegenseite antwortete mit einem lauten "Pooot-tyyy!" Dies in der Art eines Sprechgesangs. Gleich nach dieser gewöhnungsbedürftigen Prozedur kamen die Übungen. Alle mussten mitmachen. Hüpfen, Arme ausgebreitet nach hinten federn lassen, in der Hüfte kreisen, einige Kniebeugen, und dann das schallende, aufmunternde Lachen, das zur Begeisterung für die Arbeit anspornen sollte, und das natürlich auch für den Zusammenhalt sehr wichtig war, zum Abschluss. Nach Mitternacht dann das gleiche Schauspiel. Allerdings dann deutlich müder, Und das "schallende Lachen" geriet zu dieser Zeit mehr zu einem gekünstelt erfreuten Hüsteln. Die Angestellten hassten dieses Ritual. Das blieb auch den Amerikanern in den Chef-Etagen nicht verborgen.
Es wechselten nahezu vierteljährlich die Manager. Wer nur rote Zahlen schreibt, konnte bei Potty nicht damit rechnen, eine Weihnachtsgratifikation zu erhalten. Die vielen Wechsel, der wachsende Unmut unter den deutschen Angestellten („Wir waren ja zu Beginn gern bereit, Enthusiasmus und Verve an den Tag zu legen, aber mit den Jahren ist es immer bizarrer, beknackter geworden hier... Das macht einfach keinen Spaß hier. Da wäre ich lieber bei Netto oder Penny angestellt, echt jetzt...“ Dies der Kommentar eines Potty-Markt-Mitarbeiters aus Köln, Hohe Straße, den wir hier einmal Ferdinand Jacobs nennen wollen), die Arbeitsbedingungen und der ständige Kampf um gerecht verteilte Löhne, all das machte, über die Jahre, aus dem „Großprojekt Potty“ rechtlich und realiter betrachtet, ein Schrott-Unternehmen. Der ermüdende Kampf „mit diesen verfluchten Gewerkschaften“, die Eigenwilligkeit der deutschen Kundschaft, Unruhe, Kummer und Ärger beim Personal, es fehlte nur ein Funke, um die ‘Hindenburg’ zur Fackel werden zu lassen.
Die Konkurrenz rieb sich die Hände. Nicht nur die ‘Großen 3’. Wirklich alle betrachten das Scheitern des Kiernan Potty mit Genugtuung und Häme, mit Spott und den stetig wiederkehrenden Beteuerungen: Aber das haben wir doch gleich gewusst, dass der Typ hier scheitern wird. Du kannst Texas eben nicht nach Essen holen. Das kann ja nicht klappen... Das hätten wir dir gleich sagen können.
Im Frühjahr 2028 gab Potty schließlich auf, um weitere 3,9 Milliarden Euro ärmer. Es war ihm nicht gelungen, schwarze Zahlen zu schreiben. Er hatte sich seine herrlichen und bestechend weißen texanischen Zähne an der Zähigkeit der biederen deutschen Kundschaft ausgebissen. Konservativ und nicht wirklich sonderlich an einer großen Show interessiert, wollten die einfach nur einkaufen. Intuitiv wissen, wo es das Obst gibt, wo der Getränkemarkt ist - und wo es die Frischfleisch-Angebote gibt. Ein Laden muss übersichtlich, aber nicht zu groß sein. Das Verkaufserlebnis sollte kein „Event“ sein, der Käufer muss kein Spektakel erleben, wenn er Weißkohl und Würstchen zu kaufen beabsichtigt. Warum bin ich gleich von 3 Gelb-Roten umgeben, wenn ich nur mal eben eine Flasche Bordeaux hochnehme und begutachte? Und dieser Roboter - was wuselt der eigentlich ständig um mich herum? Immerzu „Haben Sie eine Frage? Haben Sie eine Frage?“ lispelnd. Das Gedröhne aus den Boxen machte die Kunden nasch und narrisch. Die völlig überdreht agierenden Verkäufer konnten auf keinen Fall zur Beruhigung der Lage beitragen. Die Umsätze sanken immer weiter. Diese Pleite hatte kein Boss, kein CEO, je erahnt. Dass dieses Mega-Projekt in Deutschland scheitern könnte, wer hätte so etwas vermutet? Aber wer weiß, vielleicht lag es auch daran, dass keine Frauen in den Führungsetagen zu finden waren?
