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blühen nun die Apfelbäume zwischen Bienen und Schmetterlingen.
Und mächtig strömt der Junifluss.
Die Nachbarn halfen uns mit der
kleinen Mauer längs dem Weg.
Auf einem Acker sah ich die zwei Kraniche.
Gehe durch den Garten,
kann aber nicht viel tun.
Eine blaue Klematis grüßt.
Leben durchströmt mich.
03. Juni 2021
Bin ich im Sommer geheilt?
Zum Mittsommer?
Die Möglichkeit besteht.
Dann werde ich an der Wiese sitzen
und alles begründen.
Mich auf einen neuen Grund stellen.
Mich erheben ohne zu schwanken.
Mit den Schwalben abheben.
Im Sommer, vielleicht zum Mittsommer.
Dieses Vielleicht, es ist so schön.
04. Juni 2021
Ja, das mit den Wohnungen...
höre ich jemand von der Hämatologie sagen.
Patient und Krankenschwester sprechen wohl
von den kommenden Mieten,
aber mehr als dies höre ich nicht.
Ich habe meine Gifte bekommen, meine Spritze
in den Rückenmark, und nun tropft ein
Beutel Blut in den Körper.
Die Definition für Leben ist, dass es nie
eine Pause von irgendetwas nimmt.
05. Juni 2021
Nur sein, in meiner eigenen, kleinen Rätselhaftigkeit.
Nach den Pillen, den Giften, dem Erbrechen.
Nur träumerischer Halbschlaf auf dem Sofa.
In der Musik, die im Radio wandert.
Die Sonne da draußen auf dem Balkon
spielt wie ein dreijähriger Glenn Gould.
In zeitloser Zeit liegt der Hund flach auf dem Boden.
Meine Wimpern sind weg,
sagte sie lachend.
Mein ganzes Mystikerantlitz ist ausgestrichen.
Nur sein an diesem Vormittag.
06. Juni 2021
Der Mensch ist einfach.
Er will glücklich sein.
Er will Erkenntnisse gewinnen.
Aber Erkenntnisse stören das Glück,
und Glück stört die Erkenntnisse.
So wird der Mensch kompliziert.
Fragend fallen wir durch das Leben.
Wir fallen, wir steigen nicht.
Gras und Erde nehmen uns auf.
07. Juni 2021
Ich traf Ulla Winbladh,
am Marktplatz in der Sommerwärme.
Sie freute sich über ihr neues Musikvideo
und einen Roman.
Sie sagte, dass sie meine Gedichte mag.
Jahrhunderte bedeuten nichts.
Und sie ist ja noch so jung, Little Jinder.
Ich spürte, wie mein Schatten
in einen Schmetterling umgeformt wurde.
(Ulla Winbladh ist ein beliebtes Restaurant in Stockholm, benannt nach einer Figur von Carl Michael Bellman. Bellman, 1740-1795 war ein schwedischer Nationaldichter.
Little Jinder ist eine junge schwedische Sängerin.)
08. Juni 2021
Ich falle niemals.
Ich habe keinen Platz zum Fallen.
Auch Werktags kann man Geburtstage feiern.
Jede Woche trinke ich einen Beutel
Blut oder zwei, und dann bestelle ich
am Marktplatz ein Getränk ohne Alkohol.
Love Minus Zero erzählt von einer Muse,
nicht von einer wirklichen Frau.
Jedes Rad ist ein feiner, kleiner Lastwagen.
Leicht schwindlich von den niedrigen Blutwerten.
Treu meiner alten Helden und Heldinnen
werde ich selbst ein recht zuverlässiger Mensch.
Und ich falle niemals.
Ich habe keinen Platz zum Fallen.
(Love Minus Zero ist ein Lied von Bog Dylan)
09. Juni 2021
Nach einem Sommerregen
stiegst du geradewegs hinein in das Paradies.
Eine Schecke schaute aus ihrem Gehäuse
und fand wohl auch ein Paradies.
Wir grüßten mit allen unseren Antennen.
10. Juni 2021
Heute müde in der Sonne.
Die Hitze wollte gut zu mir sein,
aber ich vermochte nicht richtig,
ihre Gabe anzunehmen.
Blinzelte in die Sommerwolken
und sagte Nein.
Ich glaube nicht, dass der Himmel
sich verletzt fühlte.
11. Juni 2021
Ging hinaus in die Juninacht,
und es war
wie Schwimmen
in lauwarmem Wasser.
