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sehen gab. Nachdem wir Räume über die Landwirtschaft, die Schlafplätze und vieles andere mehr gesehen hatten, kamen wir in eine große Halle, in der die Götter ausgestellt wurden. Es waren sechs Gottheiten. Ein rotes Mädchen stand für das Leben. Ein roter Greis für den Tod. Ein Dutzend blauer Wesen stellte als gesammelte Gruppe die Fruchtbarkeit da. Eine gelbliche, große Göttin stand für die Jagd und ein hellgrüner mittelgroßer Mann war wohl der Gott der Landwirtschaft. Eine winzige violette Biene stand für das Glück. Es waren alles Repliken und keine Exponate. Vor jeder einzelnen Gottheit gab es wieder Kopfhörer. An den Wänden waren verschiedene, mir unbekannte Zeichen und Malereien, die laut einer Plakette wohl 1 zu 1 aus den Tempeln übertragen worden waren. Jack hatte sich gerade die Kopfhörer vor der Göttin der Jagd aufgezogen, während ich mich den blauen kleinen Gestalten zuwendete. „Der Gott der Fruchtbarkeit wird zum einen in den Schriften immer als einzelnes Wesen dargestellt, zum anderen in der Darstellung immer als Gruppe. Diese Besonderheit lässt sich bis heute nicht erklären und unterscheidet sich stark von anderen bekannten Religionen. Gero Mischam stellte in dem Werk 'Die Zeit der Worrenaki' die These auf, dass die Darstellung möglicherweise nicht zeitgleich mit der Legende entstanden ist und möglicherweise erst im Nachhinein alles verbunden wurde. Andere Thesen gehen einfach von einem geschichtlichen Spezialfall aus.“
Ich hörte auch bei den Geschichten zu den anderen Göttern rein und fand unter anderem heraus, dass die gelbliche Göttin anscheinend die Wichtigste war und als besonders grausam galt. Sie hatte drei Reihen spitzer Zähne gebleckt, die im Licht der Lampen funkelten. Das rote Mädchen und der Greis galten als untrennbar und mussten laut den Schriften zu der Zeit immer im selben Raum aufgestellt sein. Neben den Götterstatuen gab es noch eine Vitrine mit einem uralten Hut. „Die ersten Ausgrabungen machte Jose Irrael 1923 im Auftrag einer amerikanischen Universität. Zu dieser Zeit gab es sogar noch Grüppchen von Anhängern, die aber schnell zerschlagen worden waren. Leider wurde diese Expedition nach kurzer Zeit eingestellt, weil Jose Irrael die Geldmittel gestrichen wurden“, informierte mich die Sprecherin. Ich zog die Kopfhörer ab und sah noch einige Sekunden den Hut vor mir an, der angeblich Irrael gehört haben sollte. Dazu erzählten sie die ganze grundlegende Geschichte? Zu einem Hut? Es war lächerlich grotesk.
Ich schloss schnell zu Jack auf und betrachtete nicht mehr lange die einzelnen Ausstellungsstücken in den nächsten Räumen, denn Jack wirkte jede Minute genervter. Wir schlossen den Rundgang noch ab und gingen danach in einer kleinen Bar etwas essen.
„Das is nich ok. Ich hab echt mehr erwartet“, meinte Jack, während wir auf das Essen warteten. „Ja, keine Ahnung. Ist doch trotzdem nice.“ „Scheiß auf nice.“ Er schüttelte den Kopf. Ich ging nicht weiter darauf ein. Nachdem wir gegessen hatten, liefen wir zurück zum Hotel. „Ich beschwer mich“, sagte Jack. „Komm, mach keinen Aufstand.“ Jack beschleunigte etwas seinen Schritt und betrat vor mir das Hotel. Sicher hätte ich ihn aufhalten können, aber ich hatte keine Lust. Als ich durch die Tür ging, sprach er schon mit dem Rezeptionisten, der aufmerksam zuhörte.
„Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Ich hab nichts direkt mit der Website zu tun, aber es kommt immer wieder vor, dass sich Leute beschweren. Mein Bruder organisiert deswegen seit einigen Jahren Fahrten dahin und zeigt den Leuten, was sie wirklich wollen.“ „Warum gibt es dazu keine Broschüre oder sowas?“ „Naja, das läuft mehr ... unter der Hand. Sie verstehen?“ Er sah Jack eingehender an. „Haben Sie Interesse?“ Jack schaute mich an und mir war etwas mulmig zumute, doch trotzdem nickte ich – ich hatte das Gefühl, dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht tun würde. „Was wird das kosten?“, fragte ich. „150 Dollar pro Person.“ Ich zog eine Augenbraue hoch, aber Jack stimmte ohne zu Zögern zu. „Wann geht’s los?“ „Mein Bruder wird morgen um 10 Uhr kommen. Ich werd' ihn gleich anrufen.“
Als wir auf dem Zimmer waren, fragte ich: „Findest du 300 Tacken nich etwas viel?“ „Hey, wir sind deswegen hier, oder?“ Ich nickte. Er hatte ja recht.
Am nächsten Morgen frühstückten wir ausgiebig und warteten dann auf den Bruder des Rezeptionisten. Er kam etwas später als angekündigt. Es war ein stämmiger Kerl mit einer rauen Stimme. Er stellte sich mit einem Händedruck als Javier vor. „Also, ihr wollt die Ruinen sehen.“ Jack und ich nickten. „Dann mal los. Kommt mit.“ Wir folgten ihm auf der belebten Hauptstraße. Mehrmals bog er in verschiedene Seitenstraßen ab, bis wir zu einem Parkplatz kamen auf dem ein Jeep stand. „Hat mein Bruder euch gesagt, was der Trip kostet?“ „Ja“, sagte Jack. „Dann gebt mal her.“ Wir reichten ihm jeweils 150 Dollar und er zählte penibel nach. „Stimmt, stimmt. Also – braucht ihr noch was? Wenn ihr noch irgendwas zu Essen oder zu Trinken für die Fahrt wollt, kauft's euch jetzt.“ Er zeigte auf einen kleinen Supermarkt. „Wir halten nicht zwischendrin.“ „Wie lang sind wir denn unterwegs?“, fragte ich. „Sicher einige Stunden.“ „Ich denke, es wäre nicht schlecht sich noch was zu besorgen“, sagte ich. Jack stimmte zu. Wir trotteten zum Supermarkt und kauften uns zwei große Flaschen Wasser und drei Tüten Chips. Jack kaufte noch eine Schachtel Muerte und dann gingen wir zurück zum Jeep. Javier hatte sich an den Wagen angelehnt, und beobachtete, wie wir herkamen. Er klopfte uns beiden auf die Schulter, als wir die Sachen im Fußraum verstauten. „Das wird ein toller Trip.“ Wir setzten uns nach hinten und schnallten uns an. Javier ging nach vorne und startete den Wagen. Wir fuhren über ein paar stärker befahrene Straßen, aber entfernten uns immer weiter davon. Nach einer Stunde folgten wir nur noch einer einzelnen Straße, die an größeren Plantagen vorbeiführte, die zunehmend von dichtem Gewächs ersetzt wurden. Die Straße selbst hatte immer mehr Schlaglöcher und wurde anscheinend kaum gepflegt. Holpernd kamen wir dennoch Stück für Stück voran. Bald schon waren wir in einem Dschungelgebiet. Meine Sicht war schon nach wenigen Metern an den Straßenseiten durch Bäume und Gewächs blockiert, sodass ich das Gefühl hatte eine Art organischen Gang entlangzufahren. Ab und