Tote erzählen aus einem Friedhof im südlichen Lappland - Page 6

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von Willi Grigor

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Stürme
vom Atlantik aufzogen,
schwankte die Stadt.

Dann musste die Stadt unter
einem Tuch schlafen -
in der Kleiderkammer,
in die der Vater nie ging.

Kent Abrahamsson

Kennt ihr Helmer Grundström?

Er, der schrieb:
Hier bin ich geboren,
dem Meer verschworen.

Ich war beim Tanz in Svanaby,
voll wie ein Ei,
und stand und hielt mich an der Wand
des Volkshauses.

Da kam er, Helmer, heraus,
noch voller als ich,
und begann, hoch in die Luft zu pissen!

Und ich blieb stehen,
voll wie ich war.

Dies wurde ein berühmtes Ereignis
überall in Lappland.

Danach stellte ich mich
immer vor mit den Worten:

Kent Abrahamsson, der Mann
den Helmer Grundström nassgepinkelt hat!

Aber diese Worte auf meinen Grabstein
schreiben, wollte man nicht.

Volkshaus - Gebäude, die als ökonomische, politische und kulturelle Zentren der Arbeiterbewegung etwa ab den 1890er Jahren eingerichtet wurden.

Erik Lindberg

Ich wusste nicht,
was ich sonntags
mit meinen Händen machen sollte.

Ich versuchte, sie unter
der gestrigen Zeitung zu verstecken,
aber sie tauchten wieder auf,
wie Huflattiche, die sich aus dem Rollsplitt
nach oben strecken.

Ich legte sie hinter den Rücken,
aber sie kamen wieder nach vorn
und streckten sich sofort hin zum Holzspalter.

Ich versuchte, sie in die Hosentaschen zu sperren,
aber sie flatterten nach oben, wie die Flügel
der Schwalben, wenn sie ihre Nester bauen.

Ich war so geschaffen, wie ich war,
so war das Ganze.

Niemand soll mir einreden,
dass Gott am siebten Tag ruhte,
zu viele Arbeiten
im Universum sind noch ungetan.

Ivar Dahlberg

Mein ganzes Leben lebte ich
mit Blutgeschmack im Mund.

Zu Beginn alle Besorgungen,
danach der Stall,
die Arbeit im Wald,
der Fuchsschwanz zuerst, dann die Motorsäge,
das große, schwere,
beschwerliche Monster.

Und immer schuftete ich mehr als ich konnte,
und der Blutgeschmack mischte sich mit Luft,
so wie Öl sich mischt mit Benzin
zu Zweitaktkraftstoff.

Es war der Wald,
das Flößen, das Stalldach, die Kühe
und die Wegarbeit in Åsele.

Und so ging es, bis das Magengeschwür kam,
und der Motor begann zu hacken,
und ich verlor das Tempo
und fiel der Länge nach zu Boden
und konnte nicht mehr gerettet werden.

Und nun liege ich hier im Grab
mit Erdgeschmack im Mund.

Es ist richtig gemütlich.

Åsele - ein Ort in der schwedischen Provinz Västerbottens län und der historischen Provinz Lappland.

Erland Johansson

Ich bekam keine Ordnung in mein Leben.

Das Dasein übermannte mich,
so als wenn ein übervoller
Oberschrank sich öffnet
und der ganze Inhalt
auf einen fällt.

Immer wieder öffnete sich der Oberschrank
und alles fiel über mich,
drunter und drüber.

Man sagte, ich wäre verrückt,
als ich begann, in Bengt Jonssons
Wald aufzuräumen.
Ich legte die Tannenzapfen in nummerierte
Haufen und fegte die Schuppen
von den Baumstämmen.

Ja, ich wollte alles in Ordnung halten,
damit nicht die ganze Natur
über uns Lebende zusammenbricht!

Man dankte mir, indem man mich
in eine Pflegeanstalt sperrte.

Der Mensch ist verwunderlich.

Sven Jonsson

Die Kinder purzelten hinaus wie Neukartoffel,
sobald man die Haustüre öffnete.

Es waren acht, neun in jedem Haus,
die gestorbenen nicht mitgerechnet.

Das war Zuwachs,
und alles ging vorwärts.

Und alle lächelten und waren blauäugig,
wie der Spross von Setzkartoffeln.

Aber das war damals.

Heute ist der Ort ein Goldgräberdorf,
in dem es kein Gold mehr gibt.

Ein Reisigbusch fegt über die Landstraße
und entfernt die Spuren
aller Geschichten, die es hier gab.

Und eben dies ist das Schlimmste.
Nicht, dass die Menschen wegziehen,
sondern weil die Erzählungen verschwunden sind.

Ohne diese
ist der Heimatort nichts.

Ingegerd Jäger

Ich folgte mit in allem,
wie das Rindenstück, das
auf ruhigem Wasser gleitet
sowie auf Stromschellen.

Und bei jedem Wetter ging ich
durch den Ort
und verkaufte die Zeitschriften
der Zeugen Jehovas und der Heilsarmee,
und alle kauften.

