Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 168

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Entdeckung, antwortete Justine doch mit großer Höflichkeit. Da sie aber mit der geschicktesten Schurkin Frankreichs zu tun hatte, war es ihr unmöglich, zu entschlüpfen. Schwach, wie gewöhnlich, ließ sich Justine verlocken, mit dieser Frau in ihr Zimmer zu gehen, um ihr ihre Erlebnisse zu berichten. »Meine teure Freundin,« erwiderte die Dubois, nachdem sie sie angehört hatte, »ich muß dir schon mitteilen, daß meine Laufbahn ganz verschieden war von der, die du einschlugst; mein Glück ist gemacht und alles, was ich besitze, steht dir zu Diensten. Sieh,« sagte sie und öffnete eine Kassette voll mit Gold und Diamanten, »das sind die Früchte meines Fleißes; wenn ich der Tugend so ergeben gewesen wäre, wie du, wäre ich bereits eingesperrt oder aufgehängt.« – »Oh, Madame, wenn Sie dies alles nur Verbrechen verdanken,« erwiderte Justine, »so werden Sie es nicht lange genießen, denn die Vorsehung ist immer gerecht.« – »Ein Irrtum,« erwiderte die Dubois, »glaube ja nicht, daß deine fantastische Vorsehung jemals deine Tugend beschützt; aber ich sehe, deinen Verstand werde ich niemals erobern können, so laß mich wenigstens dein Herz besitzen, ich bedarf deiner, verweigere mir nicht deine Hilfe. Hier sind tausend Louis, sie sollen dir gehören, wenn der Streich gelungen!« Die kluge Justine, die nur ihrem Wunsche. Gutes zu tun, gehorchte, fragte sofort, worum es sich handle.[403] »Ich will es dir sagen,« antwortete die Dubois, »hast du den jungen Kaufmann aus Lyon bemerkt, der seit vier oder fünf Tagen neben uns speist?« – »Dubreuil?« – »Gewiß! Nun, er ist in dich verliebt, er hat es mir anvertraut, dein bescheidenes, sanftes Aussehen, sowie deine Tugend halben ihn entzückt. Dieser romantische Liebhaber besitzt achtmalhunderttausend Francs in Gold und in Papieren, und bewahrt es in einer Kassette unter seinem Bett. Ich werde ihm mitteilen, daß du mit ihm außerhalb der Stadt zusammenkommen willst, du wirst ihn eine zeitlang vom Hause entfernt halten und ich werde ihn während dieser Zeit bestehlen, werde aber nicht flüchten. Die Beute soll bereits in Lyon sein, wenn ich noch in Grénoble bin. Trotzdem werde ich bald abreisen, du wirst mir nachfolgen und die tausend Louis erhältst du an der Grenze.« – »Ich willige ein,« erwiderte Justine, entschlossen, den jungen Mann zu warnen. »Aber bedenken Sie,« fuhr sie fort, um die Verbrecherin zu täuschen, »daß wenn Dubreuil in mich verliebt ist, ich aus ihm viel mehr Nutzen ziehen kann, wenn ich mich ihm hingebe.« – »Vorzüglich.« erwiderte die Dubois, »das nenne ich eine gute Schülerin; nun denn, da hast du das Doppelte,« sprach sie und stellte Justine ein Billet aus. – »Gut,« erwiderte Justine, »aber ich bitte, es nur meiner Schwäche und Armut gutzuschreiben, wenn ich mich von Ihren Verlockungen verführen lasse.« – »Wie du willst, nur bediene mich gut und du sollst auch mit mir zufrieden sein.«

Justine, in ihren Plan vertieft, begann noch am selben Abend Entgegenkommen zu zeigen. Bald erriet sie die Gefühle, die der junge Mann für sie besaß. Sie war in einer verzweifelten Lage; einerseits war sie fest entschlossen, das verlangte Verbrechen nicht zu begehen, andererseits wieder widerstrebte es ihr, die Dubois zu verraten, denn sie war ihr noch für die mutige Lebensrettung dankbar.

