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Veganes im Angebot hat. Trude macht den Eindruck, als könne sie auf den Schreck, den ihr Gatte ihr versetzt hat, eine deftige Mahlzeit vertragen. Debbie hat es aufgegeben, ihren Mitmenschen Predigten über eine humane und gesunde Ernährung zu halten. Sie hat eingesehen, dass es keinen Sinn macht, Leuten etwas aufzuzwingen, das diese weder einsehen noch wirklich wollen.
Trude verfeinert die Aalsuppe, ein süß-saurer Gemüsesud, der außer Aal fast „aalens“ enthält, mit den letzten Tränen und blüht von Löffel zu Löffel sichtlich auf, was Debbie erleichtert zur Kenntnis nimmt.
„Woher hast du unsere Telefonnummer, Trude?“, fragt Milena ihr neues Vereinsmitglied am späten Nachmittag.
„Na die steht doch im Hamburg-Handbuch“, grient Trude, die in der Telefonzentrale mitarbeiten will und was von „Privatvermögen, das sie in die Firma investieren könne“, anklingen ließ.
„Die trag ich schon fast zwei Jahre mit mir ‘rum ‑ seit Pascal mich vorletztes Jahr auf Madagaskar ‘vergessen’ hat.“
„Schwein“, sagt Milena.
„Zu sauber für den“, feixt Trude.
Nachdem der Einsatzplan zwischen den Festtagen abgesabbelt ist, erteilt Milena letzte Ratschläge für die Aktion „Überraschung am Heiligabend“, die speziell für Debbie und Tessa von Interesse sind.
„Und ruft sofort an, wenn ihr soweit seid, Mädels, damit wir noch die Geburt des Kindleins feiern können“, ruft Milena den Freundinnen hinterher, die Arm im Arm das Büro verlassen.Tessa winkt übermütig, während Debbie sich umschaut und lacht.
Rupert steht auf seinem Balkon und hält Ausschau nach Ariane, die jeden Moment eintreffen muss. Er hat die Wohnung gewienert und mit Weihnachtsgirlanden herausgeputzt; er hat die Nordmanntanne geschmückt und die Handtasche aus feinstem Leder, sein Geschenk für Ariane, liebevoll verpackt und unter die herabhängenden Zweige des Christbaums geschoben. Der Tisch ist festlich gedeckt und die „Finkenwerder Scholle“, Arianes Leibgericht, ruht in der warmen Bratröhre.
Rupert streicht sich mit einer Möwenfeder aus dem Blumenkasten über das in froher Erwartung erhitzte Gesicht. Er hat schon etliche Gläser Wein intus.
„Vielleicht gelingt es mir heute, sie aus der Reserve zu locken“, denkt Rupert. Bisher hat sich Ariane eher „zugeknöpft“ gezeigt.
„Gib mir noch ein wenig Zeit, Rupi; das läuft uns nicht weg“, hat sie ihm neulich zugeflüstert, als er nach einem Zungenkuss aufs Ganze gehen wollte.
„Sie ist eben was Besonderes, keine billige ‘Ische’“, denkt Rupert und erschrickt, als die Klingel an der Wohnungstür schnarrt. Er hat Ariane nicht kommen sehen und, wie so oft in letzter Zeit, den erotischen Träumen nachgehangen, die sie in ihm weckt. Rupert eilt zur Tür, reißt sie auf und schließt die dunkelhaarige Frau im Minirock in seine Arme. Sie ist mittelgroß, fast so groß wie er und sehr schlank. Ariane löst sich sanft von ihrem stürmischen Freund und zieht einen Shopper in den Flur.
„Weihnachtsgeschenke ‑ für Dich, Rupilein“, lächelt sie. „Aber das Beste kommt noch“, sie blickt auf ihre Armbanduhr, „... in gut anderthalb Stunden. Ü-ber-raaa-schung!“ ‑ Rupert lächelt selig. Ihm ist unbeschreiblich wohl und warm zumute ‑ als sei der Himmel mit zum Anbeißen verführerischen Ariane-Englein bestückt.
„Hervorragend“, sagt Ariane nach der Roten Grütze. „Du kochst ganz hervorragend, Rupi. So gut hab’ ich schon lange nicht mehr gegessen. Und jetzt gibt es ‘Bohnen, Birnen und Speck’, das Essen braucht nur noch aufgewärmt zu werden.“
„Klingt verlockend, aber ich bin voll bis an die Mandeln“, stöhnt Rupert.
