Elf Minuten zum Glück?

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von Carlos Wolf

Nach 22 Jahren beabsichtigte meine Lebensgefährtin sich selbst zu verwirklichen. Bei der Aktion stand ich im Weg. Sie zog aus. Mit ihr ein Großteil meines Vermögens. Auf den Schreck stürzte ich mich nicht gleich in eine andere Beziehung, sondern zuerst auf eine Flasche Rotwein. Nach der halben Flasche kam ich zu dem Schluss: Bloß ein dummer Mensch begeht denselben Fehler öfter. Bevor ich nochmals einen Rockzipfel berühren wollte, würde ich mich erst bei Personen mit ehelicher Vergangenheit über deren langfristiges Gelingen ihrer Liaison erkundigen.

Ein Teil der befragten Nimmermüden legte nur bedeutungsvoll die Stirn in Falten und winkte ab. Also wich ich auf Fachliteratur aus. Der Markt quillt über von unzähligen Ratgebern. Das letzte Büchlein, das ich in der Hand hatte, endete mit dem Satz "Liebt ihr einander nicht wirklich,helfen euch diese Empfehlungen auch nicht." Famos! Warum las ich eigentlich den kompletten Mist?

Vor dreißig Jahren ging man in eine Diskothek, um dort jemanden abzuschleppen. In jener Zeit. Im Kampf der Geschlechter auf der Tanzfläche ergaben sich fix Beziehungen. Nach dem Rauchverbot sind alle Diskos eingegangen. Heute existieren keine Paarungstempel mehr. Der Rückgang der Bevölkerungszahlen hängt bestimmt mit dem Rauchverbot zusammen. Man müsste die Bundesregierung darauf aufmerksam machen, etwa mit dem Satz "Raucht man nicht in Diskotheken, gibt es keinen Kindersegen!"

Oder sollte ich vielleicht einen "Liebes-Button" entwickeln. Der am Revers getragen die Tendenz der Bereitwilligkeit zur Paarung zeigt. Wie etwa die Ehrennadel der CSU. Die Besitzer als bronzenen, silbernen oder goldenen Konservativen ausweist. Der Träger meines Bronzebuttons outet sich als Novize in Liebesfragen. Die Person mit meinem goldenen Button gehörte nicht zu den Konservativen. Das Rauchverbot bliebe bestehen. Die Kontaktzahlen würden steigen. Der Kindersegen des deutschen Volkes wäre wieder gewährleistet. Nur für meine momentane Lage käme der Button jetzt zu spät.

In meiner jetzigen Abstinenzphase stellt sich die Bequemlichkeit einer langfristigen Beziehung heraus. Da wirst du betreut wie ein Löwe im Zoo. Gefüttert, gekrault, zur Schau gestellt und bisweilen auch zur Zucht verwandt. Vermutlich treiben Frauen ihre Männer in diese Situation. Fett gefressen und verwöhnt, verlernt er rasch das Jagen auf sexuelle Beute. Ich wurde demnach zu Tode gepflegt!

Wie ein gepflegter Oldtimer der zweiundzanzig Jahre in der Garage stand. Nicht nur mein Chassis sogar meine Fähigkeiten sind hoffnungslos veraltet. Ein Kavalierstart in eine neue Beziehung wird mir so nicht gelingen. Heranrobben, Smalltalk halten und abschleppen - Ich muss das von Grund auf lernen. Mittlerweile gibt es aber tonnenweise Ratgeber, da ist die Frage berechtigt "Wie machen es heute die anderen?"

Mir viel eine Statistik in die Hände. Dort wird behauptet, dreißig Prozent lernten sich im Bekanntenkreis kennen. So viel Bekannte habe ich nicht. Es blieb nur mein Freund Kurt mit seiner Frau. Nun, wer nicht wagt der nicht gewinnt. Kurzerhand sprach ich seine Frau an, ob sie mit mir gehen wollte? Verlegen antwortete sie: "Sie sei mit Kurt verheiratet."
"Das macht mir nichts. Und ich glaube dem Kurt wäre das auch egal", sagte ich.
Drei Tage später kündigte Kurt mir die Freundschaft. Wo sind nur die Freund in der Not?