An dem dem Spaziergang vorhergehenden Tage lud die Dubois Dubreuil und Justine ein, in ihrem Zimmer zu speisen. Nachdem das Mahl vorüber war, stiegen, die beiden jungen Leute hinab, um den Kutscher, der den Wagen bespannte, anzutreiben. Da die Dubois nicht mitgegangen war, befand sich Justine allein mit ihrem Liebhaber. »Mein Herr,« sprach sie hastig zu ihm, »besitzen Sie in diesem Gasthofe jemand, dem Sie Vertrauen schenken können?« – »Jawohl, einen jungen Geschäftsfreund, auf den ich mich wie auf mich selbst verlassen kann« – »Nun denn, mein Herr, dann sagen Sie ihm, er möge Ihr Zimmer nicht einen Augenblick lang verlassen, während Sie mit mir spazieren fahren.« – »Aber ich habe doch den Schlüssel zu diesem Zimmer! Was bedeuten diese Vorsichtsmaßregeln?« – »Sie sind nötiger als Sie denken, mein Herr; ich beschwöre Sie, handeln Sie so, wie ich Ihnen sage, oder ich gehe nicht mit Ihnen aus. Die Frau, bei der wir speisten, ist eine Schurkin, sie hat unsere gemeinsame Ausfahrt nur arrangiert, um Sie besser bestehlen zu können; beeilen[404] Sie sich, sie beobachtet uns, sie ist gefährlich. Bis wir im Wagen sind, will ich Ihnen alles weitere erklären.« Dubreuil befolgte den Ratschlag Justinens. Er drückte ihr die Hand, um sich bei ihr zu bedanken, gab seine Befehle und man fuhr ab. Unterwegs erzählte Justine das ganze Abenteuer, belehrte auch ihren jungen Liebhaber über das unglückliche Erlebnis, durch das sie mit der Dubois zusammengetroffen war. Der ehrliche und zartfühlende Dubreuil bezeigte die lebhafteste Dankbarkeit für den erwiesenen Dienst, er erkundigte sich teilnahmsvoll nach der Lage Justinens und machte ihr den Antrag, ihr so gut als es ihm möglich sei, zu helfen, »Ich bin glücklich, das Unrecht gutmachen zu können, das Ihnen durch das Schicksal zugefügt wurde, mein Fräulein,« sprach er. »Ich bin mein eigener Herr und hänge von niemandem ab. Ich befinde mich auf der Reise nach Genf, um dort die Summen anzulegen, die Ihr guter Ratschlag mir gerettet hat. Sie folgen mir dorthin nach und wir wollen nach Lyon als Brautleute zurückehren.«

Ein derartiges Anerbieten war Justine zu angenehm, als daß sie es ausschlagen hätte können; trotzdem glaubte sie es nicht annehmen zu dürfen, ohne Dubreuil von allem zu erzählen, was ihn diese Tat bereuen lassen hätte können. So plauderten die Beiden und befanden sich fast zwei Meilen weit von der Stadt entfernt, als plötzlich Dubreuil ein Unwohlsein empfand. Er übergab sich mehreremale und mußte schließlich nach Grénoble zurückkehren. Man trug ihn in sein Zimmer und ein Arzt wurde geholt. Gerechter Gott, der unglückliche junge Mann war vergiftet Justine eilte erschreckt in die Gemächer der Dubois. Die Niederträchtige war abgereist. Unsere Heldin flog in ihr eigenes Zimmer, der Schrank war aufgesprengt und ihr geringes Besitztum gestohlen. Kein Zweifel, die Dubois war die Urheberin all dieser Verbrochen. Sie war bei Dubreuil eingetreten und, ärgerlich darüber, dort jemanden zu finden, hatte sie sich an Justine gerächt. Schon beim Speisen hatte sie den jungen Mann vergiftet, damit

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
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