Tote erzählen aus einem Friedhof im südlichen Lappland - Page 8

Bild zeigt Willi Grigor
von Willi Grigor

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Kinder, Enkel, Urenkel
zwei, drei Wochen im Juli.

Dann stehen sie da,
still, mit stummen Augen
und Vorjahresgardinen.

Manchmal, zur Nacht,
sammeln sie sich unten am See,
wie Vieh.

So sagen die,
die sie gesehen haben.

Sven Sjölund

Ich machte draußen die Moorernte,
und wenn der Sommer vorbei war,
und es Zeit war für die Waldarbeit
und alles war gefroren
und die Schmetterlinge nicht mehr flogen,
war ich einer in der Mannschaft.

Ich lag eingeklemmt zwischen den anderen
auf der langen Pritsche in der Holzhütte,
und kam ich als Letzter in die Hütte,
rasselte es in den Körpern,
wenn ich mich ganz außen auf die Pritsche legte.

Ich lag da und bohrte mich in den Traum,
wo das Wasser in die Gräben floss,
und die Butterblumen standen gelb.

Im Traum, und nur im Traum,
sah ich die Schönheit und den Sinn,

alles andere
war das, was man ertragen musste.

So war es wohl
nicht nur für mich.

Monica Risberg

Das Mädchen, das in das Krankenhaus
von Vilhelmina gebracht wurde,
hatte sich in den Arm geritzt
und geschrieben:

Ich bin wertlos.

Selbst habe ich dies nie schreiben müssen,
es war schon da seit meiner Kindheit,
eingebrannt unter meiner Lebensrinde.

Nach außen hin war ich die Ordentliche
und Erfolgreiche,
aber in mir wusste ich,
dass ich - wie gut ich mich auch wusch -
die Schrift nie wegbekommen würde.
Sie drang tiefer und tiefer,
bis zu jenem Tag, als ich
auf das Eis ging und hindurchfiel,
so wie Uno Alenius
einmal.

Hinter mir hinterließ ich
eine ganz gerade Fußspur im Schnee,
genau so ordentlich wie das Leben,
das ich gelebt habe.

Erik Näslund

In meiner Kindheit
roch jedes Haus anders, und jeder Satz,
den man sagte, war schwer wie eine Eisenkette,
oder so leicht wie eine Seifenblase.

Die Welt war zeitlos,
und die Augenblicke hatten tiefe Taschen,
in die man an den Abenden
jeden Flügelschlag einer Hummel
stecken konnte.

Wenn jemand fragte,
wie es einem ging,
konte man nicht darauf antworten.

Ludvig Larsson

Ich baute meine Hütte ganz oben am Berg,
hoch über dem Blaugas,
das hertrieb vom Schlachtfeld in Flandern.

Ich hörte es knistern unten am Berg,
wie den Unterrock der Frau, mit der ich
in Borås war, im Hotel Lilja.

Ich nagelte Sägeblätter um meine Hütte,
die das Gas zersägen sollten,
so wie ich zersägte die Frau
im Hotel Lilja in Borås.

Doch es half nichts,
und ich legte ein Zelt um mein Bett
und schliff die Axt
und jagde die Schulmädchen,
wenn sie über den Berg kamen,
und da legte sich das Gas wie ein Nebel
und verschwand.

Aber es suchte sich in den Traum hinein
und wickelte sich um meine Beine,
als ich dort stand
mit der toten Frau
im Hotel Lilja in Borås.

Zum Schluss schickten sie mich
in ein Pensionärsgebäude unten im Ort.
Das Haus war neu
und das Zelt hatte keinen Platz.

Ich machte alle Platten des Elektroherdes an
und ließ sie glühend stehen.

Und seht ihr, wie es leuchtet von meinem Grabstein,
so brenne ich,
so brenne ich weg das Blaugas
und denke
an die Frau im Hotel Lilja,
die sagte:

Euch lieben, welch unverschämter Scherz!

Dies geschah am Tag nach dem
Ausbruch des großen Krieges.

Birgitta Lundkvist

Wir gingen auf der Landstraße, Papa und ich,
unter dem Sternenhimmel
an einem dunklen Abend.

Schau, sagte Papa,
und zeigte auf die Maschinennaht,
die still in gelben, kurzen Stichen heranwuchs
dort oben am Himmel.

Sieh, dort zieht Sputnik, den die Russen hochschickten!

