Einöde

Bild für die Seite von Daniel G. Spieker
von Daniel G. Spieker

Ok, also, das ist der Versuch eines Tagebuchs, also in Audioform. Mein Diktiergerät halt. Heute ist der 23.2.
Mal schauen wie's wird. Rund zwei Wochen bin ich jetzt schon in dieser Einöde, zwölf Tage um genau zu sein. Bin noch nicht ganz sicher was das genau wird, ein Rückzug aus der Gesellschaft? Meine ganz persönliche Rebellion? Selbstfindung? Keine Ahnung. Drei Monate in der Wüste, einfach mal raus aus dem Alltag.
Fernab von Internet und anderen Menschen, eine kleine Hütte in der Wüste mit einem Sofa, einem Bett, einem Kühlschrank, einem Herd, jeder Menge Büchern und einem alten Radio. Das Radio, dass was menschlichem Kontakt wohl noch am nächsten kommt.
Der Empfang ist scheiße und man versteht auch nur zu gewissen Uhrzeiten wirklich etwas. Ich weiß nicht warum, vielleicht besseres Wetter oder verstärktes Funksignal; keine Ahnung. Draußen vor meiner Hütte steht mein Auto mit dem ich alle zwei Wochen in die Stadt fahren kann, fahren darf, wenn ich mich an meinen Plan halte. Neue Lebensmittel und so.
Zwölf Tage ohne Menschen, das ist schon seltsam, aber übermorgen fahr ich ja wieder in die Stadt. Draußen stehen große Wassertonnen und eine Art Duschkonstruktion, die aber ganz gut funktioniert. Momentan habe ich noch nicht viel Selbstfindung erlebt; es ist wahrscheinlich noch zu früh, aber selbst wenn ich nicht zu mir finde und auch sonst nichts erreiche, werde ich danach zumindest bestimmt über 100 Bücher gelesen haben. 5-6 Stunden täglich lesen. Hätte ich mir früher kaum vorstellen können, wie auch immer.

24.2.

Ich glaube, ich sag einfach vorher das Datum an. Ich glaube, dass ist gut.
Heute Morgen bin ich von einem seltsamen Geräusch wach geworden, ein Knacken oder so. War wahrscheinlich nur die Hütte, denn draußen war kein Tier oder ein Mensch. Ich glaube meine Sinne sind irgendwie klarer geworden, ohne all die ganzen Ablenkungen durch den ganzen Alltag.
Hab mich heute wieder an Thomas Bernhard ran getraut; man muss sagen, er wird wohl mein Musikersatz werden. Heute ging den ganzen Tag das Radio nicht. Manchmal habe ich das Gefühl das die Einöde flüstert, wenn ich ganz ruhig bin, in ihrer ganz eigenen „posthumanen“ Sprache, mit ihren ganz eigenen Geräuschen.
Morgen kann ich in die Stadt fahren und ein paar Sachen kaufen. Ich glaube, ich habe Lust auf frische Äpfel und vielleicht Saft. Immer nur Wasser zu trinken, hängt einem irgendwann zum Hals raus.

25.2.

Hab alles bekommen was ich brauchte. Tat gut ein paar Worte mit dem Verkäufer zu wechseln.
Wasser muss ich ja erst in zwei Wochen wieder auffüllen, habe noch mehr als genug. Ein paar Flaschen mit Saft und Mineralwasser hab ich trotzdem mitgenommen. Ein bisschen Abwechslung ist immer angenehm. Das Radio hat heute sogar gut eine Stunde funktioniert, bevor der Empfang wieder beschissen wurde.

26.2.

Heute wieder viel gelesen und ein bisschen Radio gehört; zwischenzeitlich gab es immer Störungen des Senders und ein paar Männer redeten über das Töten eines Mannes. Vielleicht ein ähnliches Signal eines Hörspielkanals? Keine Ahnung, hab ja nicht mehr als Fetzen mitbekommen. Ging aber schnell vorbei, war wohl eine vorübergehende Störung.

27.2.