Die Vögel und das Grün,
der Hund, bleiche Wolken,
eines schwermütigen Körpers
erfüllte Wünsche.
Juni mach mich frei
und mach mich leicht.
Jeder Sinn
steht mir plötzlich bei.
12. Juni 2021
Am Anfang war ein Schmetterling.
Er wirbelte herum in seinem Kosmos.
Wiesen und Obstbäume entstanden,
da wo er herumflatterte.
Und die Katze stand auf zwei Beinen,
um ihn zu fangen, was ihr nicht gelang.
Ich saß an der warmen Hauswand.
Ich hatte mich wohl selbst verlassen
und schrieb meine Zeilen ohne Absichten.
Der Mystiker nickte einstimmend.
Ich hörte von einer Almhütte auf einer Birkenhöhe.
Das italienische Natiomalteam lüpfte mich.
Titanic hat vielleicht ihre Fahrt noch nicht begonnen.
Ein Falter zieht den enormen Rumpf auf den rechten Kurs.
13. Juni 2021
Die Hauskrankenpflege schaut vorbei
an diesem Sonntagmorgen, wie üblich.
Sie fragen wie es mir geht, und ich konstatiere,
dass ich die letzte Zeit nicht viel geschlafen habe,
und dass die Füße und Fingerspitzen einschlafen.
Als sie gingen, lege ich mich und schlafe ein.
Es ist, als wenn mein Körper sich nicht einmischt
in dem was die Psyche macht, sie duckt sich fast
vor dem miesen Körper, der regiert.
Und das Sommerlicht ist nun weich wie Seide.
14. Juni 2021
Plötzlich rast das Fieber nach oben.
Ich fror in der Sommerhitze.
Das sind die Zellgifte - nach sechs, sieben
Tagen schlagen sie zu, ernsthaft.
Ich bin fast neutropen,
das bedeutet fast keine Immunabwehr.
Ich befürchtete, dass ich ins Krankenhaus musste.
Aber vielleicht geht es vorbei.
Seit Januar bis Juni
diese Berg und Talbahn.
Und heute Abend muss ich klar sein
für das Gefecht in Sevilla!*
(*Europameisterschaft, Schweden gegen Spanien.)
15. Juni 2021
Heute müde, schwankend, frierend.
Schaue Fußball-EM im Halfschlaf.
Bekomme einen Beutel Blutplättchen
heute Nacht und Antibiotikum.
Fühle mich momentan nicht viel besser
als die schwedische Socialdemokratie.
Nirgendwo zeigt sich so etwas wie Poesie.
Die Katze stirrt verständnislos auf mich.
16. Juni 2021
Der Sommer ist ein Psalm.
Wir murmeln das Wort des Grüns.
Die Kirche hat keine Wände,
ihr Boden ist der Erdengrund.
Des Orgelbrausens Wind
will berühren deinen Rumpf.
Und aus den hohen Gräsern
schaut eine Katze auf.
Tränen sind ein Bach,
er sehnt sich zu dem See,
auf dem die Sonne ständig glitzert,
und niemand eine Insel ist.
17. Juni 2021
Anrufe von der Krankenpflege
können manchmal so kurzgefasst und
neutral sein, dass sie einem
Angst einjagen - es reichte
mit den zwei Worten "Kernspintomografie"
und "Gehirn" im gleichen Satz, dem einzigen,
um ein Stück nach oben zu springen.
Das Superconzise ergab eine
zappelnde Mehrdeutigkeit,
und die Telefonzeit war beendet.
Aber ich gehe davon aus,
dass die Untersuchung Routine ist.
18. Juni 2021
Es war ein guter Tag
Sie riefen an vom Krankenhaus und sagten,
dass es eine falsche Mitteilung war,
nicht mein Gehirn soll geröntgt werden -
der übrige Körper, nicht die Seele.
Im windigen Schatten tranken wir Kaffee
unter Hopfenzweigen gegen die Hitze
und schweren Regierungskrisen.
Dann steckten wir im Stau und mussten das
erste Viertel des EM-Fußballspiels im Radio hören,
nur mit Lauten ist die Einfühlung größer.
Ich danke den Tagen, die kommen
und gehe mit großer Präzision.
19. Juni 2021
Die Elster reizt die Katze.
Vielleicht nicht so ernst gemeint.
Vielleicht hat sie nur einen langweiligen Tag.
Und die Katze jagt ihre Hummel,
und ich, ich lege mich auf das Sofa
und folge dem Gesetz des geringsten Widerstands.
