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Stadt, noch Frühstück einkaufen geht, an sich eher selten, dass einem das begegnet. Urlaub habe er, sagt Thomas, das hätte er am ersten Abend schon verklickert, sonst würde er hier doch nicht hocken mitten in der Nacht. Er kann den BMW ja richten lassen, weil er ihn nicht braucht für die Arbeit momentan, sonst ginge es nicht. Den BMW gibt es aber, seinen BMW, ein gebrauchter Dreier sei der, es gibt seinen Freund und die Arbeit und der Freund hat den BMW, weil der kaputt ist, Thomas ist nicht in der Arbeit, weil er Urlaub hat.
„Nur die Woche noch. Glaubst du, ich lüg dich an?“
„Kann mir auch egal sein.“
Weil ich mich standhaft weigere, die Sprache darauf zu bringen, ist Thomas schließlich an der Reihe zu sagen: „Findest du’s nicht ziemlich kalt? Wartest du noch auf was? Sollen wir langsam mal gehen? Ich kann bei dir pennen? Nur dieses eine Mal noch! Ab nächste Woche sehen wir uns nicht mehr. Dann bin ich weg. Wärst du noch mal so gut?“
Aber nein, dieses Mal lasse ich es nicht schludern und sich entwickeln, wie es kommt.
„Thomas, ich will, dass du gleich Bescheid weißt. Ich hab dich nicht aus Nettigkeit mitgenommen. Sondern weil ich dich haben wollte. Und dann hab ich dich ja auch gekriegt. Und du hast mein Geld gekriegt. Aber das war’s. Das kommt nicht wieder. Ich gebe kein Geld mehr. Du gefällst mir, ich würd’s wieder machen, hat mir gefallen. Ich nehm dich mit, wenn du einfach schlafen willst. Kein Problem. Aber zahlen für irgendwas werd ich nicht mehr, das muss vorher schon klar sein.“
„Null Problemo“, sagt er, „ich hab nicht viel Bock auf das, heute. Ich komm einfach mit und penn. Dafür berechne ich nichts. Das kriegst du gratis.“
Thomas schläft und ich schlafe nicht.
Es wird langsam hell.
In Wahrheit hatte ich mir etwas mehr versprochen von seiner Begleitung.
Er hat die Unterhose nicht ausgezogen, lag wie ein Brett. Ich habe seine Brust angefasst und „Gut Nacht“ gesagt.
„Gut Nacht, Ralf“, hat er gesagt.
Zum zweiten Mal frühstücken wir. Brötchen gibt es keine. Halbweißbrot, Butter, Marmelade, das muss reichen. Brötchen kaufe ich sonst auch keine, bin ja arbeitslos. Mit den Tassen in der Hand stehen wir auf meinem Balkon, rauchen, sehen der Welt zu, wie sie anfängt zu wimmeln.
Dann hat Thomas es eilig. Wie wenn ihm eine Verabredung eingefallen wäre. Als er mir fest die Hand drückt und ganz starr in die Augen sieht, kommt er mir wie ein Unbekannter vor. Da ist so ein feierlicher Ton. Er scheint überzeugt zu sein, dass wir uns nie mehr begegnen werden.
„Vielen Dank noch mal für alles, Ralf. Du bist wirklich ein feiner Kerl. Ich bin dir sehr dankbar. Du bist einer von denen, wo ich mich als Gast wohl gefühlt habe.“
So gestelzt das alles, beunruhigend endgültig. Gerührt ziehe ich ihn an mich, drücke ihm ein Küsschen auf die Backe.
Ich stehe im Zimmer und sehe nichts. Irgendwie, allmählich dringt das durch, fühle ich mich eher verhohnepiepelt. Als wären seine Worte eine Verkleidung gewesen für etwas, das ich mittlerweile begriffen habe: „Du Depp! Du willst es so.“
Mit einem Mal weiß ich es, schon, bevor ich es sehe. Der Schreibtisch ist leer, mein Geld ist weg. Ich habe mich zuerst noch drei Minuten selbst bedauert, um ihm seinen Vorsprung zu verschaffen.
Wie es gerne ist, ist auch dieses nicht, was es scheint. Weg sind nicht nur die achtzig Mark, die ich vom Dispo gezogen hatte, weg ist ein nagelneuer, viel zu teurer Geldbeutel, weg sind die Adressen meiner Bekannten, Straßen, Haus- und Telefonnummern. Telefonkarten, Plastikkarten.
Dieses Mal bin ich so früh im Park, dass es noch nicht dunkel ist. Noch nie hat Knut mir so gefehlt. Knut wird der Erste sein; dann kommen mehr noch dazu. Haarklein werde ich jedes Fitzelchen, das ich über Thomas weiß, dem Dschungeltelegrafen anvertrauen. Sechsundzwanzig, Mittelscheitel, lange dunkle Haare, dürre Figur, Dreier-BMW, Unterschüpfheim, südbadischer Dialekt, stricht so in der Klasse fünfzig, sechzig Mark, passiv, bi, Marlboro, arbeitet angeblich im Büro, liegt wie das Brett, im Geschäft schon seit zehn Jahren, küsst nicht, beklaut den Gastgeber.