Als ich heute Morgen aus der Tür hinausgehen wollte, war sie versperrt. Ich musste durch das Fenster steigen, um herauszukommen. Eines der Wasserfässer war vor die Tür gerollt. Vielleicht hatte ich es irgendwie schief hingestellt, irgendwie muss es umgefallen sein. Es ließ sich relativ leicht wegrollen, eigentlich hätte ich die Tür aufbekommen müssen, vielleicht lag es irgendwie in einem falschen Winkel. Jetzt passt's aber wieder.
Im Radio wieder die überlappenden Frequenzen und diese Männer.
„Lassen wir uns Zeit, er muss nicht gleich sterben“, solche Fetzen. Komische Hörspielreihe; die Handlung ist irgendwie nicht da. Wahrscheinlich eins dieser experimentellen Werke.

28.2.

Den ganzen Tag läuft schon diese Klaviermusik, ist wirklich schön, simpel, aber schön, gab bisher auch keine wirklichen Störungen. Heute morgen bin ich durch ein bläuliches Blitzen wach geworden. Also ich weiß nicht... vielleicht habe ich mir das auch eingebildet.
Morgen wollt ich.. *im Hintergrund „Hörspiel ~tot sehen~“* was ist das? *Ausschalt*

*Neu einschalt*

Anscheinend hat sich das Gerät irgendwie aufgehängt, als wieder eine Störung kam, hab das Ding erstmal ausgeschaltet – keine Ahnung.
Morgen wollte ich ein wenig rumlaufen, spazieren, die Gegend erkunden.

29.2.

Heute Morgen wieder dieses blaue Blitzen. Der Weckruf der Einöde. Hab den Morgen genutzt, um ein bisschen zu spazieren, hatte mich aber bald stundenlang verlaufen, immer wieder die gleichen Hügel und ich war überzeugt, dass dahinter meine Hütte war, aber nur weitere Hügel. Naja… in der Einöde sieht alles gleich aus, oder?
Das Seltsamste war aber, dass als ich zurückkam, der Deckel von der einen Wassertonne gelöst war und daneben lag. Klar ich hatte sie abgelöst, um meine Wasserflasche für den Weg zu füllen, aber doch wieder drauf getan, oder?

30.2.

Wieder dieses Blitzen. Heute Morgen standen die Wassertonnen anders. Glaub ich zumindest. Ich weiß nicht, ich hab das Gefühl irgendwie… paranoid zu werden. Ich mein hier ist ja niemand. Im Radio heute nur Störgeräusche, Fetzen dieses scheußlichen Hörspiels, hab’s ausgemacht. Irgendwie habe ich keine große Lust mehr Radio zu hören.

31.2.

Ich bin mit schrecklichen Kopfschmerzen aufgewacht, habe von diesem blauen Licht geträumt, saß nur da am Fenster in meiner Hütte und hab draußen ein pulsierendes, blaues Licht gesehen. So blau wie das Blitzen, nur halt nun beständig. Hab im Traum am Fenstersims gekratzt; komisch…
Diese Kopfschmerzen sind kaum auszuhalten und im Radio... ach egal. Hab’s wieder ausgemacht und gelesen.
Ich würd so gern wieder Musik hören.

1. März

Diese Kopfschmerzen werden immer schlimmer und ich Idiot hab jetzt erst bemerkt, dass wir Februar hatten. 31.2. natürlich Donnie, natürlich.
Das Wasser stand wieder... Keine Ahnung… ich kann mich nicht richtig konzentrieren.
Hatte der Februar dieses Jahr 28 oder 29 Tage? Scheiße, das kann doch nicht so schwer sein.
Egal, jetzt ist 1. März, ganz egal.
Etwas was mich wirklich beunruhigt, ist, dass ich Kratzspuren am Fenstersims entdeckt hab. War das jetzt echt oder hab ich geträumt, hab ich geschlafwandelt oder so ne Scheiße? Diese scheiß Kopfschmerzen.

2. März

Kopfweh hat nachgelassen, bin heute komplett drin geblieben, bin nicht mal zum Wasser trinken rausgegangen, hab die Mineralwasserflaschen fast aufgebraucht. Heute Morgen wieder dieses bläuliche Blitzen. Ich leg mich glaub ich nochmal hin.

