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Name! Unser Name für die Bestie!" gab Ruth sich kämpferisch. Immerhin, ein wohlwollender Blick vom Chef.
„The raging wolf“? tönte es von Tom. „Nein nein“, meinte Ruth überzeugend, „das ist ja nun wirklich kein guter Name. Wie wäre es denn mit the devilish canaille? Was meint ihr dazu? Ist das was?“ Butterfield schüttelte den Kopf. „Die wenigsten wissen, was eine Kanaille überhaupt ist. Nein, ich schlage vor: The sick beast! The satanic skinnier! The black calamity rude slicer! Naaaa?“
„Hören Sie, Boss, der Name ist das absolut WICHTIGSTE an der ganzen Meldung über den Mord! Wir könnten, ich meine damit, wir von der GuGa, doch, wir könnten unsterblich werden mit einem griffigen Namen, der bald in aller Munde sein wird. Wir müssen uns jetzt echt Mühe geben. Strengt euch an! The rude slicer ist nicht wirklich schlecht. Aber es fehlt ja doch irgendwie das Mystische, Makabre, Malefizische... Ihr wisst schon, eben das Salz in der Suppe. Wie findet ihr das hier? The brazenly brash, sardonically grinning girl macerator (Der unverschämt dreiste, sardonisch grinsende Mädchen-Quäler)? Wäre das nicht mal ein Name für die Ewigkeit? Wir erfinden einfach, dass er bei Ausübung der Morde an der armen Ann-Mildred und der noch viel ärmeren Eve immerzu sardonisch grinste. Auch beim allerschlimmsten Zerstückeln und Zerhäckseln... Er grinste permanent! Ja? Bitte...“ (Ruth bettelte! Sie war, und das wusste sie auch, nur die Nummer 2 hinter Tom Colley)
Tom warf ein: „Wenn er doch ein Zerstückler und Zerhäcksler ist, sollten wir das doch nun ganz sicher mit in den Namen einfließen lassen... Was haltet ihr davon? The bad and always escaping shredder murderer....“ Butterfield, kategorisch: „Wieso entkommt dieser Kerl denn immerzu? Er soll gefälligst nach dem spätestens 8. oder 9. Mord gefasst werden, sonst wird es langweilig für unsere Leserschar!“ Darob Tom, maulend: „Na gut, dann eben the brutal chopper!“ Tom schmollte konzentriert.
„Zu reißerisch“, rief Ruth. „Das geht gar nicht... Bevor wir dem Kerl einen Namen geben, sollten wir die Schlagzeile klären. Ich bin für >The devil’s most terrible slaughter<. Scheint mir geeignet...“ „Aber das haben wir doch schon bei der Graffito-Attacke auf das schöne Rathaus gebracht, nur eben mit „Muckraker“ am Ende... Nee, nicht schon wieder. Na los, Brainstorming. Geht in euch“, befahl Butterfield. Brüten, Sinnieren, brutales Nachdenken. Nach einer Weile, endlich, Meister Tom: „Ich hab´s! Unimaginable horror! Disgusting displayed female body parts found! Grim´s Ditch und Devil´s Dyke - ist denn die furchtbare Gubblecote Witch auferstanden? Wie im Text >Gothick Hertfordshire< 1735 berichtet, ist die Hexe....“
„Stopp!“ brüllte der Herausgeber. „Sofort Schluss damit! Diese Gubblecote Witch haben wir bereits in jeder Hinsicht und ähm unter jedwedem Aspekt zigtausendmal durch die Mangel und die Druckerpresse gequetscht. Schluss damit! Mit der „Witch“ dürfen wir unseren Lesern nie wieder kommen. Nie mehr, verstanden? Ausgelutscht das Thema! Basta!“
Die Gesichtsfarbe des großen Herausgebers hatte eine sehr bedenkliche Farbnuance angenommen. Pathologisch. Die Anwesenden vermuteten einen Blutdruck von 330 zu 220. Eine Zeitlang schwiegen alle. Dann meinte Ruth trocken: „ Renewed insanity act of the assassin (Erneute Wahnsinnstat des Meuchlers!)!“
Tom, ebenso trocken: „Wieso denn e r n e u t ? Hat dieser Bursche nach seinem grauenhaften Doppel-Mord etwa wieder zugeschlagen, ein drittes Mal etwa?“
Ruth: „Ganz genau. Am Wilstone Wear Weiher wurde am späten Nachmittag die dritte, übel zugerichtete Leiche der 17jährigen ähm Esther McKittrick gefunden, mit Stichwunden übersät. Es wird damit klar, dass die Opfer dieses Serien-Killers, Massenmörders, Reihentäters u. Mehrfach-Mörders immer jünger werden. Dieser Mord am Wilstone Wear Weiher ist....“
„Warte“, brüllte Tom und hackte in die Tastatur, „ich komm ja gar nicht mit.... Dieser Mord am Wilstone Wear Weiher ist...? Ja?“ Ruth fuhr fort: „....ist der zunächst letzte in einer Serie von unaussprechlichem Grauen... unaussprech... durchsetzter.... äh... unaussprechlichem Grauen....“ Tom, ein wenig triumphierend: „DEN Satz hast du wohl nicht so ganz durchdacht, was? Nun lass mal stecken, Ruth. Ich denke, ich schreibe es so: >When will the horror finally come to an end?< Nach dem 4. und gleichzeitig dem brutalsten Mord der ganzen Messermord-Meuchel-Serie können wir definitiv sagen: Der Gubblecote Horror scheint kein Ende zu finden.... Wir müssen beinahe täglich über einen neuen Mord berichten. Opfer Nummer fünf und sechs sind gefunden worden. The immensely diabolical ripper strikes again and again! Ein Ende ist nicht in Sicht. Police totally overtaxed (Die Polizei scheint total überfordert!)!“
John Butterfield, nach drei Shots (Dimple, 15 Jahre alt): „Gut, was haben wir also bis jetzt?? Resümieren wir! 6 Morde, jeder bestialischer als der zuvor, immer mit dem Messer. Immer an jünger werdenden weiblichen Opfern, stets rund um Gubblecote. Was wissen wir über den Serienkiller? Er grinst diabolisch....“ Ruth, einwerfend: „Sardonisch!“ John, gekränkt: „Ja ja, sardonisch grinsend bei der Ausübung seiner Wahnsinnstaten, gut gut.... Der Serienkiller bevorzugt blonde Mädchen. Ja, und sie müssen tätowiert sein... Es gibt keinerlei Bezug zur Gubblecote Witch...“ John rülpst. „Und der Mistkerl ist unausgesetzt gut gelaunt, ja, das bitte ich mir aus. Ich verlange (trunken schreit John Butterfield sein Statement hinaus), dass das Schwein immerzu entsetzlich gut gelaunt ist während all seiner SIEBEN Taten! Daher schlage ich, der Herausgeber, diese Schlagzeile vor: The remarkably good-humored head seperator (Der auffällig gut gelaunte Kopf-Abtrenner)....“ Butterfield steckt sich eine teure Zigarre an, eine seiner Sieger-Zigarren.