Und ich sah in den Himmel,
und ich holte Atem,

aber nicht wegen dem Sputnik,
sondern wegen Papas Hand,
die so enorm wie der Weltraum war,
und ich lag in ihr.

Lars Andersson

Das Leben hat keinen Sinn,
sagte mein Vater,
warum leben wir denn?

Ich weiß, sagte meine Mutter,
das Leben hat keinen Sinn,
aber ich lebe,
weil es spannend ist
zu sehen, wie es wird.

Und so lebte ich selbst mein Leben,
ein Leben ohne Sinn,
aber mitten in dem Sinnlosen,
war es interessant
zu sehen, wie es wird.

Plötzlich an einem Tag
kam eine Frau in mein Büro,
sie wurde meine Ehefrau,
sie betrug mich mit meinem besten Freund,
und an einem anderen Tag starb meine Mutter,
so ging es Tag für Tag,
ständig sinnlos,
aber immer unerwartet.

Ich hatte immer den Blick auf das Tagesgeschehen
und starrte nie in die Zukunft -
es war, als sähe man einem Film
und lebt mit den einzelnen Bildern
ständig im Jetzt.
Das Ende kannte man ja gewissermaßen.

Uno Alenius

Unter diesem Grabstein liege ich,
versucht, mich zu finden, wenn ihr könnt.

Ich ging hinaus auf das Eis, um das Fischnetz
zu entleeren, der Abend war klar,
der Polarstern leuchtete. Es knallte aus den Tannen,
als die Kälte sich bereit machte.

Trotzdem ging ich weiter auf das Eis.
Ich viel in ein Eisloch
und es wurde schwarz.

Bis zum Sommer suchte man mich mit dem
Draggen, aber da war ich schon einer
der Unterirdischen,
die unter den Füßen der Menschen mit den
unsichtbaren Wasserläufen ziehen.

Ich las deren Schuhgrößen
und das Muster auf den Sohlen,
und ich sah hinein i deren Leben,
wie man in eine Ölwanne
unten in der Schmiergrube schaut.

Man begrub mich in einer mit Steinen
beschwerten Kiste.

An dem Abend hörte es sich an,
als würde die Kühle in den Tannen knallen.

Sten Lindström

Es war etwas Besonderes zwischen Papa und Jonny,
ein special relationship, wie zwischen
Amerika und England, aber während Roosevelt und
Churchill sich auf einem Schlachtschiff auf dem
Atlantik trafen, trafen sich Papa und Jonny auf
einem Ruderboot draußen auf dem Bomsee,
an einem Abend, als die Maränen wachten und ein
schaukelnder Schnapskorken in die Dämmerung floss.

Im Winter kam Jonny
mit dem Traktor und räumte Schnee,
und im Sommer
sägte er Papas Langholz im Sägewerk,
aber bezahlt werden wollte er nicht.

Da war etwas,
etwas vor langer Zeit,
als Jonny noch nicht geboren war,
aber Papa da war.

Es hatte damit zu tun, dass Jonnys Eltern
die nächsten Nachbarn
mit Oma und Opa waren,
und man gegenseitig mit Setzkartoffeln
über den Grabensteg ging
in den schlechten Jahren.

Es entwickelte sich
eine special relationship.

Und als Papa starb
waren Jonny und ich, die sich trafen,
aber meistens im Dorfladen,
wenn ich zu Hause war im Sommer.

Wir sprachen meistens über die Rehe,
die um sein Haus gingen,
und ihn bezahlen für eine Hilfe
kam nicht infrage,
aber mit einer Flasche Famous Grouse
ging es besser.

Vogelwhisky, sagte er und lächelte.
Vogelwhisky, sagte ich und lächelte.

Zu Weihnachten schickten wir uns Karten.

Frohe Weihnacht von Jonny, schrieb er.
Frohe Weihnacht von Sten, schrieb ich.

Nun sind wir beide tot
und die Sonne senkt sich über den Bomsee.

Bengt Lövberg

Ich war ein Wasserläufer,
der über dem Boden schwebte
und nichts ernst nahm.

Sobald jemand ein ernstes Wort sagte,
konterte ich mit einem Spaß,
so dass das Lachen stieg
und ich weiterschweben konnte.

Es passierte wohl manchmal,
dass ich etwas schimmern sah
unter meiner Oberfläche,
aber da kam ich schnell mit einem Witz
und glitt weiter,
wie der Wasserläufer
unten an den Bootshäusern im Bomsee.