Das Dröhnen jener Sousa-Märsche aus den vielzähligen Boxen in jeder Filiale hatte ebenso dazu beigetragen, dass die Kunden fern blieben, wie auch der amerikanisch- texanische Touch. Man wollte nicht mit Applaus begrüßt werden, man hatte absolut keinen Bock auf die „Einpack-Helfer“ (viele reagierten aggressiv auf diese zahnenden Ungeheuer in Gelb und Rot), man lachte bald über die Roboter und über Potty selbst, den man nur noch „den Clown“ nannte. Eine Satire-Zeitschrift titelte „Potty muss aufs Potty“ (Potty muss aufs Töpfchen), und meinte damit, dass dem Milliardär (ohne die adelnde Zusätze wie ‘Multi’ oder ‘Mehrfach’) mal einer die Grundlagen der deutschen Philosophie, des Gemüts und der Befindlichkeit allgemein näherzubringen versuchen sollte. Eine Karikatur zierte die Mai-Ausgabe 2028, dort war Kiernan Potty als Texas Longhorn mit eingekniffenem Schwanz zu sehen. Sie verkaufte sich außerordentlich gut in ganz Deutschland. Potty klagte gegen das Magazin, erhielt aber eine Abfuhr, ein Gericht in Essen erläuterte ihm den Begriff „Satire“ recht deutlich. So konnte das Magazin noch einen draufsetzen, im Juni: Der doppelt eingezogene Schwanz des K. Potty! „Schieb bloß ab hier, und nimm deinen Potty-Markt gleich mit!“
So geschah es auch. Im Januar 2029 übernahm, wen wundert´s, die Signa Gruppe rund um René Benko erneut die ehemalige Galeria Karstadt Kaufhof GmbH, jetzt Potty Markt. Es wurden 20 Filialen geschlossen, 1800 Angestellte mussten gehen. Die verfluchen Kiernan Potty noch heute. Der Texaner erhielt für diesen Deal, wie sagt man so schön neudeutsch, „am Ende des Tages“ 240 Millionen Euro, für alle Filialen. Sofort wurden umfangreiche Renovierungsmaßnahmen eingeleitet. Meines Wissens hat es seit dem Sturz des Stalin-Denkmals in Gori, der Geburtsstadt des Diktators in Georgien, keinen solch frenetischen Jubel mehr gegeben wie den, als das Logo in Essen fiel, der Kopf des Weißkopfseeadlers mit dem „Potty“ Schriftzug.
Dabei verunglimpften die Menschen den irisch-stämmigen Texaner, seinen Kopter und all seine (Original-Zitat eines erbosten Zuschauers und Ex-Angestellten des Essener Potty-Markts, des Aushängeschilds des Imperiums) „verfluchten Amerika- Visionen und -Innovationen“. Als auch die letzte Filiale „gefallen war“ (BILD Zeitung), übrigens unter heftigem Applaus der Gaffer und Voyeure, hat man Kiernan L. Potty nie wieder in Deutschland gesehen. Auch den Pottykopter nicht. Interview-Anfragen hat der immer noch Milliardär nie beantwortet. Aber mit Deutschland möchte er, dem Vernehmen nach, nichts mehr zu tun haben. Angeblich soll er mit seiner Abneigung gegen Deutschland und die Deutschen auch seinen Freund, den Ex-Präsidenten D. Trump, regelrecht angesteckt haben. Der twittert in regelmäßigen Abständen etwas von „jenem europäischen Staat, der langsam aber sicher die ganze Welt-Herrschaft an sich zu reißen gedenkt“. Und das mit der ureigenen Attitüde, mit Gleichmut und mit Zähigkeit. Wir merkeln uns langsam zur Spitze. Wir sind stolz auf unsere Werte. Und, ehrlich gesagt, Gemütlichkeit spielt dabei gar keine so große Rolle mehr. Wer soll uns denn noch abfangen? China vielleicht? Ha!
Heute ist Kiernan Potty ein 74jähriger Business man aus Texas, der darum kämpft, seine Filialen des Potty Marts nicht an die Konkurrenz zu verlieren. Denn ganz so gut läuft auch das Geschäft in den Staaten nicht mehr. Die Rezession... Galeria Karstadt Kaufhof dagegen blüht auf. Die Menschen unterstützen das Unternehmen, indem sie regelmäßig dort einkaufen gehen. „Alles ist besser als Potty“, sagte uns auf Anfrage ein Käufer, zufällig ausgewählt, der seinen Namen nannte: Ferdinand Jacobs. Seiner Meinung nach sei es ein Segen, dass René Benko „diese armen Menschen und alle die Filialen aus den Händen des texanischen Teufels gerettet habe“. Eine ältere Frau sagte, sie habe sich bei Potty von diesen -Tütenpackern- regelrecht belästigt und verfolgt gefühlt. Ihr Begleiter ergänzte noch: Dieser Smalltalk-Versuch durch die Angestellten an der Eingangstüre ging mir fürchterlich auf den Senkel. „Wie geht´s Ihnen heute, so schönes Wetter, nicht? Wonach steht Ihnen der Sinn? Haben Sie einen Wunsch? Sie können es mir gerne sagen...“ Furchtbar. Dann wieder die Frau: „Lächeln, immer dieses aufgesetzte und permanente Lächeln. Es hat mich stets verwirrt, dermaßen offenherzig von Fremden angegrient zu werden. Nein, da habe ich nie gern eingekauft, obschon die Preise ganz schön niedrig waren. Aber kleine Preise sind eben nicht alles.“
Die deutschen Werte und Normen, Gepflogenheiten und Eigenheiten nicht wirklich zu beachten, kann ein grober Fehler sein, wie das gescheiterte Projekt Potty so deutlich aufzeigt. Es kostete Kiernan L. Potty letztlich 6,6 Milliarden Euro. Und das nach dem Eingang der 240 Millionen Euro von der Signa Unternehmensgruppe.
Die „Großen Drei“ hier in Deutschland sind, das konnte errechnet werden, durch die Potty-Pleite nur noch mehr gewachsen. Man ist dem Texaner für seinen „Versuch“ letztlich sogar sehr dankbar. Wer zuvor noch kein Kunde war, der wurde es hernach ganz sicher. Potty ist Geschichte. Lernt der Amerikaner daraus? Nein, er will in den Niederlanden unbedingt Potty-Filialen errichten. Die Verhandlungen laufen. Wird es bald, in Amsterdam, zu Jubelstürmen kommen, wenn der Pottykopter auftaucht? Es gilt, abzuwarten und die Dinge zu beobachten. „Welkom, Potje, welkom!“ Und, in bestem niederländischen Humor: „Je kunt het proberen...“
ENDE