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hat einige Worten verstanden, kann sich aber nicht aller erinnern. Daß ›sacré‹ und ›mon Dieu‹ gesagt wurde, hat er deutlich verstanden. Er hat ein Geräusch vernommen, als ob sich mehrere Personen miteinander balgten – darauf ein scharrendes schlürfendes Geräusch. Die schrille Stimme sei sehr laut, lauter als die barsche gewesen. Er sei sicher, daß es nicht die Stimme eines Engländers, viel eher die eines Deutschen gewesen sei, vielleicht könne es auch eine Frauenstimme gewesen sein. Er verstände kein Deutsch.
Vier der genannten Zeugen sagten, als sie wieder vorgerufen wurden, übereinstimmend aus, daß die Tür des Zimmers, in dem man die Leiche des Fräulein L'Espanaye gefunden habe, von innen verschlossen gewesen sei. Als man oben ankam, sei plötzlich alles ganz still gewesen – von einem Stöhnen oder sonstigen Geräusch irgendeiner Art war nichts mehr zu hören. Man erbrach die Tür, aber niemand war in dem Zimmer zu sehen. Die Fenster des hinteren wie des vorderen Zimmers seien geschlossen und von innen verriegelt gewesen. Die Verbindungstür zwischen den beiden Zimmern war zu, jedoch nicht verschlossen. Ein kleines, im vierten Stock nach der Straße gelegenes Zimmer am Ende des Korridors stand weit offen. Dieses Zimmer war mit alten Betten, Koffern usw. ganz vollgestopft. Es wurde ausgeräumt und auf das sorgfältigste durchsucht. Es war überhaupt in dem ganzen Haus nicht das kleinste Winkelchen, das man nicht gründlich durchsucht hätte. Man ließ Schornsteinfeger kommen, die die Schornsteine und Kaminröhren kehren mußten. Das Haus hat vier Stockwerke und enthält außerdem noch einige Mansarden. Auf dem Dach befindet sich eine kleine Falltür, die man aber fest vernagelt gefunden hatte und die seit Jahren nicht mehr benutzt zu sein schien. Über die Länge der Zeit von dem Augenblick an, wo man die streitenden Stimmen vernahm, bis zu dem, wo man die Zimmertür aufbrach, schwanken die Aussagen der Zeugen. Einige meinten, es könne sich höchstens um zwei oder drei Minuten handeln, andere behaupteten, es seien wenigstens fünf Minuten gewesen. Es war schwer gewesen, die Tür zu öffnen.
Alfonzo Garcio, Begräbnisbesorger, sagt aus, daß er in der Rue Morgue wohne. Er ist geborener Spanier. Gehört zu den Leuten, die in das Haus eindrangen, ging aber nicht mit die Treppe hinauf. Ist nervenschwach und fürchtete die Folgen der Aufregung. Die streitenden Stimmen hat er jedoch deutlich gehört. Die rauhe Stimme war die eines Franzosen, und er glaubt sich nicht zu irren, wenn er die schrille Stimme für die eines Engländers hält. Zeuge versteht zwar kein Englisch, urteilt aber nach der Aussprache der Worte.
Alberto Montani, Konditor, sagt aus, er sei einer der ersten gewesen, die die Treppe hinaufgeeilt wären. Er hat die streitenden Stimmen gehört. Die barsche Stimme sei die eines Franzosen gewesen, Zeuge behauptet, einige Worte verstanden zu haben. Es hätte ihm so geschienen, als ob der Sprecher einem anderen Vorstellungen mache. Von dem, was die schrille Stimme sagte, habe er nichts verstehen können, sie habe schnell und in abgebrochenen Lauten gesprochen. Zeuge meint, daß es die Stimme eines Russen gewesen sei. In allen wesentlichen Punkten stimmt er vollständig mit der Aussage der anderen Zeugen überein. Er ist Italiener. Er hat niemals mit einem geborenen Russen gesprochen.
