Seiten
sagte ich zu mir, »gestorben unter entsetzlichen Qualen, und ich war es, der ihr diese verursacht hat.« Dieser köstliche Gedanke rief dann solche Freudenausbrüche in mir hervor, daß ich mich häufig genötigt sah, halten zu lassen, um meinen Postillon von hinten zu bearbeiten.
Ich befand mich in der Umgebung von Trient, ganz allein in meinem Wagen, auf dem Wege nach Italien, als eine dieser Regungen der Sinnlichkeit mich im gleichen Augenblicke ergriff, da ich im Walde, den wir durchquerten, Jammerlaute vernahm. »Halt!« sagte ich zum Postillon. »Ich möchte die Ursache dieses Geschreies wissen. Entferne dich nicht und gib auf meinen Wagen acht.« Ich dringe, die Pistole in der Hand, in den Wald und entdeckte endlich in einem Gestrüpp ein fünfzehn oder sechszehnjähriges Mädchen, das mir ausnehmend schön schien. »Welches Mißgeschick betrübt Sie, mein schönes Fräulein?« fragte ich, an sie herantretend. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« – »Ach nein, nein, mein Herr,« erwiderte sie, »es gibt kein Mittel gegen die Schande; ich bin eine Verlorene; ich erwarte nur den Tod, um den ich Sie bitte.« – »Aber, Fräulein, wenn Sie so gut wären, mir zu erzählen ....« – »Sie Sache ist ebenso einfach wie grausam, mein Herr. Ein junger Mann verliebt sich in mich; dieses Verhältnis mißfällt meinem Bruder; der Barbar mißbraucht die Autorität, die der Tod unserer Eltern ihm verleiht; er entführt mich und läßt mich nach schrecklichen Mißhandlungen in diesem Walde zurück, indem er mir unter Androhung des Todes verbietet, jemals wieder in seinem Hause zu erscheinen:[203] dieses Ungeheuer ist zu allem fähig; er tötet mich, wenn ich heimkehre. Ach, mein Herr, ich weiß nicht, was aus mir werden soll! Doch Sie bieten mir ja Ihre Dienste an .... Nun gut, ich nehme sie an. Bitte, helfen Sie mir bei der Aufsuchung meines Liebhabers; tun Sie das, mein Herr, ich beschwöre Sie darum. Ich kenne nicht Ihren Stand oder Ihr Vermögen; aber mein Geliebter ist reich und wenn Sie Geld benötigen, bin ich sicher, daß er es Ihnen für meine Wiedererlangung gerne geben würde.« – »Wo ist dieser Geliebte, Fräulein?« fragte ich eifrig. – »In Trient, kaum zwei Meilen von hier.« – »Weiß er etwas von Ihrem Erlebnis?« – »Ich glaube, noch nicht.« – Jetzt sah ich wohl, daß dieses schöne Mädchen, gegenwärtig ohne jeden Schutz, wenn ich es wollte, mir zu Willen sein müsse; aber ebenso geldgierig als lüstern, begann ich sogleich einen Plan zu schmieden, um gleichzeitig beide Gelüste zu befriedigen. »Wissen Sie nicht,« fragte ich zunächst die Unglückliche, »ob nicht ein Haus in der Nähe dieser Waldpartie ist?« – »Nein, Herr, ich glaube nicht.« – »Nun gut, verbergen Sie sich noch mehr im Gebüsch; rühren Sie sich nicht; schreiben Sie mit meinem Stift auf dieses Papier die drei Zeilen, die ich Ihnen diktieren werde; in einigen Stunden bringe ich dann Ihren Liebhaber.«
Ich diktierte dem hübschen Mädchen folgendes: »Ein wackerer Unbekannter wird es Ihnen ermöglichen, sich von meinem Unglück zu überzeugen; es ist furchtbar. Folgen Sie ihm, er wird Sie an den Ort geleiten, wo ich Sie erwarte; aber kommen Sie allein, ganz allein; das lege ich Ihnen sehr ans Herz; warum, werden Sie bald erfahren. Wenn zweitausend Zechinen Ihnen nicht zu gering scheinen als Belohnung für den Mann, der uns vereinigt, so bringen Sie sie mit, um sie ihm vor mir zu verabfolgen. Sie können mehr bringen, wenn Ihnen die Belohnung zu mäßig scheint.«
Die schöne Mißhandelte, die Héloise hieß, unterzeichnete das Billet; ich begab mich sodann rasch in meinen Wagen und trieb den Postillon zur schnellen Fahrt an; ich ließ ihn halten vor der Türe des jungen Alberoni, des Geliebten Héloisens. Ich überreichte ihm den Brief. »Zweitausend Zechinen!« schrie er, mich umarmend, »zweitausend Zechinen für Nachrichten vom Teuersten, was ich auf Erden habe! Nein, nein, mein Herr, das ist nicht genug, hier haben Sie das doppelte! Gehen wir, ich beschwöre Sie darum. Ich erfuhr soeben das Verschwinden meiner Geliebten und den Zorn ihres Bruders; aber ich wußte nicht, wohin meine Schritte lenken, um sie zu finden; Sie weisen mir den Weg, wieviel Dank schulde ich Ihnen dafür! Fahren wir, mein Herr, und gehen wir allein, da sie es so verlangt.« Jetzt zügelte ich aber den Uebereifer des jungen Mannes.[204] um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er wegen der Erbitterung des Bruders Héloisens das Mädchen nicht nach Trient zurückbringen dürfe. »Nehmen Sie soviel Geld mit als möglich,« sagte ich ihm, »verlassen Sie das Gebiet dieser Stadt und verbinden Sie sich für immer mit Ihrer Geliebten. Denken Sie gut darüber nach, mein Herr, denn der entgegengesetzte Weg wird ihren ewigen Verlust für Sie bedeuten.« Alberoni, von meinen Erwägungen überzeugt, dankt mir; er stürzt eiligst in sein Gemach und rafft alles Gold und Geschmeide an sich. »Eilen wir jetzt,« sagt er zu mir. »Ich habe die Mittel, ihr ein Jahr lang in welcher Stadt Deutschlands oder Italiens immer ein glänzendes Leben zu ermöglichen; indessen kann man die Sache hier in Ordnung bringen.« Mit diesem weisen Entschluß zufrieden, billige ich ihn; meinen Wagen lasse ich in die Herberge einstellen, trotz der inständigen Bitten Alberonis, der ihn durchaus bei sich zu behalten wünschte. Dann eilen wir fort.
Héloise hatte sich nicht gerührt. »Unkluger« sagte ich zu Alberoni, während ich ihm die Mündung einer Pistole an die Schläfe setzte, ohne ihm die Zeit zu lassen, nur einen Laut auszustoßen, »wie konntest du die Dummheit begehen, den Händen eines dir Unbekannten deine Geliebte und dein Geld anzuvertrauen? Lege schnell alles, was du mit hast, her und trage in den Gluten der Hölle die ewige Reue über deine Unklugheit!« Alberoni will eine Bewegung machen; ich strecke ihn zu meinen Füßen nieder. Héloise fällt in Ohnmacht.
»Sapperlot!« sagte ich dann zu mir, »so wäre ich denn durch diese köstliche Missetat Herr eines reizenden Mädchens und einer netten Summe; jetzt wollen wir mal genießen.« Andere an meiner Stelle hätten vielleicht aus der Ohnmacht ihres Opfers Nutzen gezogen, um sich ihrer mit mehr Ruhe zu erfreuen; ich dachte ganz anders. Ich wäre verzweifelt gewesen, wenn diese Unglückliche nicht im Besitze aller ihrer Sinne gewesen wäre, um mich an