Dann höre ich ihn palavernd vom Tor her sich nähern. Die zweite Stimme ist von einer Frau. Eine Frau bei Einbruch der Nacht im Wichtelschlag.
„Hei, hallo, Ralf, wie geht’s?“, ruft Thomas und hält mir die Hand hin, zum zweiten Mal schon an diesem Tag. Die an seiner Seite ist eine ätzblonde Schnalle, windschnittiges Flunschgesicht, „genervt von euch allen“. Im Alter von Thomas, hat Klamotten, die nicht billig waren. Wäre ich Hetero in meinem Alter, würde ich sie für die heiße Kiste halten, halte sie jedoch für die Nadel im Arsch. Beide rauchen sie langstielige Zigaretten, bleiben vor mir stehen. Sehen mich gelangweilt an.
„Thomas! Wer issen der? Kennst du den?“
Thomas klingt weder ängstlich noch unsicher.
„Das ist der. Wo ich dir erzählt hab. Die zwei.“
„Welche zwei, Thomas?“
Ich glaub das nicht: Die Trine macht das Feuerzeug an und fährt mit der Flamme so dicht gegen meine Augenbälle, als wollte sie sie zu Liebesäpfeln braten.
„Die Zwei. Hier vom Park. Der Eine ist der mit dem BMW. Das ist der Andere.“
„Ah so.“
Was ich verstehe als: „Also können wir weiter.“
Seltsamerweise habe ich einen guten Einfall.
„Das ist aber komisch ...“
Ich angle mir die Hand vom Thomas, drücke herum und beginne, sie liebevoll mit meiner Linken zu streicheln.
„Da haben wir uns angefreundet und kennen uns gut, aber dass du so schöne, schlanke Hände hast, sehe ich zum ersten Mal, diese unheimlich langen Finger! Solche hat sonst kaum einer.“
Was Thomas keine Schweißperlen der Reue auf die Stirn treibt. Immerhin schüttelt er mich fort.
„Quatsch!“, schnauzt die Blonde. „Vielleicht sind die Hände schön, obwohl das nicht mal wahr ist, aber normal sind sie, die sind nicht besonders lang.“
„Wirklich nicht“, sagt Thomas. „Du Ralf, sei mir nicht bös! Ich muss weiter. Ich wünsch dir noch was. Tschüss.“
Knut kommt später auch. Knut hat alles geahnt gehabt und mich im Grunde gewarnt vor diesem Schlawiner.
„Um den hab ich von Anfang an einen Bogen gemacht. Mit gutem Grund. Das musst du doch merken, wenn von mir solche Zeichen kommen!“
Ob Thomas wieder arbeitet und wer die Blonde war und was sie nachts im Schwulenpark zu suchen hatte, ich bekomme es nie heraus. Nach diesem Abend sehe ich ihn nicht wieder im Park. Was aber nicht bedeutet, dass er dort nicht mehr wäre. Knut will ihn mehrfach getroffen und zur Rede gestellt haben.
„Er versteht nicht, um was es geht. Deinen Geldbeutel hat er kein einziges Mal gesehen, meint er. In der Zwischenzeit wirst du gemerkt haben, dass du was verwechselt hast. Es war ein Missverständnis, sagt er.“
„Ein Missverständnis!“
Monate sind vergangen, wir stehen knapp vor dem Winter. Ich bin durch den Hertie gebummelt und nähere mich den Schwingtüren im Basement, als ich jemanden „Missverständnis“ rufen höre. Junge Männerstimme, nur halb bewusst angehört, während ich, weiß nicht, punktgenau im Blick von ihm, der gerufen hat, lande, seine Augen auch mich bemerken und kennen. Thomas.
Thomas zappelt in der Umarmung eines älteren schwulen Mannes, während ich Thomas zusehe, er gleich wegschaut, als er sieht, dass ich es sehe. Bei dem Schwulen handelt es sich um den Kaufhausdetektiv von Hertie, einen sehr, sehr unscheinbaren Herren. Die hiesige Szene hat ihn unter dem Namen „Schnapper-Schorsch“ abgelegt. Schnapper-Schorsch ist nicht oft in den Lokalen, eine Art Szene-VIP ist er dennoch, der einzige Kaufhausdetektiv, den fast jeder Schwule im Umkreis auf Anhieb erkennt.
Ich gehe vorbei an diesem Paar, Schnapper-Schorsch, ein dürrer, schwarzer Thomas, der in Schorschis Klauen wimmert, Missverständnis sagt. Rauskaufen kann einer wie du sich aber allemal.