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Ich setze mich neben Knut auf die Banklehne.
„Da kommt gleich einer, der wird dich interessieren. Ein Junger.“
„Wieso weißt du, dass der kommt? Wer ist es denn?“
„Ein Neuer. Gestern war der auch da - und vorgestern. Wirst schon sehen.“
Nach einer Dreiviertelstunde kommt von rechts ein junger, dünner Typ. „Schönen guten Abend!“, grüßt er gut gelaunt und geht weiter.
„Der schaut sich um“, sagt Knut. „Sieht aber nicht schlecht aus, gell?“
Der Bursche geht auf die Straße, kommt zurück, geht noch einmal vorbei und bleibt stehen beim Eingang zum Spielplatz. Außer Knut und mir ist keiner da.
„Bisschen mager. Kennt ihr euch?“
„Gestern hat er geredet. Auch ein Schwätzer“, knurrt Knut.
Das Gespräch stockt, wir sehen rüber zu dem Typ. Meine Augen sind im Dunklen nicht gut. Was ich bisher gesehen habe, war nicht übel.
Er geht wieder vor zur Straße, kommt wieder rein und stellt sich hin, zehn Meter links von uns. Er raucht. Wir zünden uns auch eine an. Wie er die Kippe fortgeschnickt hat, geht er wieder vorbei und verschwindet in den Spielplatz rein. Man kann seine Schritte hören.
„Er ist noch drin. Geh ihm doch nach!“, sagt Knut.
Ich bleibe sitzen. Der Bursche kommt vor, guckt sich um, außer uns keiner hier. Wieder geht er rein.
„Ist er noch drin?“, fragt Knut.
„Geh halt schauen!“, sage ich.
Knut bleibt sitzen. Nachrennen hat er nicht nötig.
„Ich sag’s dir, wenn du nicht gehst, geh ich. Sonst haut der bloß ab.“
„Ralf von der schnellen Truppe.“
Ich gehe rüber zum Spielplatz. Der Dünne lehnt am Pfosten und sieht halb in meine Richtung. Ich bleibe stehen. Dann mache ich ein paar Schritte. Er löst sich vom Pfosten, geht stracks vorbei und raus durchs Tor. Im Vorbeigehen dreht er den Kopf, weil er mein Gesicht nicht sehen kann. Niedliches Bubengesicht, schulterlanges dunkles Haar.
Ich merke, dass Knut von der Bank weg ist und, auf seinem Marsch rüber zur dunklen Seite, den Querweg, wo die Lampen die Nacht lang brennen, schon überquert hat. Hat Blut geleckt, denke ich. Der junge Kerl geht so langsam, dass Knut ihn ansprechen wird oder vorbei muss und ins Nichts hinaus, wo keiner ist. Der Hübsche macht immer noch langsamer, der will eingeholt werden.
Jetzt hat Knut ihn fast erreicht. Aber der Hübsche dreht weg, wie wenn nichts wäre, geht vorbei und kommt zurück, zurück auf meine Seite. Knut muss erst noch weiterlaufen, sonst sieht das aus, als renne er hinterher. Hinterherrennen hat Knut nicht nötig.
Der Junge geht vorbei, erst an mir, dann am Spielplatz. Er postiert sich fünfzehn Meter seitlich vom Eingang. Knut taucht auf, subtil im großen Bogen. Er checkt die Stellung, bleibt stehen. Der Knabe steht exakt in der Mitte zwischen Knut und mir. Als würde er sich nichts denken, läuft er los, weg von mir, hin zu Knut.
Sie flüstern; zwei Lichter; sie rauchen.
Sie kommen rüber.
„Das ist der Thomas. Ralf, heut ist dein Glückstag, der Thomas braucht einen Platz zum Schlafen.“
Mit dieser genüsslich ausgeschenkten Information will Knut einen von uns vergackeiern. Ich weiß bloß nicht, ob mich oder den Schwarzen, diesen Thomas.
„Ich hab gesagt, dass ich jemanden such, der mich heimfährt.“
„Wo wohnst du?“, frage ich.