3. März

Werd heut Nacht wach bleiben, wieder dieses Blitzen am Morgen, dass kann keine Einbildung sein, ich will sehen, was nachts passiert. Hab wieder leichte Kopfschmerzen. Das Radio gar nicht angemacht, hat eh keinen Sinn.

4. März

Hat nach ein paar Stunden nach Anbruch der Dunkelheit angefangen blau zu leuchten und ist morgens blitzend ausgegangen. Hinter einem der Hügel. Hab versucht das zu untersuchen und bin tagsüber dahin gegangen. Doch da war nichts. Weit und breit nichts...

5. März

Ich hatte doch drei Wassertonnen. Drei, oder? Nur noch zwei. Scheiße, auch keine Spuren oder sowas auf dem Boden. Mein Kopfweh ist wirklich schlimm geworden. Vielleicht halluziniere ich oder so, drei.. vielleicht waren es schon immer zwei Wassertonnen gewesen.

6. März

Bin heute Nacht aufgewacht, aus dem Radio kam wieder dieses scheiß Hörspiel. „Wasserfass um Wasserfass“ immer wieder sagten sie einfach „Wasserfass um Wasserfass“ und draußen leuchtete dieses scheiß Licht wieder.
Als ich rausging und aufs Licht zuging ertönte eine unwirkliche Tonfolge, die immer lauter wurde je näher ich kam. Bin umgedreht, zurückgelaufen, eher gerannt, hab Panik bekommen. Ich weiß nicht was das war. Hab versucht zu schlafen, aber dieses scheiß Radio hat nicht aufgehört.
Ich hab's einfach wieder und wieder und wieder gegen die scheiß Wand geschmissen. Jetzt ist endlich Ruhe.

7. März

Bin grade raus und habe die Wasserfässer kontrolliert, doch als ich den Deckel abnahm und gerade etwas trinken wollte, kamen aus dem Fass nur Insekten, Käfer.. und kein Tropfen Wasser war mehr zu sehen. Ich hab noch ein bisschen Wasser, aber ich muss morgen zurück in die Stadt fahren. Ich würd heute schon, aber es sieht nach Sturm aus...

Jetzt ist Nachmittag; das scheiß blaue Licht hat jetzt schon eingesetzt und ist stärker als je zuvor; alles ist in dieses blaue Licht getaucht.

Bin wach geblieben, doch erst morgens hat der Sturm aufgehört.
Hab versucht mein Auto zu starten, aber nichts zu machen. Tot. Keine Chance. Hab es ein wenig angeschoben, alles versucht, nichts. Hab meine Sachen gepackt, Wasser und mein Geld. Ich werd einfach zur Stadt laufen.

Das blaue Leuchten hört nicht auf und die Straße ist länger als in Erinnerung. Ist langsam Abend. Diese schreckliche Melodie hat vor einiger Zeit eingesetzt, leise im Hintergrund – keine Ahnung, es wirkt nicht, als hätte es irgendwo eine direkte Quelle, es ist einfach überall. Ich bin bald bei der Stadt. Ich muss bald bei der Stadt sein.

Irgendwas hat mein letztes Wasser gestohlen als ich geschlafen habe. Ich muss die Stadt erreichen.

Nein. Nein, das ist nicht möglich. Ich muss die Richtung gewechselt haben oder sowas, scheiße, nein, das ist nicht möglich. Ich sehe meine Hütte. Ich muss umkehren. Weiterlaufen.

Ich bin wach geblieben, das kann nicht sein. Wieder die Hütte... nein.

Ich hab es aufgegeben und bin zurück... , hier leuchtet alles blau, es ist.. eingedrungen. Das Radio läuft wieder, es muss repariert worden sein, während ich weg war. Irgendwer oder irgendwas will wohl.. Nein.. das ist das Ende. Es muss real sein. Immer wieder macht es Pause und dann...
Hör doch verdammt. Hör doch!
„... und gleich verdurstet er… Er hat nie eine Chance gehabt… Nicht mehr lange, Nicht mehr lange… Wir sollten die Aufnahme nun beenden… und dann endli-“

Prosa in Kategorie: 
Thema / Klassifikation: 

Video:

Hörbuchversion von Einöde
Noch mehr von der Persönlichkeit → Daniel G. Spieker