„Glaubst du, dass unsere Forensiker noch DNA aus dem Skelett des Kindes extrahieren können, um Leander Koska definitiv als Vater auszuschließen?“, fragte ich.
„Kannst du nicht wenigstens ein einziges Mal auf meine Fragen antworten, Nora?“, warf Marc mir vor. „Wie sollen wir vernünftig miteinander arbeiten, wenn nichts zwischen uns geklärt ist?“
„Stefan hat mich nach Weidenbach geschickt, damit ich den Mord an Brenda aufkläre, und nicht, damit ich stundenlang mit dir zu über unsere Beziehung diskutiere - die im Übrigen überhaupt nicht existiert. Ich habe schließlich keineswegs vor, Hausfrau zu werden, sondern möchte meinen Job so lange und so gut wie nur irgend möglich machen. Lass uns bitte sachlich bleiben, Marc. - Und was Frank von Anger betrifft: Nein, ich möchte diesen Fall zusammen mit dir klären und nicht mit ihm.“
„Na gut“, sagte Marc. „Es gibt die molekularbiologische Verwandtschafts-Bestimmung in Skelettresten, und darauf setze ich momentan meine ganze Hoffnung. Mit dem DNA-Material von Leander, wir haben verschiedene Haarproben und Kleidungsstücke in der Blankeneser Villa gefunden, könnte ein biologisches Profil des Kindes erstellt werden. Sofern das Skelett nicht bereits zu stark verwest ist, was in unserem Fall nicht zutrifft -, zumindest der Schädel des Kindes ist dank der günstigen Bodenverhältnisse gut erhalten - dürfte es meines Erachtens nach keine Schwierigkeiten bereiten, eine Vaterschaftsbestimmung vorzunehmen.“
„Gut. Dann nehmen wir jetzt dieses Klassenbuch mit – es könnte ein Beweis dafür sein, dass es in jenem Jahr Vorkommnisse in der Schule gab, die nicht ans Licht kommen sollen. Ob sie mit Brenda zu tun haben, lässt sich allerdings nicht beweisen. Lass uns bitte noch kurz einen Blick in die anderen Klassenbücher werfen. Möglicherweise hat sich irgendein Schüler einen Scherz erlaubt. Dann springt die gute Frau Meyerhoff im Karee.“
„Ich war es jedenfalls nicht“, sagte Marc. „Weshalb sollte ich auch? Und überhaupt ging ich zu jener Zeit nicht mehr auf eure Schule.“
„Hab' ich dich mit irgendeinem Wort verdächtigt?“
Marc sah mich an und schüttelte den Kopf.
„Verbal zumindest nicht, aber bei dir kann man nie wissen.“
„Falls du vorhast, mich weiterhin zu beleidigen, können wir die Zusammenarbeit auch ganz lassen. Dann arbeite ich doch lieber mit Frank zusammen. Der hat noch nie versucht, einen Streit vom Zaun zu brechen.“
„Die anderen Klassenbücher scheinen in Ordnung zu sein, Nora. Ich nehme vorsichtshalber noch die beiden von 1990 und 1992 mit.“
„Weshalb machst ausgerechnet du mir den Vorwurf, dass ich nicht genug auf dich eingehe, ausgerechnet du, Marc, der ständig meinen Fragen ausweicht und nie konkret antwortet.
„Wollen wir den ganzen Mist jetzt vergessen, Nora? Ich habe heute mein Training abgesagt, um mit dir über den Fall zu brüten.“
„Ich brauche keinen Streit, Marc. Mir liegt lediglich daran, dass dieser Fall möglichst schnell geklärt wird.“
„Damit du wieder nach Hellerburg kannst?“
„Auch! Stefanie hat mir erzählt, dass „Lassie“ nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus in eine Reha-Klinik muss. Kannst du dir vorstellen, was das für das Hellerburger Präsidium bedeutet? Unser Dezernat ist praktisch über Monate hinweg ohne Regie.“
„Von Anger hat die Leitung eures Dezernats kurzfristig übernommen; das habe ich heute Morgen von Hansen erfahren.“
„Gut“, sagte ich. „Dann läuft dort wenigstens nicht alles schief.“
„Jensen könnte auch der Vater des Kindes sein.“
„Ich dachte, Jensen ist Brendas Halbbruder?“
„Schon“, sagte Marc. „Aber ob er das auch weiß bzw. wusste, als er ...
„Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass Jensen Kontakt zu Brenda hatte.“
„Das Gegenteil kannst du aber auch nicht beweisen, Nora. -
Schließt du bitte die Kellertür ab und bringst den Schlüssel zurück? Ich setze mich schon mal ins Auto und schaue die anderen Klassenbücher durch.“
Als ich zum Parkplatz kam, waren weder Marc noch die drei Klassenbücher auffindbar. Das Auto war leer. Ich setzte mich auf eine hölzerne Bank ohne Lehne, die neben dem Pausenhof stand. Nach etwa zehn Minuten kam Frau Meyerhoff durch das geöffnete Portal gelaufen und fragte mich, auf wen ich warte oder ob ich etwa wieder in die Schule gehen wolle.
