Mein bester Freund der Engel - Page 10

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von Anita Zöhrer

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nicht länger auf Vaters Kosten leben müssen. Zwar behauptete mein Vater heute, dass es ihn nie gestört habe, dass ich nie genügend Geld zur Verfügung hatte, um auf eigenen Beinen zu stehen, ich stets auch auf ihn, auf seinen Lohn angewiesen gewesen bin, doch ich hätte den finanziellen Schaden, den ich angerichtet hatte, gerne wieder gut gemacht, hätte mich bei ihm gerne revanchiert, indem ich viele Dinge, die wir benötigt hatten, von meinem selbst verdienten Geld bezahlt, die Zeit des Sparens für immer beendet hätte. Weil Mr. Franklin leider keine Zeit hat, um nach Mankato zu kommen und sich hier zwei meiner Gemälde für sein Museum auszusuchen, bittet er mich in seinem Brief an mich darum, sobald ich kann, mit einiger meiner besten Werke zu ihm nach Manhattan zu kommen, will sich dort dann zwei davon in Ruhe auswählen und mit mir über den Preis verhandeln, und weil ich keinerlei Zeit vergeuden, so schnell wie möglich bei ihm sein möchte, werde ich gleich morgen Früh in der Postkutsche meine Reise dorthin antreten, packte deshalb heute meinen Koffer und erfuhr dabei, weswegen Matthew heute so still war. Seit Cassandra mir den Brief gegeben hatte, hatte er kaum ein Wort mit mir gesprochen und Grund dafür war, dass er Cassandra und mir nicht die gute Laune verderben, unsere kleine Feier mit Kaffee und Kuchen im Gasthaus ihrer Eltern nicht zunichtemachen hatte wollen, gönnt mir es zwar von ganzem Herzen, dass zwei meiner Gemälde im Museum von Manhattan aufgehängt werden sollen, ist jedoch ganz und gar nicht damit einverstanden, dass ich schon morgen abreisen will, will, dass ich mich erst vollständig auskuriere, damit ich aufgrund des Wintereinbruchs keinen Rückfall erleide und es mir womöglich ebenso ergeht wie ihm, ich an Fieber sterbe. Es ist süß von ihm, dass er so sehr besorgt um mich ist, wie ein richtiger Schutzengel auf mich aufpasst, aber ich bin mir sicher, dass er sich unnötig den Kopf über mich zerbricht, Gott es nicht zulassen wird, dass ich erneut erkranke und das auch gleich noch so schlimm, er mich auf keinen Fall sterben lässt, denn so viel Glück habe ich dann auch wieder nicht. Nicht, dass ich Gott nicht dankbar wäre, es nicht zu schätzen wüsste, dass ich wieder fast ganz gesund bin, auch noch das mit dem Museum erleben darf, mein Glück hier unten immer mehr zuzunehmen scheint, doch ich bekomme diese dummen Gedanken einfach nicht mehr aus meinem Kopf, die Sehnsucht nach oben, nach meinen Engeln dort, nicht mehr aus meinen Herzen. Selbst jetzt versucht Matthew noch, mich dazu zu überreden, abzuwarten, verspricht mir immer wieder, dass es keinen Unterschied mache, ob ich jetzt ein paar Tage früher oder später seine einstige Heimatstadt erreiche, Mr. Franklin seine Meinung bezüglich meiner Gemälde nicht ändern werde, doch wenn ich etwas in meinem Leben gelernt habe, dann das, dass man seine Chancen sofort am Schopf packen soll, wenn man die Gelegenheit dazu hat, und selbst wenn es wirklich sehr unwahrscheinlich ist, dass er es sich mit meinen Werken doch noch anders überlegt, so will ich trotzdem kein Risiko eingehen.

9. Dezember 1810
Mit vier meiner Meinung nach besten Gemälden, darunter auch das Portrait von Matthew, meinen Pinseln und Farben, meinem Notizblock und meinem Stift und dem restlichen, üblichen Gepäck begab ich mich heute in der Früh in der Postkutsche auf den Weg nach Manhattan und Matthew war von Beginn der Fahrt an bei mir, saß neben mir und hatte seinen Arm um mich gelegt. Ich war froh, dass den ganzen Tag über außer mir sonst niemand, sonst kein Mensch in der Kutsche war, denn so konnte ich mit Matthew kuscheln, ihn liebkosen und das ohne, dass mich jemand dabei beobachtete und mich für verrückt erklärte. Wenn ich ihn fühle, fühle, wie Matthew mir nahe ist, er mich in die Arme nimmt, sich an mich anschmiegt, mache ich auch dasselbe bei ihm, dies jedoch vorwiegend in meinen Gedanken, um zu vermeiden, dass mich unter Umständen doch jemand sieht, mich dabei ertappt, stell es mir einfach vor, wie ich zärtlich zu ihm bin, was bei Engeln jedoch auf dasselbe herauskommt, als wenn man es wirklich tut. Den ersten Zwischenstopp auf unserer Reise machten wir heute in Tennessee und während der Kutscher sich unters Volk mischte und sich im Saloon einen Drink genehmigte, um die Zeit wett zu machen, die wir zu früh in der Stadt waren, malte ich auf einer Stufe vor einem Gebäude in meinem Notizblock. Das war auch das einzig Sinnvollste, was ich in Tennessee tun konnte, denn um mir die Stadt anzusehen, dazu hatte ich keine Lust und außerdem fehlte mir der Mut dazu. Betrunkene, die wie die Wilden auf ihren Pferden durch die Straßen galoppierten, sich prügelten und sich gegenseitig über den Haufen schossen. Laute Musik, die aus dem Saloon dröhnte, klirrende Fensterscheiben, durch die geschossen, oder sonst Dinge, mitunter auch Menschen geworfen wurden, und freizügig bekleidete Frauen, die die Männer umgarnten. Diese Stadt ist das Letzte und ich will auch nie wieder dorthin, bleibe lieber mein Leben lang in Manhattan, bevor ich mit der Kutsche nochmals nach Tennessee, erneut Zeit dort verbringen muss. Wobei, etwas Gutes hatte unser Aufenthalt dort sogar, brachte dort nämlich in Erfahrung, welchen Sinn Matthews Tod, welchen Grund Gott gehabt hatte, ihn so zeitig in den Himmel zu holen. Ich zeichnete also gerade in meinem Notizblock, als ich plötzlich merkte, wie Matthew nervös wurde, hörte, wie er die zahlreichen Leute auf der Straße anschrie, dass sie verschwinden sollen, er in ihr Unterbewusstsein drang, und sie ebenfalls in Erregung versetzte, sie dadurch dazu bewegte, fortzueilen. Auch mir befahl er, abzuhauen, und ich tat, was er von mir verlangte, lief mitsamt meinem Notizblock und meinem Stift hinter ein Gebäude und spähte neugierig hinter diesem hervor, entdeckte dabei einen kleinen, weinenden Jungen auf der Straße. Er musste in dem Tumult wohl verloren gegangen sein und ehe ich noch etwas für ihn tun konnte und das hätte ich, hätte ihn von der Straße geholt und ihn in Sicherheit gebracht, hätte mir nur die Zeit dazu nicht gefehlt,

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