Der Geschlagene

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Der Geschlagene

Erzählung von
Hans Werner

Wie hatte alles angefangen?
Sven Müller war ein junger Mann von hübschem Aussehen und geschmeidigen Umgangsformen, er hatte gepflegte Hände und sanfte Augen, er war, wie man sagt, ein "Softie". Alle beneideten ihn um seine makellose Frau, ein Abbild perfekter Schönheit, gewissermaßen ein Double von Claudia Schiffer. Kim, geborene Habermehl, wurde von allen als äußerst begehrenswert erachtet. Fein geschnittenes Gesicht, sportliche Figur, eine sehr flotte, agile Art, sich zu bewegen, dazu ein heiteres Naturell, das Unternehmungslust verriet, eine Art, mit den Augen zu spielen, Blicke zu versenden, die jeden reizen musste, der für jungen weiblichen Charme überhaupt eine Antenne besaß. Überdies schien die Frau Charakter zu haben. Ihre Ehe mit Sven galt als mustergültig und stabil, war vorbildhaft.

Nun saß Sven in Untersuchungshaft. Er hatte Unterschlagungen größeren Ausmaßes begangen. Warum? Ja, das war die Frage. Niemand konnte ihn verstehen. Denn er galt als glücklich. Als Aushängeschild eines perfekt realisierten jungen Familienglücks. Mit seiner hübschen jungen Gattin war er auf jeder mondänen Gesellschaft gern gesehen. Wenn sie an seiner Seite irgendwo erschien, dann bildete sich um sie herum sofort ein Hofstaat andächtig lauschender Menschen. Stets entstand dann Gelächter und Geplauder um sie herum und die beiden schwebten auf einer Wolke gesellschaftlicher Akzeptanz. Nie hatten sie sich über mangelnde Einladungen zu beklagen. Der private Terminkalender war stets gefüllt.

Als Dr. Hauser, Chef des Bankunternehmens, bei dem Sven bisher gearbeitet hatte, zu ihm in die Zelle trat, musste er zweimal hinschauen, denn er erkannte seinen ehemaligen Mitarbeiter nicht wieder. Wie ein Häuflein Elend saß er in der Ecke, zusammengekauert auf einem Stühlchen, das man ihm bereitgestellt hatte. Kaum dass er imstande war, seinen Blick zu heben, als er seinen Chef gewahrte.
"Mensch Müller, was machen Sie für Sachen!", sprach dieser ihn an und klopfte ihm dabei leicht auf die Schulter.
"Au, nicht da, da hab ich Schmerzen." Svens Gesicht verzog sich zu einer leidenden Grimasse.
"Entschuldigung. Ich wollte Ihnen nicht weh tun. Was fehlt Ihnen? Haben Sie sich verletzt, oder leiden Sie an Rheumatismus?", erkundigte er sich, mit ehrlicher Teilnahme.
"Ich kann's Ihnen nicht sagen!", erwiderte Sven, die Augen niederschlagend.
"Na, nun sagen Sie schon. Ich bin doch Ihr Chef! Sie hatten doch immer volles Vertrauen zu mir."
Und so kam nach einigem Zögern ein langes Gespräch zustande, eine Art Lebensbeichte, die Dr. Hauser die Augen öffnete über ein abgrundtief tragisches Menschenschicksal, das er in dieser Art nie und nimmer hinter der Fassade dieses nach außen so glücklichen Lebens vermutet hätte.
Wie hatte alles begonnen?