„Sei kein Spielverderber, Rupilein“, schmeichelt Ariane. „Einen Teller schaffst du noch locker. Du musst doch bei Kräften sein, wenn Knecht Ruprecht auf der Matte steht.“
„Wieso“, grinst Rupert, „hast du einen Boxkampf zwischen mir und dem Kerl arrangiert?“
„Das wäre zuviel gesagt, Schatz“, sagt Ariane und lächelt geheimnisvoll.
„Was hältst du davon, wenn wir den Weihnachtsmann zum Essen einladen?“
„Kommt darauf an, was er alles in seinem Sack hat“, grient Rupert eindeutig zweideutig.
„Ich mag solche Zoten nicht“, sagt Ariane. Auf ihrem Gesicht liegt eine Kaltfront, die Sturm ankündigt.
„Tschuldigung“, sagt Rupert geknickt, „aber das passte grad so gut.“
Bevor Ariane ausschwitzen kann, was ihr auf der Zunge liegt, lärmt die Türklingel.
„Ich geh’ schon“, sagt sie, und Rupert freut sich, dass sie sich bei ihm wie zu Hause fühlt.
„Da bist du ja endlich, Knecht Ruprecht“, hört er sie im Flur plaudern. „Wir warten schon auf dich. Hast du denn auch Geschenke für Rupert mitgebracht?“
„Sofern er artig war“, brummt der Weihnachtsmann mit verstellter Stimme, die sich vergeblich um Tiefe bemüht, und Rupert vermutet, dass sich unter dem putzigen roten Kostüm, das auf zwei Beinen hinter Ariane ins Wohnzimmer stiefelt, ein im Stimmbruch befindlicher Azubi verbirgt, ein armes Luder, das einer Portion ‘Birnen, Bohnen und Speck’ nicht abgeneigt ist.
„Warst du denn auch artig, Rupert?“, fragt ihn der lächerliche Kerl mit der lächerlichen Stimme.
„Aber hallo“, grient Rupert amüsiert.
„Mir ist da was zu Ohren gekommen ...“, zweifelt der Weihnachtsmann.
„Wie?“, fragt Ariane mit gespieltem Erstaunen. „Ist Rupert nicht artig gewesen?“
„Nicht wirklich“, sagt der Grünschnabel in der albernen Verkleidung, macht einen Schritt auf Rupert zu und fragt: „Bist du nicht mit Debbie verheiratet, die du während der letzten vier Jahren achtmal ausgesetzt hast?“
„Wie?“, fragt Ariane entsetzt. „Du bist verheiratet, Rupi?“
Rupert fühlt sich unbehaglich. Ihm ist extrem plümerant zumute. Er hat viel zu viel gegessen und muss sich zusammenreißen, um nicht in einer Tour zu rülpsen.
Der Weihnachtsmann lässt seine Hand in der Tasche seiner roten Joppe verschwinden, und ehe Rupert sich versieht, blickt er geradewegs in die Mündung einer Remington, die Firmenwaffe der City-Tauben.
„Hände hoch und keine Bewegung“, sagt Knecht Ruprecht und reißt sich die Maske vom Gesicht.
Rupert stockt das Blut in den Adern, als er in Debbies polarblaue Schneesterne blickt, zwei schmale Gletscherspalten, die ihn anfrosten. Ihm rieselt ein eiskalter Schauer über den Rücken.
„Ü-ber-raaa-schung“, flötet Ariane.
„Fessel den Schuft“, sagt Debbie, er hat es nicht anders verdient.
„Wie hat der dich immer genannt, Debbielein?“, fragt Ariane.
„‘Depp’ hat dieser Piesepampel mich häufig gerufen, Tessa-Schatz“, sagt Debbie.
„Tessa? ‑ Ich dachte ... du heißt ... du bist ... A-r-i-a-n-e“, stöhnt Rupert, von „Wolke sieben“ auf die Erde herabgepurzelt.
„Schnauze“, zischt Tessa, „sonst verpass ich dir ‘nen Knebel“. Sie schließt ein Paar Klickmänner um Ruperts Handgelenke und fesselt seine Beine mit einer alten Wäscheschnur, während Debbie, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, ihren Gatten mit der Remington in Schach hält.
„Wo könnte man die Knalltüte denn mal aussetzen, Debbie, mein Herzchen?“, fragt Tessa und haucht einen Kuss auf Debbies zart gerötete Wange. Rupert macht große Augen, die zwischen den Gesichtern der Frauen hin- und herwandern.
