„So ein Computer ist doch auch nur ein Mensch“, hat einmal jemand geäußert. Vermutlich war ich es sogar selbst. Das war zu jener Zeit, da ich meine Texte noch im Zweifinger-Suchsystem lautstark in die Reiseschreibmaschine hackte. Später war es dann eine elektrische und schließlich eine elektronische Schreibmaschine.
Und weil ich die vielfältigen Fähigkeiten dieses Geräts nur zu Bruchteilen von Prozenten nutzte, bestand eigentlich keine Notwendigkeit, die weitere Entwicklung der digitalen Textverarbeitung im Hinblick auf meine Tätigkeit als Freizeitschreiberling (FS) zu verfolgen.
Allerdings hatte ich diese Rechnung ohne unseren Sohn gemacht, der sich zu der Zeit zum EDV-Berater und Programmierer heran bildete und längst als freier Software-Entwickler tätig ist.
Damals, in den frühen Tagen des 21. Jahrhunderts beflügelte mich noch der Gedanke, daß sich ein Verleger für meine Texte interessieren könnte. Und als ich Überlegungen dieser Art in Gegenwart unseres Sohnes zum Besten gab, war es geschehen.
Er, der Sohn, erschien eines Tages in unserem Dorf im Südwesten Frankreichs samt einem Notebook und der Absicht, mir in einem Vier-Tage-Intensivkurs die Grundbegriffe, die im Umgang mit diesem Gerät zu beachten sind, nahe zu bringen. Voilà, da hatte ich also einen ordinateur. Vier Tage das ganz kleine EDV-Einmaleins, klammes Befingern der Tastatur, immer in der Angst, daß gleich etwas abstürzt, mit jedem Piepsen wurde ich unsicherer. Gelegentlich rettete ich mich dann in die Theorie, verkündete stolz, daß ein Byte acht Bits hat und erschauerte angesichts der Tatsache, daß in der Festplatte meines Notebooks mehrere Giga-Bytes versammelt waren und meiner Befehle harrten. Den Unterschied zwischen Datei und Dokument und die damit zusammenhängenden Bewertungen und Verfahrensweisen auf meiner Festplatte – immerhin Baujahr ‘34 – zu speichern, erschien mir in Ermangelung einer geeigneten Schnittstelle als kaum durchführbar. Nachts träumte ich von Fenstern, die sich wie von Geisterhand öffneten, und Zwischengesichtern, die hämisch lächelnd herausschauten.
Der Sohn enteilte, mich in den Klauen des Notebooks zurücklassend. Und – was ich kaum zu hoffen gewagt hatte – erste Erfolgserlebnisse stellten sich ein. Nach bestimmten ‘Befehlen’ – mein Gott, ich gebe ungern Befehle, ich versuche es im allgemeinen lieber mit Bitten – , also nach bestimmten Befehlen, deren Logik sich mir nur zögernd erschloß, entdeckte ich unter anderem ein Adreßbuch und einen Terminkalender, fand auf Wegen, die anschließend nachzuvollziehen mir häufig schwer fiel, Möglichkeiten, etwas darin zu notieren und war begeistert, meine Notizen dort wohlgeordnet wieder zu finden, wo ihnen ein begnadeter Programmierer einen Platz zugewiesen hatte. Schließlich zog ich auch die Notizen zu Rate, die ich während meines Intensivkurses gemacht hatte, und wagte mich an die Eingabe und Abspeicherung meiner Manuskripte auf Diskette. Und wieder schwelgte ich in Erfolgserlebnissen, zuckte auch gelegentlich zusammen, wenn plötzlich statt siebzig Anschläge nur noch sieben in die Zeile paßten, und sich diese rätselhafte Veränderung nach jedem Antippen einer Taste über weitere Teile der Textlandschaft ausbreitete. Beklommen dachte ich an Goethes ‘Zauberlehrling’ und spielte mit dem Gedanken, erst einmal doch die Finger von dieser verdammten Kiste zu lassen. Doch das noch zarte Pflänzchen Ehrgeiz war nicht so leicht umzubringen. Mit hohem Zeitaufwand und unter Einsatz logisch anmutender Denkvorgänge bekam ich derartige Probleme in den Griff, ohne seelischen Schaden zu nehmen. Wobei ich mir auch stets die klugen Worte von Leuten in Erinnerung rief, die den Umgang mit Computern gewohnt sind und ihre Erfahrungen in folgende Aussage kleiden: „Der Rechner macht nur das, was Sie ihm eingeben. Und wenn Sie Blödsinn eingeben, dann macht er Blödsinn.“ Das erschien mir logisch und nachvollziehbar.