Sven wuchs in einer konservativ bürgerlichen Familie heran, wohlbehütet und auch wohlerzogen, vor allem von seiner Mutter, die ihm die Meinung beibrachte, dass es sehr viele brave Mädchen gebe, die nur darauf warteten, von einem ritterlichen Manne entdeckt und in die Ehe abgeholt zu werden. Ja, Ritterlichkeit und galante Zuvorkommenheit Damen gegenüber waren die Leitlinien der Erziehung, die seine Mutter ihm angedeihen ließ. Er machte in der Bank seine Lehre, war fleißig und zielstrebig, sorgsam bemüht, es immer allen recht zu machen, und nichts konnte ihn mehr verdrießen als ein Tadel seiner Vorgesetzten. Da konnte es schon einmal geschehen, dass er, wenn ihm irgendein Versehen unterlief, zu weinen anfing und seine Tränen über das eigene Versagen kaum vor den witzelnden und lachenden Mitarbeitern verbergen konnte. Aber sonst war er ein angenehmer Mitarbeiter, smart und clever, ab und zu auch witzig, er konnte lustige Geschichten erzählen, war gefällig und mitteilsam, manchmal auch etwas zu unvorsichtig in seiner Offenherzigkeit. Aber alle liebten ihn. Niemand wollte ihm gram sein. Man hegte und pflegte ihn wie ein Muttersöhnchen.
Bei einem Betriebsfest, das die hiesige Bank mit anderen Banken zusammen veranstaltete, lernte Sven seine künftige Frau kennen, Kim Habermehl. Sie war eine adrette junge Dame, gerade gewachsen, biegsam und sportlich, sie besaß geschliffene Umgangsformen. Sie schritt mit katzenhafter Geschmeidigkeit. Ihre Glieder schienen dabei formvollendet zu fließen. Kurz zuvor hatte Sven einen Kursus in den üblichen Modetänzen absolviert und fühlte sich der gängigen Tanzschritte mächtig. So wagte er es, sie aufzufordern:
"Würden Sie mit mir tanzen?, sagte er, alle Freundlichkeit in seine Stimme legend.
"Aber gewiss doch, junger Mann!", erwiderte sie, mit leichter Ironie.
Dann bewegten sie sich auf dem Parkett, so tadellos, dass die älteren Semester erfreut von den Tischen herüber sahen und das junge Paar mit Vergnügen betrachteten.
Beim Tanzen versandte Kim aus ihren grünen Augen tiefe Blicke in Svens gutmütige Seele, die wie ein Seerosenblatt offen vor ihr ausgebreitet lag. In diesen Blicken loderte lüsternes Feuer, eine Leidenschaft, wie glühende Kohlen, die nur darauf zu warten schien, dass man sie zu hellen Flammen entfache. Sven war hingerissen. Eigentlich hatte man es diesem jungen, aber doch etwas betulichen Bürgerjüngling gar nicht zugetraut, dass er eine solche Dame wie Kim Habermehl erobern könnte. Alle waren darüber erstaunt, dass Kim sich mit Sven abgab, sich von ihm nach Hause begleiten ließ und binnen kurzer Frist sogar in eine Eheschließung einwilligte.

Was war weiter geschehen? Nur zögernd berichtete Sven seinem Chef vom Innenleben seiner Ehe, die im Städtchen als sehr glücklich galt.

Kim war zunächst eine vorbildliche Gattin, eine gute Frau. Sie umgab Sven mit allen Annehmlichkeiten, die sich ein junger Mann auch nur wünschen kann. Vor allem in dem einen Punkt, den man augenzwinkernd als die "eheliche Pflicht" bezeichnet, war Kim äußerst zuverlässig, hingabebereit, aber auch anspruchsvoll. Wenn sie sich auf ehelichem Lager zusammenfanden, dann entfaltete Kim mit ihrem jungen sportlichen Körper eine solche Beweglichkeit, dass dem guten Sven, der an sich auch nicht übel gebaut war und auch über gewisse Kräfte verfügte, doch zuweilen der Atem stockte. Und wenn dann ihre Lust dem Höhepunkt zustrebte, dann konnte es schon passieren, dass Kim ihren jungen Mann, der ja nun mit nacktem ungeschütztem Körper auf ihr lag, anfeuerte, ihm sanfte Liebesschläge auf sein Hinterteil schmetterte, welche ihn elektrisierten und seine Manneskraft von neuem emporschnellen ließen. Diese Liebesspiele gingen so weit, dass Kim im Laufe der Zeit ihren jungen Mann immer mehr als ein Spielzeug betrachtete und ihn sich sogar, wenn er gekleidet vor ihr stand, nackt vorstellte und dabei ihr

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