„Igittigitt, denkt er, „hoffentlich knutschen die sich nicht auch noch vor meiner Nase ab“, und dreht angeekelt den Kopf zur Seite. Weiber, die keine Männer brauchen, sind ihm im höchsten Maße suspekt; ...kommen sich wer weiß wie schlau vor, diese hochmütigen Klunten.
„Alternwerder“, sagt Debbie, „wir setzen ihn in Alternwerder aus. Da ist schon seit Jahren „tote Hose“. Nichts als Container und Brachland, außer der St. Gertrud Kirche inklusive Totenacker.“
„Hervorragend, Debbie. Dort kann er auch gleich begraben werden“, sagt Tessa. „Apropos ‘tote’ Hose. Wie war der Klookschieter eigentlich im Bett?“
„Nicht der Rede wert“, grient Debbie und reicht ihrer Freundin den Firmencolt.
„Halt ihn mal kurz in Schach, Tessa, sweetheart, der ist auch gefesselt unberechenbar; ich stöbere derweil seine Scheckkarte auf, möglicherweise liegen in der Vitrine auch noch Pieselotten.
„Zuerst die K.o.-Tropfen, Debbie, darling“, sagt Tessa, „damit er nicht gleich wieder ausbüxen kann, nachdem wir seinen stattlichen Moors auf Altenwerder Grundeis gehievt haben.“
„Hast Recht, honey“, sagt Debbie. „aber sollte er nicht vorher einen Teller ‘Bohnen, Birnen und Speck’ zu sich nehmen, sozusagen auf Vorrat?“
„Besser nicht“, sagt Tessa. „Womöglich kotzt er uns während des Transports den Wagen voll.“
„Und wann wacht die Niete wieder auf, Tessalein? Oder wollen wir ihn erfrieren lassen?“, erkundigt sich Debbie, während sie Rupert die Tropfen einflößt. Wie geschmiert geht das, nachdem sie ihm eine Hongkongschwalbe verpasst hat; Rupi hat partout seinen Mund nicht öffnen wollen.
„Sobald die Orgel zur Mitternachtsmesse ertönt ‑ falls er bis dahin noch am Leben ist, angel“, gurrt Tessa und schnappt sich Ruperts Handy, das Debbie beschlagnahmt und auf den Couchtisch gelegt hat; sie will Milena mitteilen, dass Rupert in zehn Minuten transportfähig ist.
„Der da drüben ist regelrecht hingerichtet worden“, informiert Jo Rossko, Pathologe am Gerichtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Eppendorf KHK Wenzel. „Und dieser Weihnachtsmann hier hat post mortem einen Streifschuss abbekommen. Sehen Sie die Schmauchspuren am oberen linken Jackenärmel? Der Mann ist auch keinesfalls erfroren, wie man bei dieser Kälte annehmen könnte; er hat schlicht und einfach zuviel gefressen – bis zum Herzstillstand.“
„Hier liegen jede Menge Kochtöpfe rum“, mischt sich Wenzels Kollege Sandro Hilker ins Gespräch. „Weisen noch Reste von ‘Labskaus’ und ‘Bohnen mit Birnen und Speck’ auf.“
„Wer den wohl hier ausgesetzt hat“, wundert sich Rossko. „Wenn er ein Handy dabeigehabt hätte, hätte er die City-Tauben alarmieren können. Die seuten Deerns sind rund um die Uhr im Einsatz.“
„Die kümmern sich doch ausschließlich um weibliche Personen“, wirft Hilker ein.
„Zur Feier des Tages hätten ‘die Tauben’ gewiss mal ‘ne Ausnahme gemacht“, sagt Wenzel. „Patente Frau, diese Milena Mandres, nimmt uns ‘ne Menge Arbeit ab.“
Hilkers ist verärgert.
„Dumm gelaufen, Mila“, sagt er. „Ich habe fest damit gerechnet, dass Bergius Debbies Kerl gleich miterledigt. Nicht mal mehr auf Killer ist Verlass. Wenn meine Kollegen Debbies DNA auf dem Kostümplünnen finden, sind wir geliefert. Rupert als Weihnachtsmann zu verkleiden, war nicht komisch, sondern im höchsten Maße unvorsichtig.“
„Keine Panik, Sandro.‘Depp’ gilt nach wie vor als vermisst und wird morgen mit Tessa am Ende der Welt sein“, beruhigt Milena ihren Lover.
„Und wer steht als Nächster auf deiner Liste?“, erkundigt sich Hilker.
„Trudes Mann ‑ bevor er sich mit seiner Geliebten und Trudes Vermögen ins Ausland absetzt. ‑ Fröhliche Weihnachten, Sandro“, sagt Milena und löscht das Licht.