20. Juni 2021
Dieser heiße Tag heute.
Die Seele flog wie eine Schwalbe
durch die Politik, ohne sich zu verletzen.
Aber während der Abstimmung
im Reichstag morgen liege ich
und nehme einen Beutel Blut zu mir!
Und mein Körper kann es nicht lassen,
darüber zu lachen.
21. Juni 2021
Sich über die Politik zu erheben,
um den Überblick zu bekommen,
oder sich unter sie senken
um des Unterblicks willen?
Ich wähle das Letztere.
Aber dies bedeutet mehr Finsternis.
Dort befinden sich die Obdachlosen,
die Hinausgeworfenen, Geflüchteten,
jene, die man jetzt in die Notaufnahme rollt.
Senkt euch herab, für den
notwendigen Unterblick!
22. Juni 2021
Die Kühle wurde meine Gehhilfe.
Ging viel stabiler, als sie kam.
Und am Abend spürte ich
einige Barthaare auf einer Wange:
Die vorige Giftkur klingt ab.
Der Mittsommer nähert sich.
23. Juni 2021
Das, was jetzt ausschlägt
in den lauen Sommernächten,
schlägt auch aus in mir.
Ich sah: Rose und Jasmin,
Veronika und Perlmutstrauch.
Im Dunkeln sah ich sie in mir selbst.
Wir gehen immer mit dem,
was um uns wächst.
Jede Blüte ist auch eine innere Blüte.
24. Juni 2021
Fahrt über Landstraßen...
Sah Höhen und Sonne,
aber landete in
blühenden Brombeeren...
Die Schafe blökten mitten im Dorf.
Auch der Fluss schloss sich
dem Blutkreislauf an.
25. Juni 2021
Heute Nacht träumte ich,
dass eine Psychologin gerufen wurde,
um mir beizustehen.
Sie sah schelmisch auf mich,
und bat mich, die typischste bürgerliche
Bewegung zu zeigen, die mir einfiel.
Ich ging also auf sie zu
und salutierte.
Dann wachte ich am Tag des Mittsommerfestes auf.
26. Juni 2021
Der Mensch ist der Schatten eines Traumes.
Und ich, ein Schatten, setzte mich
in den kühlen Schatten der Außenveranda.
Die Blätter des Walnussbaums zitterten in der Hitze.
Ein Großteil meines Lebens ist ja gegangen.
Aber ich zähle Pillen, nicht Tage.
Saß im Schatten und las den Griechen Pindar,
betreffend dem Strahl des gottgesandten Glanzes,
der plötzlich über uns fallen kann,
sodass wir in verklärtem Licht wandern.
Mein Schattenich erhebt sich und wird ein Traum.
27. Juni 2021
Mit müden, schweren Schritten
die Treppe hinauf.
Aber des Sommerabends
Licht ist leicht.
Die Schwalben sind gelandet.
Schwerelos im letzten
Himmelslicht haben sie nun
ihre Schwere wiedergefunden.
28. Juni 2021
Nicht ein einziger Kunde im Musikgeschäft.
Alle auf den Sommerstraßen der Stadt.
Mit Mundschutz schwankte ich hinein
und hatte das Glück, neun Lieder aus meiner
Teenagerzeit kaufen zu können:
Peps Perssons Blodsband!
Ist es so schwer zu begreifen,
es ist doch falsche Mathematik,
durch die die Armen ärmer werden
und die Reichen so unglaublich reich.
Was kümmert mich ein Staatsminister,
solang die Musik nicht wird trister.
Zeitlos glücklich ging ich die Straße entlang.
(Peps Persson war ein schwedischer Blues- und Reggae-Musiker, er starb am 27. Juni 2021. "Peps Perssons Blodsband" war seine Band.
"Falsche Mathematik" ist ein Text von Peps Persson.)
29. Juni 2021
Mensch, ist das nicht unser
kleiner Skribent?, sagt eine der älteren
Damen im Krankenhauscafé.
Sie erkennt mich an der Stimme,
mein Haar ist weg und das Gesicht versteckt.
Ganz sicher zwei, vielleicht
alle drei der Damen bekamen in der
Linkenführerin ein neues Idol.
Und ich, ich trage ein Plundergebäck
in einer Tüte durch die Regierungskrise.
(Schwedens Ministerpräsident hat nach einem Misstrauensvotum im Parlament seinen Rücktritt eingereicht.)
30. Juni 2021
Schaffte es, meinen Ehering abzunehmen.