Langes Schweigen. Ruth, vorsichtig: „Trennt dieses Monster die Köpfe seiner Opfer ab? Ist dem so?“
John Butterfield: „Nun ja.... Wir wissen es nicht ganz sicher. Aber es besteht doch immerhin, rein hypothetisch, die Möglichkeit dazu, dass er... Ich meine.... Er könnte doch.... Er hat ein Messer, richtig? Ein langes, sehr scharfes, entsetzlich scharfes Messer.... Stimmt das bis dahin?“
Tom, der jetzt auch mal was sagen möchte, scharf: „Wir verlieren uns hier in allerlei Mutmaßungen, finde ich. Wir haben einen guten Ruf zu verteidigen. Seit 1948! (Anerkennender Blick vom Herausgeber - das hat satt Punkte gebracht, Ruth tobt, innerlich)! Bei meiner Journalisten-Ehre! Dieses Monster muss zur Strecke gebracht werden. Und nur wir, Leute, WIR sind die Sensations-Reporter der ersten Stunde.... Wir begleiten die Schar unserer vielen Leser, vom ersten Mord an, bis hin zur Aufklärung dieser schrecklichen Serie, vermutlich nach der 8. oder 9. Tat. Von der Gazette wird noch in 70 Jahren berichtet werden, und von unserer heroischen Tat, dieses halslose Monster....“
Ruth, immer auf Fehler ihres Antagonisten lauernd: „Halslos?“
Tom (räuspert sich): „Wie? Haltlos natürlich. Haltlos! Jetzt weiß ich nicht mehr, wie der Satz hätte enden sollen...“
John: „Macht ja nix. Wir kennen nun unsere Schlagzeile. Sie soll lauten: The thrash thug devil and creepy skull shatterer....“ Weiter kommt er nicht. Das Telefon klingelt Sturm. Er geht ran. Es ist Gilbert White. John Butterfield stellt den Lautsprecher an. Der offensichtlich stark angetrunkene White tönt:
„Ey Leute, bin an einer großen Story dran. Messer-Mord in Bovingdon. An einem jungen Mädchen. Schwarz. Ihr könnt folgende Schlagzeile bringen: THE CREEPING HORROR OF GUBBLECOTE! Blutjunge Schwarze wird mit 35 Messerstichen getötet. Der Mörder ist ihr Ex-Lover, Jonathan Ambrose, 23, arbeitslos. Er sitzt schon in Untersuchungshaft, ist geständig. Ich habe hier bereits 8 Fotos, die lasse ich per Taxi in die Redaktion bringen. Wenn´s gut läuft, gehört die Abendausgabe UNS! Tod der Hemel Gazette!“ (Etwas abgewandt, ganz offensichtlich an den Wirt des Black Horse gerichtet: „Nun los, beeile er sich, Gevatter Schankwirt, kredenze er uns noch ein Tröpfchen von seinem allerbesten Branntweine!“)
Blaß und plötzlich völlig nüchtern legt Butterfield auf.
„Tja, Leute, warten wir auf die Fotos. Online-Druck-Start dann um 14 Uhr!“ Sieht auf die Armbanduhr. Murmelt, um Jahre gealtert, tonlos: „Ich gehe nach Hause. Gute Arbeit, Leute, gute Arbeit... Wirklich prima....“
Hängt die Kamera-Ausrüstung wieder an den Haken, geht, leicht schwankend, hinaus. Tom und Ruth bewegungslos vor sich hin starrend.
Lediglich 11 Monate nach diesen Ereignissen gab es keine GuGa mehr. Tom hat ein kleines Taxi-Unternehmen gegründet, Ruth ist Bedienung im Black Horse, White hat in der Lotterie gewonnen und lebt jetzt auf den Bahamas - und John? John bietet eine Gubblecote-Witch-Tour an, zu den schaurig-schönen Plätzen Grim´s Ditch und Devil´s Dyke, mitunter auch an den Wilstone Wear Pond. Das bringt nur marginale Erträge. Und die spendet er arg generös einem gewissen Mr. Dimple. Irgendwie, abschließend betrachtet, eine sehr traurige Geschichte.
- ENDE -