Wie auch immer Er heißt, wie du Ihn nennst, selbst,
wenn du Ihn leugnest - ist doch „jenes Höhere Wesen,
das wir verehren“ unabhängig von deinem und meinem
Willen in dir und mir, in allem Lebendigen,
auch in alten Steinen, die wir ehrfürchtig bestaunen,
weil sie Geschichte unserer Erde gespeichert haben.
Er ist im unergründlichen Blick meiner Katze,
wenn sie zum Sprung ansetzt, um den aus dem Nest
gefallenen Vogel zu fangen, den sie töten wird,
in den Augen des obdachlosen Trinkers, der um Almosen bittet,
im verzweifelten Weinen aller Kinder der Welt,
selbst im hassvollen Ausdruck wütender Männer,
die sich gegenseitig bekämpfen, bekriegen, umbringen.
Ist Er nicht das Gute, die Kraftquelle, das Quäntchen Hoffnung,
das wir in uns tragen von Geburt an, die Kraft, die nie ganz
verschüttet werden kann, nach der wir in Not verzweifelt suchen,
deren Plan wir nicht verstehen, die wir verneinen, weil wir
erfahren haben, dass uns die erbetene Hilfe verweigert wurde?
Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, dass es Ihn gibt,
suche nach Ihm mein Leben lang, denn ich brauche
diese Instanz, die Sicherheit, dieses:
Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
Oft habe ich ihn gerufen, und er hat nicht geantwortet.
Wem sonst aber kann ich danken für hellen Geist,
wachen Verstand, offenes Herz, dafür, dass ich mich
ausdrücken darf mit Stift und Farbe und Worten?
Auch für schwere Zeiten bin ich dankbar,
sie haben mich weiter gebracht. Danke vor allem dafür,
dass ich meine begrenzte Zeit auf der Erde habe.
Meine Zuversicht möchte ich teilen, Wutbotschaften entkräften,
mich für Frieden und Mitmenschlichkeit einsetzen,
und ich weiß genau, wir alle können, unabhängig davon,
ob wir an Ihn glauben oder nicht, in unserem begrenzten
Rahmen etwas tun – Hassgedanken abbauen, liebevolles
Denken pflegen und weitergeben.
In seiner 1955 veröffentlichten Kurzgeschichte „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ bezeichnet Heinrich Böll Gott als „Jenes Höhere Wesen, das wir verehren“.