„Haben Sie meinen Kollegen irgendwo gesehen?“
„Rein zufällig“, sagte Denzels Sekretärin. „Als ich vorhin mal kurz aus dem Fenster schaute, begleitete er einen älteren Herrn in das Hochhaus am Finstergang. Ein Hund war, meine ich, auch dabei.“
„Danke, Frau Meyerhoff; sie haben mir sehr geholfen. Ich hätte hier womöglich noch ewig gewartet.“
„Sofern Sie den Lärm ausgehalten hätten; es klingelt nämlich gleich zur Pause.“
Ich läutete bei Herrn Kollberg, der umgehend die Tür öffnete. Santo kam herbeigesprungen, bellte wie verrückt und sprang vor Freude im Kreis.
„Das macht er sonst nie“, sagte Herr Kollberg. „Den Postboten will er jedes Mal beißen. Ich muss ihn einsperren, wenn der mir mal ein Paket bringt.“
„Wie bitte?“, fragte Marc. „Santo trägt auch Post aus?" - Kollberg lachte.
„Santo hat eben einen guten Geschmack“, sagte Marc und hielt meinen Blick fest. Er stand in der Tür, die vermutlich zu Kollbergs Wohnzimmer führte, und hielt einen Fetzen aus rosa Baumwollstoff in der Hand.
„Was hütest du so sorgsam?“, fragte ich.
„Sieht aus wie Stück von einem Babyjäckchen, nicht wahr? Santo hat das Teil auf einem der Abendspaziergänge gefunden, die Herr Kollberg täglich durch den Finstergang mit ihm unternimmt – und jetzt kommt die Sensation: vor mehr als acht Jahren schon. Herr Kollberg hat den Stoff damals nur mit in die Wohnung genommen, weil Santo sich nicht davon trennen wollte – und aufbewahrt, der gute Mann. Als er mich vorhin im Auto sah, fiel ihm der Fund glücklicherweise wieder ein. Ich bin dann gleich mit zu ihn, weil das einfach überwältigend ist, Nora.“
„Es könnten DNA-Spuren dran sein. Die werden dann abgeklebt; winzige Hautabriebpartikel, aus denen man das DNA-Profil des Mörders oder das der Mörderin bestimmen kann, sofern das Kind keines natürlichen Todes gestorben ist, und, was in unserem Fall ganz besonders von Bedeutung ist: Man könnte damit den Vater des Kindes finden, falls eine Knochenanalyse nicht mehr möglich sein sollte“, sagte ich. „DNA haftet auf Kleidungsstücken besonders gut. Sogar in gewaschener Kleidung kann man noch Mikrospuren finden. Leg den Stoff bitte in eine Plastikhülle, Marc.“
„Wird gemacht Chefin. Santo, ich liebe dich, du guter Hund, nicht nur, weil du Nora das Leben gerettet hast“, sagte Marc und küsste Santos gespitzte Ohren. Beide waren bester Laune.
„Morgen bekommst du was Gutes zu fressen, Santo. Sind Sie gegen Abend zu Hause, Herr Kollberg?“, fragte ich, nachdem wir uns verabschiedet hatten.
„Sagen Sie, wann Sie es einrichten können, Frau Merane; ich richte mich nach Ihnen, bin ja ein alter Mann und langweile mich eh den halben Tag.“
„Ich rufe Sie vorher an, einverstanden? - Marc, du hast doch Herrn Kollbergs Handy-Nummer noch gespeichert?“
„Klar“, sagte Marc, „tschüss, Santo - und sollten unsere Techniker auf dem Fetzen DNA finden, wirst du berühmt, das verspreche ich dir.“
„Haben wir ein Glück“, sagte Marc, als wir mit dem Fahrstuhl nach oben ins Appartement fuhren. Ich wollte eine Kleinigkeit essen; mir war ziemlich flau im Magen.
Ich stand in der Küche und schmierte Brötchen, als Marcs Handy im Wohnzimmer klingelte. Seine Stimme drang durch die geöffneten Türen zu mir hinüber. Sie klang rau und sehr aufgeregt, und mir wurde augenblicklich klar, dass irgendetwas geschehen sein musste, das mit Brendas gewaltsamem Tod im Zusammenhang stand.
Es geht am 03. Januar 2017! weiter und wird noch spannender - das verspreche ich.
Allen, die bis hierher gelesen haben: Ein frohes, glückliches Neues Jahr und einen guten "Rutsch" hinein.
LG Annelie
Kommentare
Die Spannung bleibt, der Hund spielt mit:
So was hält stark den Krimi fit!
(Bloß Krause kennt sich nicht mehr aus:
"War SANTO nich der NIKOLAUS?!")
LG Axel
Nein, liebe Bertha, SANTO war der Weihnachtsmann;
jetzt bin ich müd' - und Du bist dran!
Gute Nacht!
LG Annelie