Mehrere wieder aufgerufene Zeugen bestätigen, daß die Kamine aller Zimmer der vierten Etage viel zu eng seien, als daß ein menschliches Wesen dadurch hätte entkommen können. Unter Besen verstände man jene zylinderförmigen Kehrbesen, wie die Schornsteinfeger sie zum Reinigen der Kamine gebrauchen. Man sei mit solchen Besen durch sämtliche Schornsteine des Hauses auf und nieder gefahren. Es gibt in dem Hause keine Hintertreppe oder einen sonstigen Ausweg, durch den sich jemand hätte retten können, während die Zeugen die Treppe hinaufeilten. Der Körper des Fräulein L'Espanaye war so fest in den engen Kamin hineingezwängt, daß es nur den vereinten Kräften von vier oder fünf Männern gelang, ihn wieder herunterzuziehen. –
Paul Dumas, Arzt, sagt aus, daß man ihn gegen drei Uhr gerufen habe, um die Besichtigung der Leichen vorzunehmen. Sie lagen beide auf der Matratze des Bettes, das im Zimmer stand, in dem Fräulein L'Espanaye gefunden worden war. An dem Körper der jungen Dame hatte er viele Quetschwunden und Hautabschürfungen gefunden. Es war dies nur zu erklärlich, wenn man den Umstand in Betracht zog, daß das unglückliche Mädchen mit roher Gewalt in den Schornstein hinaufgezwängt worden war. Der Kehlkopf war vollständig zusammengepreßt. Unter dem Kinn befanden sich mehrere tiefe Kratzwunden sowie eine Reihe blauer Flecken, die offenbar von einem heftigen, mit Fingern ausgeübten Druck herrührten. Das Gesicht war gräßlich entstellt, die Augen waren aus ihren Höhlen weit hervorgequollen, die Zunge halb durchgebissen,. Auf der Magengrube wurde eine große Quetschung entdeckt, die anscheinend von dem Drucke eines Knies herrührte. Herr Dumas war der Meinung, daß Fräulein L'Espanaye von einer oder mehreren Personen erwürgt worden sei. Die Leiche der Mutter war ebenfalls in entsetzlicher Weise verstümmelt. Sämtliche Knochen des rechten Beines und des rechten Armes hatte er mehr oder weniger zerschmettert gefunden. Ebenso waren das linke Schienbein und die sämtlichen Rippen der linken Seite zersplittert gewesen. Der ganze Körper war in grauenhafter Weise mit Quetschwunden bedeckt und zeigte blutunterlaufene Stellen; es sei ein ganz entsetzlicher Anblick gewesen. Es wäre unmöglich festzustellen, wie und womit diese schweren Verletzungen herbeigeführt worden seien. Ein schwerer hölzerner Knüttel oder eine Eisenstange, von den Händen eines sehr starken Mannes geschwungen, könnten solche Resultate hervorbringen. Eine Frau würde, mit welcher Waffe es auch sei, niemals so wuchtige Schläge austeilen können. Der Kopf der Toten war, als der Zeuge ihn zu Gesicht bekam, ganz vom Körper getrennt und vollständig zerschmettert gewesen. Offenbar sei der Hals mit einem sehr scharfen Instrument, wahrscheinlich einem Rasiermesser, durchschnitten worden.
Alexander Etienne, Wundarzt, war gleichzeitig mit Herrn Dumas zur Leichenschau gerufen worden. Er bestätigte in allen Punkten das Zeugnis und Gutachten des Herrn Dumas.
Obgleich noch verschiedene andere Personen verhört wurden, ließ sich nichts Weiteres feststellen. Noch nie ist in Paris ein so geheimnisvolles Verbrechen verübt worden, dessen Einzelheiten so unerklärlich sind – man möchte beinahe fragen, ob hier wirklich ein Mord vorliegt? Jedenfalls hat die Polizei bis jetzt auch nicht die kleinste Spur gefunden, die sich verfolgen ließe, und das ist bei derartigen Fällen
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Interpretation von Edgar Allan Poes „Der Doppelmord in der Rue Morgue“
Edgar Allan Poes 1841 veröffentlichte Erzählung „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ gilt als ein Grundstein der modernen Detektivgeschichte. In ihr werden wesentliche Elemente eines Genres sichtbar, dessen Ausformung und Konventionen weit über das 19. Jahrhundert hinaus Bedeutung erlangten. Bereits die Verwendung eines genialen, deduktiv vorgehenden Ermittlers – Auguste Dupin – sowie das Moment des schier Unmöglichen, des von innen verriegelten Tatorts (Locked-Room-Mystery), prägen die narrative Struktur und die späteren Entwicklungen der Kriminalliteratur. Die Erzählung ist damit nicht nur ein zeitgeschichtliches Dokument, sondern auch ein programmatisches Werk, in dem Poe das rätselhafte Verbrechen als intellektuelles Spielfeld darstellt, auf dem sich die Macht der Logik gegenüber dem scheinbar Unbegreiflichen behaupten muss.
Rationalität vs. Schrecken und Sensation
Eine zentrale interpretative Spur liegt in Poes Gegenüberstellung von rationalem Denken und sensationsgieriger Faszination am Unheimlichen. Die Pariser Gesellschaft reagiert entsetzt und verwirrt auf den grausamen Mord an Mutter und Tochter, der sich in einem verschlossenen Zimmer im vierten Stock abspielt. Während die Öffentlichkeit – inklusive der Polizei – geneigt ist, sich in Gerüchten und vermeintlich übernatürlichen Erklärungen zu verlieren, setzt Dupin auf kühle, logische Analyse. Diese Haltung spiegelt Poes Skepsis gegenüber den rein emotionalen, irrlichtenden Reaktionen der Menge wider. Zugleich zeigt sich hier die aufklärerische Geisteshaltung, wonach auch die seltsamsten Phänomene mit scharfem Verstand verstanden, wenn nicht sogar restlos erklärt werden können. Der Durchbruch der Rationalität durch den Schleier des Makaberen wird zur intellektuellen Herausforderung, die über das bloße Erzählen von Schrecken hinausgeht.
