Wir alle sind auf dem Weg. Ohne zu wissen, wohin er führt, warum wir ihn gehen, wie lange er dauert. Du wagst zaghafte erste Schritte, wirst geliebt und umsorgt. Dich selbst lernst du kennen, deine Nächsten nimmst du wahr und die Schmetterlinge, die Blumen und den Schein der Kerzen. Du eroberst dir deine Welt. Aufgetragene Lasten lernst du zu schultern. Du fühlst die Schmerzen und genießt die Freuden. Dein Leben lebst du mit allen Sinnen. Fügst dich in Gruppen ein, lernst, Regeln zu beachten. An Wochentagen arbeitest du hart, die Festtage feierst du. Du misst dich im Spiel, gewinnst und verlierst. Du überstehst Zeiten von Schwäche und Gefahren. Verliebst dich in Farben und Melodien, in Augen und Menschen. Lernst zu streicheln und wirst gestreichelt, fühlst Lust und Unlust. Du zankst und verträgst dich, singst laut und leise oder bleibst stumm. Du verlierst deine Lieder und findest sie wieder. An Kreuzungen bleibst du stehen und musst dich entscheiden. Du begibst dich auf Umwege, die dein Leben bereichern und auf Abwege, die es gefährden. Du gerätst in den Sumpf und wirst gerettet. Du hältst inne und dankst. Dann gehst du erneut auf Reisen. Läufst mutig weiter und weiter. Alleine oder gemeinsam mit anderen. Ein Stillstand ist dir nicht vergönnt. Vielleicht wirst du krank und krumm und hast Schmerzen. Es kann sein, dass dich Begleiter verlassen und du lernst, alleine zu leben. So läuft es, dein gutes Leben, vom ersten Atemzug an bis zum letzten. Mit dir wandern viele, manche liebst du, oft nur vorübergehend, andere sind dir zuwider. Viele verlassen den Weg vor dir. Du vermisst sie, trauerst um sie für eine Weile oder für den Rest deines Lebens. Am Ende wird der Pfad beschwerlich. Langsamer wirst du, die Worte gehen verloren. Wenn du Glück hast, stehst du bis zuletzt im herzlichen Austausch mit Pilgern, die wie du auf dem langen und doch so kurzen Weg sind, der das Ziel ist.
Wir alle
von Marie Mehrfeld
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