Und nie rannte ich mit dem Kopf
gegen die Wand,
und nie sagte ich ein böses Wort.

Ich nickte nur,
wie ein schaukelndes Rindenboot,
und gab keine Ratschläge.

Das, was geschehen soll, geschieht -
auf seine eigene Weise.

Ich ruhte sicher
in Gottes Hand.

Rickard Jäger

Ich verlor mich in Gottes Hand.

Sie war so gewaltig,
sie hatte so viele Schwielen,
so viele Linien.
so viele Täler.

Ich landete im Dunkel,
unten in seiner Hand,
wo es war wie in der
Senke weit hinter dem Vogelweinberg,
wohin die Sonne nicht gelangt
im Winter.

Ich fand kein Licht
in Gottes Hand,
und nahm das Moped zum Priester,
der zum Kaffee einlud
und lächelte und sagte adieu.

Ich wünschte, ich hätte
den Glauben meiner Frau,
als ich mich durch
Gottes Dunkel tastete.

Aber sie lächelte nur
und nickte
und machte das Ihre.

Und nun liegen wir hier,
Seite an Seite in unseren Särgen.
Ihrer ist ein Boot,
das auf dem hellen Ozean segelt,
und meiner ist
eine Senke,
die immer tiefer fällt
durch die
Fragen.

Verner Eriksson

Ich war einer in der Schar der Ameisen.

Wir hatten es immer eilig,
weil wir arm waren.
Waldarbeit
an den Tagen,
und an den Abenden
am Haus arbeiten
und dann im Stall.

Wir liefen von Arbeit zu Arbeit,
wir Ameisen,
während die Bauern im Ort
zum Markt in Åsele fuhren
und Knechte und Mägde anstellten.

Und die, die nichts hatten,
aber dennoch etwas haben wollten,
mussten ihre eigenen Knechte,
ihre eigenen Mägde,
ihre eigenen Opfertiere sein.

Innen in unseren Augen
gab es immer etwas,
das gemacht werden musste,
und unser Brot hielten wir
wie der Spatz sich unter dem Schatten
des Habichts.

So lebten wir, wir, die nun Toten,
in der alten Zeit, in der wir
am Sonntag den Kravattenknoten
mit Händen knüpften,
die nach Islandhering
und Hobelspan dufteten.

Elias Johansson

Sven Hansson,
Redakteur der Zeitung Västerbottens-Kuriren
kam zu mir,
als ich 90 Jahre alt wurde.

Wie war dein Leben so, Johansson?
fragte er.

Ich antwortete:
Ich wurde geboren und wuchs auf
und schuftete,
das war so ziemlich alles.

Aber du musst doch einiges erlebt haben?

Ja, einmal auf dem Bomsee
blies der Wind ziemlich kalt,
da setzte ich die Mütze auf,
die ich bei Åhlén & Holm gekauft hatte.

Aber, Johansson,
war da nicht mehr in deinem Leben?

Nein, antwortete ich,
das war alles im Großen und Ganzen.

Aber frage den Wind,
und frage das Boot,
die wissen vielleicht mehr.

Ester Eliasson

Ich schluckte eine Nähnadel,
sie begann im Körper zu wandern,
wie des Vaters Boot
in den Frühlingsfluten,
als ich klein war.

In ihrer Spitze trug sie den Tod,
aber es dauerte,
und bald wurde die Nadel
meine Freundin. Sie glitt an stillen
Sommertagen in die Pulsadern,
wenn die Trollblumen am Bäskfluss wuchsen
und die Schwalben nach oben stiegen.

In den Nächten, wenn ich das Ohr
an den Arm drückte, war es wie das Brausen
vorn im Steven des Boots, als Vater uns
einmal über dem Vojmån-Fluss
zur Viehhütte ruderte.

Eines Abends schlief ich
zu diesem Laut ein
und starb in der Nacht.

Anders Henriksson

Mein Dasein hatte ein Robbenloch,
in das ich ging um zu atmen.

Es war Samstagabend,
als der Postbus kam mit dem braunen Paket
vom Systembolaget in Lycksele.

Ich stellte die Flaschen auf den Tisch
und sie erhoben sich
wie der Ölberg in Jerusalem.

Und als die erste Flasche leer war, sagte eine
innere Stimme, ich könnte auf dem Wasser gehen,
aber ich wollte nicht auf dem Wasser gehen
das war ja nichts Neues.

Ich ging also hinunter zur Badebucht
und ging auf dem Seeboden
bis zu Pihls Landzunge,
und dann ging ich zum Tanzplatz
und schwang mit den Mädchen im Kreis herum.

Nun, endlich, konnte ich atmen,
hier im Tannenwald, der meine Lungen füllte!

Und jede Woche sah ich zu, dass das
Robbenloch sich erweiterte.
Und immer wieder,
bis weit

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© Willi Grigor, 2020
Übersetzung des Buches von 2020 "På kyrkogården i södra Lappland" des schwedischen Dichters Börje Lindström. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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