Die Öffentlichkeit ist das Jagdrevier der zweitgrößten Gruppe in jener Statistik. Die Damen sitzen bevorzugt in Cafés. Während sie das dritte Stück Schwarwälderkirsch in sich hinein stopfen wandert ihr Blick immer zum Eingang, um ja den Mann ihrer Träume nicht zu verpassen. Dabei sitzen diese männlichen Träumer in der Bar nebenan und schlabbern Bier. Sie warten dort vergeblich auf das eintreffen der Flamme, die sie entzündet. Da sieht man, wie weit die Geschlechter auseinander gedriftet sind. Hockten noch unsere Ahnen gedrängt in einer Höhle ums Lagerfeuer. Nagten gemeinsam vergnüglich an einem Mammutbein. Jene kuschelige Atmosphäre führte zu acht Milliarden Nachkommen. Das kann Schwarwälderkirsch nicht bieten! Wahrscheinlich ist diese zweite Gruppe vom Aussterben bedroht.

Die dritte Gruppe der Statistik lernte sich während der Arbeit kennen. Das bezweifle ich. Wie kommen wohl ein Bergmann an eine Frau? Er müsste sie unter Tage ausgegraben haben? Wenn das stimmt, hätte es nie Zechenschließungen gegeben.

Zum Schluss blieb mir nur noch die Byte und Pixel-Gruppe. Diese Delinquenten durchkämmen Bekanntschaftsportale und pflegen ihr Byte-Image mit wohl klingenden Worten und Bildern aus der Muckibude. Ich bewaffnete mich mit Bildern von Schwarzenegger und dem Lebenslauf von Sean Connery. Stürzte mich in die Welt der Single-Foren. Eröffnete ein paar Konten. War schnell einige Hunderter los. Doch in der Investition liegt der Gewinn. Ein Portal wirbt »Alle elf Minuten verliebt sich ein Single«. Das ist eine Schlagzahl wie beim Karnickel-Poppen. Alle elf Minuten, in meinem Alter! Nicht zu bewältigen. Deshalb wendete ich mich an die Konkurrenz "Wo Akademiker kein Niveau haben müssen", sonst würden Sie nicht werben "Akademiker und Singles mit Niveau".

Die erste Singlin war flexibel. Sie würde überall hinziehen. Das las sich wie wohnsitzlos. Die Zweite schrieb, sie wollte mit ihrem zukünftigen Partner eine Krokuszucht am Fuße des Nanga Parbat eröffnen. Der Lebensstil der Dritten war fließend. Sie wohnte mal bei der Freundin und mal bei jenem Verwandten. Sie jobbte mal in einer Bar, dann im Supermarkt. Auch ihre schulische Ausbildung floss - wohl an ihr vorbei. Zum Schluss wollte der Single mit Niveau bei mir einziehen. Wie Walter Röhrl in einer Haarnadelkurve bei der Rallye Monte Carlo zog ich die Handbremse, um die Kurve zu bekommen. Der sehnlichste Wunsch der Nächsten waren sieben Kinder. An diesem Wunsch würde ich mindestens 30 Jahre stricken. Es kämen noch 30 Jahre Aufzucht hinzu. Außerdem sah ich sieben Kinder durch mein ruhiges Arbeitszimmer toben. Alle meine Bücher verkleckert, die Tastatur mit Bonbons verklebt. Auf meinem PC finde ich nur noch Spiele. Ich dankte und sagte ihr ab.

Nebenher flatterten täglich tolle Angebote von anderen Heiratsportalen in meine Mailbox. Sie boten ausländische Frauen dar, wie Aldi im Spätherbst warme Socken. Zu Weihnachten überschwemmten sie mich mit Bildern "Frauen im Pelzmantel". Als Sonderangebot offerierten sie an Ostern "Frau mit Kind". Ich warte auf die Sommerspecials. Da bekommst du sie bestimmt nackt. Mit dem Hinweis "Frauen zum Einkleiden".

Solche Pixel-Balzplätze verleiten zum Voyeurismus. Man schaut und liest und liest und schaut. Keiner unternimmt den ersten Schritt. Die Fünfte schrieb ich an. Ihr Bild und ihre Präsentation waren eine Wucht. Wir verabredeten uns auf der Terrasse eines Cafés. Als Erkennungszeichen wollte sie eine gelbe Rose auf den Tisch legen. Ich war früh da und beobachtete gespannt die Umgebung. Da kam eine Hand mit einer gelben Rose um die Ecke. Was ihr folgte, erinnerte mich an Goethes Zauberlehrling. Während ich mich verdrückte, murmelte ich vor mich hin: Besen! Besen! Sei nicht mehr mein Fabelwesen. Denn den Geist, den ich hier rief, überlass ich gern dem alten Meister. Und verließ enttäuscht das Café. Sie hatte sich also auch mit fremden Bildern und Lebenslauf aufgehübscht. Zuhause angekommen kündigte ich alle meine Datingportale.

Ich glaube ich versuch es jetzt mal wie früher, nämlich zur rechten Zeit am rechten Ort sein, dann die Gelegenheit wahrnehmen - Das soll Glück bringen.

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