Was mich verwundert ist,
dass niemand mich packte und sagte:

Du bekamst dein Leben als Geschenk,
nimm es ernst!

Dies verwundert mich,
aber alle hatten wohl
genug mit sich selbst zu tun.

Tony Lidberg

In Vilhelmina gab es einen Swingerclub,
und ich durfte dabei sein.

Man setzte sich in das Auto
und fuhr in die Ortschaft,
und die Winternacht um uns
war ein Liebestunnel,
und am Granberg sahen wir
die Lichter von Vilhelmina leuchten
wie in Manhattan.

Wir fanden das Klarsignal,
parkten das Auto auf der Straße,
tranken einen Red Bull
und gingen hinein in die Herrlichkeit.

Und während die Tretschlitten draußen
an den Villen vorbeiglitten, widmeten wir uns
im Geheimen unserem Vergnügen.

Wunderbare Dinge in der Nacht!

Aber es war ja nicht etwas,
das man erzählen konnte,
wenn die Verwandten aus dem Süden
verwundert fragten, wie man sie aushielt,
die langen, dunklen Winternächte
in dieser verlassenen Gegend.

Karl Sundin

Ich hatte einen Volvo PV 444,
Modell 1954,
44 PS, Dreigangschaltung
und schwarz
wie eine Kanonenkugel.

Jeden Abend ging ich raus
mit Wassereimer, Schwamm
und Fensterleder
und wusch und wusch,
während die Wolken
oben im Himmel
zogen und zerrten an ihren Vertäuungen.

Ich fuhr nie schneller als 30,
es hätte ja ein Steinschlag kommen können.
Und sogar in der Garage hielt ich
die Fingerknöchel gegen die Frontscheibe,
im Fall es könnte eine Ladung
von der Straße kommen.

Eines Tages klingelte das Telefon,
ein Frauenzimmer aus der nördlichen Küste
hatte falsch gewählt.
Aber Sympathie kam auf
und sie sagte:
Beeile dich und komm,
ich sehne mich schon nach dir!

Und ich in das Auto
und drückte das Gas auf den Boden.
Aber wie ich auch drückte,
der Buckelvolvo ging nicht schneller als 30,
der Motor war verrußt.
Und als ich dann endlich ankam,
war sie schon unterwegs zur Sonne, dem Sand.

Danach stellte ich
den PV in die Scheune
und kaufte mir ein rotes Damenfahrrad,
mit dem ich in voller Fahrt
die Schmetterlingshügel
freihändig hinunterfuhr,
während die Schwalben auf
das Auto in der Scheune schissen
und die Füchse
die Polster der Sitze
zerrissen.

Nikanor Söderström

Früher, im Abholzwald,
wenn wir in den Hütten saßen und über
den Abtransport aus dem Wald diskutierten,
sagte man: Die Packzange macht den Rücken kaputt,
der Packhaken ist besser,
das wissen wir.

Das wusste man nach der jahrzehntelangen
Anwendung dieser Werkzeuge.

Sprach man über etwas, das man
selbst nie in den Händen hielt,
oder von der Nähe gesehen hat,
sagte man: Darüber weiß ich nichts,
ich habe nur darüber gehört.

In der neuen Zeit äußerten sich Leute weit und breit
über die innersten Gedanken der führenden Männer
der Welt: Das Klima auf dem Mars
und wie einfach es ist, zum Mond zu fliegen.

Wie konnten sie das wissen?
Waren sie selbst dort gewesen?
Woher kommt diese blinde Selbstsicherheit?

Nicht von den Tannen,
nicht von den Abholzwäldern,
in denen wir früher
aufwuchsen.

Ralf Persson

Ich trank meinen Kaffe
und ging hinaus.
Ich säuberte die Blumenbeete
und wässerte den blauen Rittersporn.

Ich dachte an nichts,
während die Wolken
über den blauen Himmel zogen.

Dann ging ich in das Haus,
die Treppe hoch
zum Dachboden.
Ich stellte mich unter den Dachbalken
und wusste, dass ich die Blumenbeete
gesäubert und dem blauen Rittersporn
Wasser gegeben hatte.

Dann legte ich den Strick über den Balken,
zog den Kopf durch die Schlaufe
und stürzte wie ein Kamikazeflieger,
während der Wind
über das Schornsteinblech rauschte.

Henry Persson

Der Wald gehörte dem Elch
in gleicher Weise wie mir.