„In Unterschüpfheim.“
Ein Kaff fünfzehn Kilometer weg.
„Ich hab kein Auto, aber, Knut, ist das nicht mehr oder weniger dein Weg?“
Dass Knut keinen in seine Wohnung lässt, weiß man. Nahezu nie. Seine Schwester wohnt im Haus und der Anhang von der. Leute nur durch die Gegend kutschieren, wenn ihm das nichts bringt, das macht Knut aber auch nicht.
„Was ist denn jetzt mit dem BMW?“, fragt er.
„Das zieht sich. Mein Freund hat keine Zeit. Die Tage wird das nix.“
Den sich hinziehenden Verlust eines fahrbaren Untersatzes scheint mein neuer Bekannter wenig tragisch zu nehmen. Eine seidensanfte Stimme hat er.
Knut läuft ein Stück weiter. Wir laufen mit. Er geht zurück zu unserer Stammbank und pflanzt sich auf in der Mitte. Thomas setzt sich rechts, links neben Knut ist nicht viel Platz. Knut zieht die übliche Schau ab.
„So. Also. Wie alt sind wir überhaupt?“
Sechsundzwanzig.
„So alt? Da sind wir ja praktisch ein Jahrgang.“
Fummelt rum am Burschen und sagt: „Fast nur Knochen und so ein dünnes Hemdle! Da friert man schnell. Zum Glück hat der Ralf ‘ne warme Bude. Du bist einer von denen, so gewählt, wie du dich ausdrückst, die sich lassen, seh ich doch richtig.“
Der Hübsche schweigt.
Knut greift ihm zwischen die Beine.
„Ohooh! Da hofft ja einer!“
Würde wetten, dass er noch nicht mal rausgekriegt hat, ob Thomas gut bestückt ist, geschweige sonst was.
„Komm, lass das! Ja? Schließlich lang ich dir auch nicht hin.“
Und tut es gleich.
Knut haut ihm auf die Finger, sagt: „Merk dir das! Was ich darf, darfst du noch lang nicht! Komm erst mal in mein Alter!“
„Aber wie alt bist du?“
Knut nuschelt: „Hm? Ah, so Mitte dreißig.“
Die wahnwitzige Aussage schluckt der Neuzugang ohne Widerspruch.
„Komm, fahr mich heim! Ich muss in mein Bett. Ich muss schaffen morgen.“
Knut sagt: „Daran hättest du denken sollen, als Zeit war für deinen Bus.“
Für Bus habe er momentan kein Geld, erklärt Thomas, bis Monatsende müsse es ohne das gehen. Den Freund muss er schließlich noch zahlen wegen dem BMW.
„Verstehe. Dann musst du dir bei den Schwulen ein paar Mark verdienen.“
„Mit sechzig bist du dabei“, lacht Thomas, „und fährst mich heim.“
„Für sechzig lässt du dich aber bumsen.“
Thomas schweigt.
„Vergiss es!“, sagt Knut, „Glaubst du, ich zahl die für ihr Vergnügen? Bei dem Rohr, was ich hab! Wenn du das siehst, bettelst du, dass ich’s einsteck. Arg dumm, dass der Ralf auch gar kein Geld mehr hat, genau wie du.“
Wie auf ein Stichwort schwenkt Thomas zu mir um.
„Du hast nicht viel? Ich komm dir entgegen. Fünfzig sind okay, oder? Die brauch ich aber schon. Ich hab nichts zum Essen.“
Ich teile mit, dass ich von der Arbeitslosenhilfe lebe. Außerdem, für Geld mache ich das nicht.
Thomas sagt nichts.
Mehrere Minuten lang redet nur einer, Knut.
Geflissentlich ignoriert er den schönen Thomas, richtet sich nur an mich, spricht über den Banknachbarn und zwar so, als wäre er taubstumm oder Ausländer. Ich soll mal ein Herz haben, sagt er.
„Der friert ja schon. Der hat Gänsehaut. Dem klappern die Zähn in der Gosch.“
Meine Wohnung sei so wohnlich und großzügig und niemand kriegt da was mit. „Der arme Thomas! Sogar