Mein bester Freund der Engel - Page 11

Bild zeigt Anita Zöhrer
von Anita Zöhrer

Seiten

ertönte auch schon ein lauter Knall, ein fürchterlich unangenehmer Lärm, der von einer Explosion her stammte. Ich ließ vor Schreck meinen Notizblock und meinen Stift fallen und hielt mir mit beiden Händen meine fürchterlich schmerzenden Ohren zu, beobachtete, wie Trümmer von einem Gebäude auf der anderen Straßenseite wegflogen und sich davor unmittelbar darauf eine Staubwolke ausbreitete, beobachtete dabei auch, wie dem weinenden Buben Trümmer entgegenflogen, ihn jedoch nicht trafen, sondern vor ihm auf den Boden fielen. Ich traute meinen Augen nicht, konnte es beinahe nicht begreifen, was sich da binnen weniger Sekunden abspielte. Es hatte ganz den Anschein, als ob die Trümmer vor dem Jungen an irgendetwas abprallten, ein Schutzschild den Kleinen vor bösen Verletzungen, vor dem Tode bewahrten, und ich wusste auch, was, besser gesagt, wer dieses Schutzschild war, wer den Jungen so heldenhaft beschützte. Es war niemand geringeres als Matthew. Zumindest vermutete ich, dass es sein Verdienst war, dass dem Jungen kein Unheil widerfuhr, die Explosion ihm nichts anhaben konnte, wurde in meinem Verdacht jedoch bald bestätigt, als er zu mir kam und sich erkundigte, ob mit mir alles in Ordnung sei, er auf meine Frage hin, ob er den Kleinen beschützt habe, aber schwieg. Als Mensch kann man zwar eine Menge für andere tun, vieles für andere erreichen, wenn man es nur wirklich will, doch trotz aller Bemühungen kann man bei weitem nicht so viel für andere ausrichten, wie ein Engel mit seinen übernatürlichen Fähigkeiten, und da Matthew sich als Mensch schon immer am Liebsten damit beschäftigt hatte, Gott zu dienen und für andere da zu sein, andere aus der Klemme zu helfen, ist er schon damals ein wahrer Engel und wie geschaffen dafür gewesen, tatsächlich einer zu werden. Gott hatte ihn somit nicht bestrafen wollen oder so, wofür auch, hatte Matthew lediglich ermöglicht, noch mehr Gutes auf der Erde zu verbreiten, ihm damit irgendwie sogar noch ein Geschenk gemacht, als er ihn 1790 zu sich in den Himmel gerufen hatte. Nachdem das Ärgste überstanden war, keine Trümmer mehr durch die Gegend flogen, liefen ein geschockter Mann und eine ebenso geschockte Frau, offensichtlich die Eltern des Kleinen, zu dem Jungen und waren immens erleichtert, dass ihm nichts passiert war, dankten Gott für dieses Wunder und auch ich dankte Gott, bedankte mich aber auch bei Matthew, der mir bereits zum zweiten Male in meinem noch relativ kurzen Dasein das Leben gerettet hatte.

23. Dezember 1810
In den vergangenen beiden Wochen waren wir unter anderem noch in Dakota, Winoka und Minnesota, drei Städte wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Dakota ist eine Universitätsstadt schlechthin, überall, wohin man sieht, herausgeputzte Studenten, die lernen, Winoka ähnlich wie Tennessee und Minnesota, eine Stadt etwas größer als Mankato und eine Mischung aus den drei anderen Städten, in denen wir in den letzten vierzehn Tagen noch waren, und nirgendwo hatte es mir gefallen, hatte ich mich so wohl gefühlt wie Zuhause und auch hier, weswegen ich überglücklich war, als meine Reise heute Vormittag endlich ein Ende hatte, wir mein Ziel, Manhattan endlich erreichten. Der Kutscher riet mir aufgrund meiner starken Erkältung und meines Fiebers, das ich mir auf meiner Reise eingefangen hatte, einen Doktor aufzusuchen, mich von diesem behandeln zu lassen, war richtig in Sorge um mich, während er mein Gepäck unter der Plane auf dem Dach der Kutsche hervorholte, die mein und auch jenes Gepäck der anderen Mitreisenden vor dem Schneefall schütze, und mir gab, doch ich war und bin mir auch nach wie vor sicher, dass ein Besuch beim Doktor nicht notwendig ist, ich auch ohne ihn wieder gesund werde, weshalb ich gleich nach meiner Ankunft hier zu Mr. Franklin ging, anstatt zu einem Doktor. Aufgeregt saß ich dem Museumsdirektor in seinem Büro gegenüber und konnte sein Urteil kaum noch erwarten, während er hinter seinem Schreibtisch stehend erst zwei von meinen Werken begutachtete, und fühlte meine Eltern, Matthew und auch Vince, der neben Matthew in den letzten Tagen ebenfalls des Öfteren bei mir gewesen war, mir inzwischen ebenfalls sehr ans Herz gewachsen ist, fühlte ihre Nähe. Mit einem strengen und prüfenden Blick musterte Mr. Franklin dann auch noch die anderen beiden Gemälde, die ich bei mir hatte, und es waren nicht bloß zwei, sondern alle, die er schließlich haben wollte. Jedes einzelne meiner Bilder gefiel ihm so sehr, sodass er sich zwischen ihnen nicht entscheiden konnte, und gemeinsam mit meinen Eltern, Vince und Matthew freute ich mich nicht nur über das Geld, die zwanzig Dollar, die ich für die Gemälde bekam, sondern auch über die ganz besondere Ehre, dass nun gleich vier meiner Werke in dem Museum ausgestellt werden. Ich bestaunte noch die anderen Werke, die dort hingen, holte nach, was ich beim letzten Mal, als mein Vater und ich hier gewesen waren, verabsäumt hatte, und kehrte dann auf Matthews Drängen hin in mein Hotel zurück. Es gefällt ihm nämlich überhaupt nicht, dass die Reise hierher nach Manhattan ihre Spuren bei mir hinterlassen, genau das verursacht hat, was er befürchtet hat, die niedrigen Temperaturen und der kalte Wind, der mich ab und zu trotz meiner warmen Bekleidung in der Kutsche frösteln hat lassen, meiner Gesundheit geschadet, dazu geführt haben, dass es mir nun wieder schlechter geht, ist merklich besorgter um mich als je zuvor. Es ist wirklich lieb von ihm, dass er so sehr um mich bekümmert ist, doch wirklich nicht notwendig. Ebenso wenig wie Vince, der ebenfalls Mitleid mit mir hat, mir wie ein guter Freund, was er auch ist, zur Seite steht, der Meinung ist, dass meine Erkrankung ein Grund zur Panik ist, glaub auch ich, dass ich wirklich ernsthaft in Gefahr bin, gar in Lebensgefahr schwebe, und selbst wenn ich ihm immer wieder versichere, dass es mir bald wieder gut geht, ihn damit zu beruhigen versuche, dass ich bald wieder völlig gesund bin, so kann ich ihm seine Angst um mich einfach nicht nehmen. Bei jedem Hustenanfall, bei jedem Niesen spür ich, wie er unruhig wird, regelrecht Panik um mich bekommt, weil er dadurch vermutlich an seine letzten Tage als Mensch erinnert wird, und allmählich wird mir klar, was ich mit

Seiten

Prosa in Kategorie: 
Noch mehr von der Persönlichkeit → Anita Zöhrer