Die Welt gehörte den Vögeln
in gleicher Weise wie mir.

Die Sonne schien
auf Hund und Katze, in gleicher Weise
wie auf mich.

Vorsichtig ging ich durch den Wald,
hinterließ nichts, was nicht zu ihm gehörte.
Was andere weggeworfen hatten,
nahm ich mit zurück.

Von niemandem
hörte ich einen Dank,
ich verlangte keinen Dank.
Aber manchmal
flog der Unglückshäher zu mir
und verneigte sich.

Sven Åke Holm

Wie schwer es war,
die Ader zu treffen, die meine eigene war!

Ich war wie ein Goldgräber,
der nie sein Gold fand,
nur Kies und Sand.
Dennoch wusch und wusch ich,
aber zu keinem Nutzen.

Ich wusste,
dass ich einen Schatz in mir trug,
aber ich erreichte ihn nicht.

Es war, wie wenn man im frühlingsblanken
Bomsee einen Schatten unter dem Eis gleiten sieht,
direkt unter den Füßen.

Birgitta Dahlberg

Ich vermisse meine Kinder,
ich vermisse meine Hütte am Bomsee,
unser Ruderboot und unseren Hund.

Ich vermisse die Reisen
in die Türkei, das Fischen im Vojmån
und das Elchfleisch,
das Jonny uns jeden
Herbst brachte.

Ich vermisse die Sommer,
da wir das Heu wie früher aufsteckten
und dann den Kaffeekorb öffneten.

Aber am meisten
vermisse ich den Duft von Neuschnee,
wenn ich durch die Haustüre ging,
während die Kindern schrien
und der Mann betrunken vor dem TV saß.

(Vojmån - ein linker Nebenfluss des Ångermanälven in der schwedischen Provinz Västerbottens län.)

Owe Karlsson

Du sollst nicht glauben, dass du etwas bist,
sagte Papa. Nein, sagte ich, ich weiß, dass ich
etwas bin, ich brauch nicht glauben.

Oh Gott, wie zornig Papa war.

Die Technische Schule nahm mich an, aber
Papa gab mir kein Geld für die Ausbildung.

Da ging ich zu Per Larsson,
seinem größten Feind,
er borgte mir das Geld.

Oh Gott, wie zornig Papa war.

Nach der Hochschule baute ich und baute ich,
stand in der Zeitung fast jeden Tag,
und hatte bald in Schloss
in Frankreich, ein Ferienhaus in Sälen
und eine Wohnung in Östermalm.

Oh Gott, wie zornig Papa war.

Aber dann kam die Steuerbehörde
und bezichtigte mich der Bestechung,
ich sagte, wie es war:

In der Baubranche gibt es keine Bestechung,
nur Kickbacks.

Ich kam ins Gefängnis.

Oh Gott, wie zornig Papa war.

Zum Schluss kam ich raus,
aber ich war ziemlich angeschlagen, fuhr in die
Provence und starb nach einem Pernod.

Zum Begräbnis kamen fünfhundert Menschen.
Ich habe sie im Voraus bezahlt.

Laut meinem Testament ging alles an den
Verein "Freundschaft zwischen Katze und Pferd",
ein Verein, der mir nahe stand.

Oh Gott, wie zornig Papa war

Und nun liege ich hier,
im Grab neben Per Larsson,
aus eigenem Willen.

Oh Gott, wie zornig Papa ist.

(Sälen - Ein Skigebiet in Westschweden
Östermalm - ein eleganter Stadtteil in Stockholm)

Anna Lundberg

Ich liebte mein Leben,
nur mich selbst mochte ich nicht.

Man sagte, dass ich immer lachte,
das war richtig, richtig war auch,
dass ich die hübschesten Kleider hatte
und die schönsten Frisuren.

Es stimmte, dass mich alle mochten,
und dass Sven Hansson
Filmstar-Fotografien von mir machte,
unten am Vojmån-Fluss.

Es ist auch wahr, dass ich populär war,
begehrt, und immer warme Hände hatte.

Es war nur so,
dass ich furchtbar fror,
in meinem Inneren - dorthin kam niemand.

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Dies waren 67 Personen (von 108), die hier zu Wort kamen.
Fortsetzung folgt

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© Willi Grigor, 2020
Übersetzung des Buches von 2020 "På kyrkogården i södra Lappland" des schwedischen Dichters Börje Lindström. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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