Das Motiv der abgeschlossenen Räume (Locked-Room-Mystery)
Der vermeintlich „unmögliche“ Mord in einem verschlossenen Raum steht symbolisch für den hermetischen Raum der menschlichen Psyche oder des Geheimnisses selbst. Der Leser begegnet einer Situation, die zunächst alle konventionellen Erklärungsansätze sprengt. Das verschlossene Zimmer wird zum Sinnbild für Rätselhaftigkeit – und letztlich zur Bühne, auf der die Vernunft ihre Brillanz beweisen kann. Indem Dupin die Indizien ordnet, die Widersprüche der Zeugenaussagen erkennt und die Spur akribisch verfolgt, zeigt Poe, dass auch ein scheinbar übermenschliches Verbrechen durch folgerichtige Analyse entschlüsselt werden kann. Diese Idee ist zukunftsweisend: Das Locked-Room-Szenario wird später ein beliebtes Muster in der Detektivliteratur, ein Schauplatz, an dem der menschliche Verstand seine Überlegenheit über das Mysteriöse behauptet.
Die Rolle des Erzählers und die Figur Dupins
Bemerkenswert ist die Figur des Erzählers, der als enger Vertrauter Dupins fungiert, aber selbst keine eigenständigen Ermittlungen unternimmt. Er dient als Vermittler zwischen Dupins überlegenem Intellekt und der Leserschaft. Indem er staunend und bewundernd auf Dupin blickt, spiegelt er die Reaktion des Lesers. Gleichzeitig ist er der Repräsentant des „durchschnittlichen“ Menschen, der sich anfangs von der Unerklärlichkeit einschüchtern lässt. Dupins Analyse schlägt hier eine Brücke: Der Leser erhält die Möglichkeit, nachzuvollziehen, wie Verstand, Phantasie und methodisches Denken Schritt für Schritt zur Lösung führen. Dupin selbst ist kein Beamter, kein offizieller Ermittler, sondern eine Art Privatgelehrter, der sich dem Fall intellektuell nähert. Das stellt den Detektiv als gesellschaftlichen Außenseiter vor, der frei von bürokratischen Zwängen rein nach Logik und Intuition vorgeht – ein späteres Leitmotiv für viele Detektivfiguren der Literaturgeschichte.
Mensch und Tier, Zivilisation und Natur
Die schockierende Auflösung, dass kein menschlicher Täter, sondern ein entflohener Orang-Utan für die grausamen Morde verantwortlich ist, lässt sich als Kontrast zwischen Zivilisation und Natur deuten. Während die gesamten Ermittlungen davon ausgehen, dass ein Mensch die Morde begangen hat, enthüllt die Lösung eine andere, archaische Gewalt. Poes Erzählung spielt somit mit einer tief verwurzelten Furcht: dem Einbruch des Animalischen, Unkontrollierten in die geordnete, städtisch-zivilisierte Welt. Auch hier wird jedoch klar: So erschreckend und irrational die Tat des Tieres auf den ersten Blick erscheint, letztlich ist sie ein natürliches Ereignis. Es handelt sich nicht um ein übernatürliches Phänomen, sondern um eine Folge fehlgeleiteter Instinkte. Damit zeigt Poe, dass das Unheimliche nicht jenseits der Natur liegt, sondern im Unbekannten, im nicht Verstandenen der eigenen Wirklichkeit.
Fazit: Intellektuelle Kontrolle über das Geheimnis
„Der Doppelmord in der Rue Morgue“ kann als poetisches Manifest der Vernunft gelesen werden. Poe demonstriert, dass selbst das grausamste und scheinbar unauflösliche Rätsel logisch geklärt werden kann, sofern man sich der richtigen Methode bedient. Die Geschichte ist weniger an sozialer Gerechtigkeit oder moralischer Empörung interessiert, sondern an der Leistung des menschlichen Geistes, der in der Lage ist, aus einem scheinbar unlösbaren Geheimnis Sinn und Ordnung zu erschaffen. Damit legt Poe den Grundstein für das Detektivgenre, in dem Verbrechen nicht nur als moralischer Missstand, sondern als intellektuelle Herausforderung begriffen werden. Der erste Detektiv der Literatur, Dupin, zeigt, dass das Rätselhafte durch systematisches Denken und die richtige Perspektive entschlüsselt werden kann – ein Credo, das in zahlreichen späteren Kriminalerzählungen nachhallen wird.