Also fuhr ich fort, meine Texte einzugeben, beseelt von dem angenehmen Gefühl, die Maschine zumindest in den Grenzen, die von meinen Fähigkeiten auf diesem Gebiet gesetzt wurden, im Griff zu haben. Das Schreiben, Korrigieren und Löschen unterschied sich nicht sehr von der gewohnten elektronischen Schreibmaschine und ging mir also flott von der Hand. Und sogar mit kleinen Erfolgserlebnissen – elektronischen Streicheleinheiten – geizte das Notebook nicht. Irgendwie bekam ich auch die Begriffe ‘Datei’ und ‘Dokumente’ in die Reihe und erfreute mich maßlos an der Tatsache, daß ich die erste Geschichte nicht nur auf der Diskette hatte, sondern auch in der Lage war, sie von da wieder auf den Bildschirm zu zaubern. „Das machen all die Abermilliarden kleinen fleißigen elektronischen Weibchen und Männchen – aber immerhin auf mein Geheiß!“ vermeldete ich humorvoll meinem Lehrer-Sohn. Ich stellte mir vor, wie der Informationsball – das Bit – immer zwischen 0 und 1 gewechselt wird. 0, das sind die Männchen, und 1, das sind die Weibchen (mein sicher unmaßgeblicher Beitrag zur Emanzipation im Reiche der Elektronik).
Doch zurück zum Thema. Auch das zweite, dritte und vierte Manuskript ließ sich problemlos auf die Diskette bannen und von dort wieder abrufen, ändern und zurückbeordern. Ich hatte nun begriffen, daß Dokumente in – oder von? – Dateien verwaltet und zwecks Auffindung bei einem Namen gerufen werden, den ich anläßlich der Speicherung anzugeben habe, und der tunlichst acht Anschläge nicht überschreiten sollte. Der besseren Übersicht wegen wählte ich stets den Titel oder – falls zu lang – einen Teil des Titels des jeweiligen Manuskripts. Zum Beispiel ‘Spatz’, Jahresz.’, ‘Wort’, Augenmaß’.
So hatte ich dann auch als fünfte Geschichte das recht umfangreiche Manuskript ‘Vierzehn Kilo Kunst’ unter ‘14 Kilo’ abgespeichert und mit einem neuen Text begonnen, als mir eine bessere Formulierung für das ‘Vierzehn Kilo Kunst’-Manuskript in den Sinn kam. Mit sicherem Finger gab ich die notwendigen Befehle ein und traute meinen Augen nicht:
„Das Dokument kann nicht gefunden werden (14 Kilo)“, informierte mich der Bildschirm.