Ich habe ja etwas abgenommen.
Legte ihn auf den Klavierdeckel.
Mehr als 30 Jahre hat er den Finger nicht verlassen.
Zur Kernspintomografie muss ich ihn abnehmen.
Wir fuhren zum Krankenhaus.
Bekam Kontrastflüssigkeit und spürte,
wie sich die Wärme im Körper verbreitete.
Man rollte mich in die große Maschine.
Der Ringfinger war leer und nackt. Das Leben
besteht zum Großteil aus symbolischen Handlungen.
Zu Hause bekam der Finger den Ring wieder zurück.
Es war, als würde man geheilt.
01. Juli 2021
Gehe auf Straßen, auf denen
ich lange nicht gegangen bin.
Häuser stehen noch, nicht die Leute.
Dort hatte ich ein Arbeitszimmer.
Hier arbeitete ich
in einem Seniorenheim.
Die Sonne brennt stark heute.
Alles, was in der Hitze überlebt,
sind Erinnerungen.
02. Juli 2021
Wehmut formt das Leben,
ob wir wollen oder nicht.
Wehmut macht dich, zur gleichen Zeit,
schwächer und stärker:
Du fällst und du steigst.
Wehmut ruft zurück die Tage,
die du glaubtest war'n für immer weg.
Doch sie verdrängt auch oft den Tag,
in dem du stehst und gar nicht siehst.
Wehmut spaltet dich.
03. Juli 2021
In einigen Tagen werde ich erfahren,
ob weitere Zellgiftbehandlungen
erforderlich sind, oder ob die
Rekonvaleszenz beginnen kann.
Bin plötzlich abergläubisch und wage
nicht, auf etwas zu hoffen;
am besten, man rechnet mit dem Schlimmsten.
Diese Krankheit besteht aus Warten.
Aber der Sommer dort draußen wartet nicht,
obwohl ich versuche, jede Rose
und Lilie, die ich sehe, festzuhalten.
04. Juli 2021
Pflückte Walderdbeeren
auf dem sehr schönen
Waldfriedhof in Katrineholm.
Sie waren so süß und schmackhaft.
Danach legten wir Blumen auf den
Gedenkstein von Mutter und Vater.
Versprach ihnen, dass ich bald geheilt bin!
Wir gingen eine Weile zwischen den Gräbern.
Hinter dem Friedhof breiteten sich
die Getreidefelder aus.
05. Juli 2021
Es verbirgt sich eine geheime
Stille in den Tagen.
Versteckt im Brausen einer Straße,
am Ende einer erregten Geste,
im Weg der Katze durch das Gras.
Diese Stille überrascht dich,
im Voraus weißt du es nie
wann sie eintrifft.
Plötzlich diese Anwesenheit.
06. Juli 2021
Auf einer Bank
im Sommer
mit Vogelgesang.
Mehr braucht es nicht.
07. Juli 2021
Es regnete über die Stadt.
Die Doktorin holte mich in ihr Zimmer,
ich konnte kaum mithalten, so schnell
ging sie durch die Korridoren.
Ich war ein bisschen nervös. Ein langer Herbst
voll mit Krankenhausbesuchen und Ungewissheit,
danach ein Winter, ein Frühling und ein Stück
in den Sommer hinein mit Zellgiften.
Und nun zeigen die Resultaten der
Kernspintomografien, dass die Krebszellen
ausgemerzt sind! Bin ich geheilt? frage ich.
Die Doktorin antwortet: Ja.
Aber in einigen Monaten werden Sie wieder geröntgt,
das Risiko eines Rückfalls ist nicht ausgeschlossen.
Und Sie haben Komplikationen mit den
Blutgerinnseln und Sarkoidosen.
Es ist noch ein langer Weg bis
zum Abschluss der Rehabilitation.
Das Taubheitsgefühl in den Beinen und Fingern
werden Sie noch lange begleiten.
Ich hörte zu und stellte wenig Fragen.
Es war, als wäre ein freien Raum um mich, in dem
ich mich noch nicht richtig zu bewegen wagte.
Ich schwankte hinaus aus dem Krankenhaus.
Umarmte meine Berit, die unruhig
auf dem Parkplatz wartete.
Sie strich über mein kahles Haupt, auf dem
vielleicht bald kleine Strähnen zu sehen sind.
Der Regen hat die Luft frischer gemacht.
***
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© Willi Grigor, 2021
Übersetzung der "Tagesform-Gedichte" des schwedischen Dichters Göran Greider.