„Ich hatte es doch richtig abgespeichert,“ summte die Festplatte, Baujahr ‘34, „oder doch nicht?“
Nein, überprüft hatte ich die Ankunft auf der Diskette nicht. Also noch einmal. Ach so, ja, woher nehmen und nicht stehlen? Also neu schreiben! Ich schrieb, ich speicherte das umfangreiche Manuskript ordnungsgemäß und unter Zuhilfenahme meiner Intensivkurs-Notizen auf Diskette und wurde sogleich von einem Schriftsatz auf dem Bildschirm meines ehrenwerten Notebooks unterbrochen:
„Soll der Inhalt des vorhandenen, gleichnamigen Dokuments gelöscht werden?“
Wie bitte, dachte ich, das kann doch wohl nicht wahr sein! Wo ist denn dieses gleichnamige Dokument, wenn es nicht auffindbar ist?? ‘Denk’ morgen drüber nach’, summte die 34er Festplatte, vielleicht auch angesichts der Gefahr, daß es sonst zu einem Kurzschluß kommen könnte. Auch in Anbetracht der Ermüdungserscheinungen, die sich bei Fingern und Augen einstellten, akzeptierte ich den Vorschlag und verschob das Problem – in Anlehnung an die verehrte Scarlet O’Hara – auf den folgenden Tag. Was mich aber nicht vor einer unruhigen Nacht mit sich öffnenden und schließenden Fenstern, unauffindbaren Dokumenten, verschlossenen Dateien und grinsenden Zwischengesichtern voller Schnittstellen bewahren konnte.
Der nächste Tag war insofern von Erfolg gekrönt, als ich die vermißte Geschichte wieder fand: In Form einer Auflistung der Disketteninhalte und da, wo sie schon von Anbeginn existierte. Nämlich im Register der Datei. Nur auffindbar war sie weiterhin nicht. Jedenfalls nicht in dem Sinne, daß ich sie hätte auf den Bildschirm zitieren können. Aber immerhin hatte ich notgedrungen einiges über das unbekannte Wesen namens Notebook gelernt. Es gab da verschiedene Laufwerke, Zwischenspeicher, einen Papierkorb und Online-Hilfen, die mir allerdings nicht viel nutzten, weil ich dem technischen Vokabular nicht gewachsen war. Und es gab – für mich absolut faszinierend – die Möglichkeit, überall nachzuschauen, ob das vermißte Manuskript irgendwo vorhanden sei. Die zweite Version war über Nacht verschwunden. Denn ich hatte sie ja, irritiert durch die Nachfrage des Notebooks, ob die erste – die unauffindbare – Version gelöscht werden solle, nicht gespeichert. Diese erste Version hingegen geisterte, wie schon erwähnt, überall da herum, wo sie hingehörte. Nur auffindbar war sie auch weiterhin nicht. An diesem Abend hatte selbst eine endlose Pechsträhne beim Rummy-Cub-Spiel mit meiner besorgten Gattin keinen Einfluß auf die Lethargie, die meine Gefühlsäußerungen lähmte. Am dritten Tag stabilisierte sich die Situation schließlich dergestalt, daß zwar noch alles da war, die Maschine nun aber nichts mehr wieder fand. Auch die bisher noch auffindbaren vier Dokumente waren von Stund an der Vergessenheit anheim gefallen. Dessen ungeachtet wurden sie jedoch weiterhin im Verzeichnis der Datei und in der Inhaltsangabe der Diskette als vorhanden gemeldet. Ich hatte den Eindruck, einem Notebook gewordenen Alzheimer-Virus gegenüber zu sitzen und befürchtete ernsthafte Gefahren für meine eigene Festplatte. Meine inzwischen erworbenen oder – wie ich befürchten mußte – noch verbliebenen theoretischen Kenntnisse nutzend, begann ich, die Verzeichnisse in zäher Kleinarbeit und Stück für Stück zu löschen. Die betreffende Diskette formatierte ich neu und stellte erfreut fest, daß diese erfolgreich durchgeführten Arbeiten mein in den Grundmauern erschüttertes Selbstbewußtsein ein wenig festigten.
Mit neuer Energie und wiederhergestelltem Vertrauen in die eigene Intelligenz gab ich zwei kurze Texte ein, die auch ordentlich abgespeichert und wieder gefunden wurden. Dann machte ich mich erneut an die ‘Vierzehn Kilo Kunst’, gab aber voller Mißtrauen nur eine halbe Seite ein und speicherte sie wie gehabt unter ‘14 Kilo’ ab. Es erfolgte keine Rückfrage wegen Löschung eines gleichnamigen Dokuments, und erleichtert öffnete ich anschließend die Datei, um das Dokument auf den Bildschirm zu zaubern.
„Dieses Dokument kann nicht gefunden werden (14 Kilo)“, wurde mir ins Gesicht geschleudert.
Ich rekapitulierte die unternommenen Versuche und kam zwingend zu dem Schluß, daß es nicht daran liegen konnte, daß die Datei nur vier Dokumente verkraftet. Denn im vorliegenden Fall verschwand ja schon das dritte Dokument in den Untiefen der Elektronik. Auch hatte ich nur einen kleinen Teil des umfangreichen Textes eingegeben. Also am Fassungsvermögen konnte es gewiß nicht liegen, erkannte ich und hakte entsprechende Befürchtungen ab. Hat das Notebook etwas gegen „14 Kilo“? Mir kam wieder in den Sinn, daß so ein Computer schließlich auch nur ein Mensch ist und also auch mit der einen oder anderen Abneigung zu kämpfen hat ... Die Lektüre der verschiedenen On- und Offline-Handbücher vermittelte leider keine Hinweise auf Lösungsmöglichkeiten für dieses spezielle Problem. Meine Gedanken entglitten gelegentlich ins Wunderliche, und ich überlegte ernsthaft, einen Facharzt für Erkrankungen elektronischer Datenverarbeitungsgeräte aufzusuchen. Schließlich gelang es mir jedoch, die sich neuerdings ankündigende Verzweiflung in ihre Schranken zu verweisen. Gewappnet mit den in meinem Alter noch verfügbaren Verstandeskräften näherte ich mich dem Problem mit den Gesetzen der Logik. Also, faßte ich das Ergebnis meiner Überlegungen zusammen, wenn dir die ‘14 Kilo’ nicht passen, wie wäre es denn mit ‘Vierzehn’? Das sind genau acht Anschläge. Und wenn du etwas gegen Gewichtsangaben hast – also bitte, an mir soll’s nicht liegen, ich kann auf ‘Kilo’ verzichten!
Wieder gab ich die ersten Sätze des Manuskriptes mit geübten Fingern und nahezu auswendig ein und speicherte dieses Mal unter ‘Vierzehn’ ab. Mit klopfendem Herzen öffnete ich anschließend die Datei, klickte die ‘Vierzehn’ an und – tatsächlich! Keine dummen Ausreden von wegen „find’ ich nicht“! Buchstabe für Buchstabe, Satz für Satz: alles da! Mein Notebook hat etwas gegen ‘Kilo’, vermutete ich. Na schön, damit kann man leben, tröstete ich mich. Oder hat es am Ende nur etwas gegen Ziffern im Dokumententitel?
Ich kann das nicht überprüfen. Ich laß die Finger davon, dachte ich. Ich werde mir mein Notebook nicht noch einmal verärgern! Und als ich diese Geschichte, die ich vorsorglich mit der Hand geschrieben hatte, eingab, hoffte ich inständig auf ein wenig Nachsicht seitens meines ordinateur.
So ein Computer ist doch immerhin auch ein Mensch!
Gewidmet meinem Freund und Helfer in allen IT- Fragen, Karl Vogt, im Juni 2019
Der Rechner, dieses arme Schwein,
muß stets der üble Täter sein,
obwohl er doch ganz unverhohlen
nur das tut, was man ihm befohlen.
Der Mensch hingegen, der kann denken,
kann sich und Andren Freude schenken.
Wie wär's denn, wenn er mit Bedacht
auch seinem Rechner Freude macht.
Mit klaren, richtigen Befehlen
bedient er flott die Tastatur.
So bleibt das Elektronikum
dem Menschen gerne auf der Spur.
Dieter J Baumgart