Ein Freund, Uwe Seeler, Heino und ich - Page 4

Bild zeigt Willi Grigor
von Willi Grigor

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Bild von uns anderen zusammen mit Uwe. Es zeigte sich später, dass auf dem Bild nur Günter zusammen mit Uwe und seiner kleinen Tochter zu sehen waren. Ich war sehr enttäuscht, dass ich nicht mit drauf war. Heute denke ich, dass es so genau das Richtige war. Günter war leidenschaftlicher Anhänger von Fortuna, natürlich, aber Uwe Seeler der Spieler, den er am meisten bewunderte.
Zufrieden und voller Dankbarkeit, dass Uwe uns so ohne weiteres empfing, fuhren wir wieder in die Innenstadt, machten dort eine Rundtour und saßen am Abend in einer Hafenkneipe und tranken helles Bier, weil es Düsseldorfer Altbier da nicht gab. Außer uns waren zwei Paare im Lokal, die ihr Getränkepensum so gut wie ausgeschöpft hatten. Als wir fragten wo das Pissoir ist, zeigten sie nur auf eine Tür an der Wand. Als wir sie aufmachten, standen wir im Freien, ca. einen Meter oberhalb Straßenhöhe. Eindeutung eine bequeme Einrichtung - für Männer.

Zurück in Düsseldorf hatten wir einiges (und das oft) in unserer Oberbilker Stammkneipe "Zum Fässchen" zu erzählen.
Beim Nachhausegehen stimmten wir dann unser neues Abendlied an. Es wurde bekannt, aber nicht direkt beliebt:
"Oh HSV, oh HSV wie schön sind deine Tore!
Und das nicht nur zur Sommerzeit
nein auch im Winter, wenn es schneit.
Oh HSV, oh ..."

Am 1. Mai 1972 spielte Uwe Seeler sein Abschiedsspiel im Volksparkstadion. Günter und ich flogen hin und waren dabei. Beim Warten auf den Rückflug in Hamburg Fuhlsbüttel sahen wir den legendären Sportreporter Harry Valérien eine Stuhlreihe weiter sitzen. Günter ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, setzte sich neben ihn. Er hatte ein ziemlich langes Gespräch mit ihm und bekam natürlich auch ein Autogramm.

Günter hat auch eine umfangreiche Autogrammsammlung von Spielern der DEG. Sepp Reif, einer der besten Spieler der DEG und der Nationalmannschaft, war mein Studienkollege auf der Ingenieurschule Düsseldorf. Von ihm bekam ich regelmäßig zwei Freikarten, die ich mit Günter teilte. So lernte auch Günter ihn kennen.
Günter ist, wie gesagt, Klassenkamerad und guter Freund des Sängers Heino. Dieser hatte zur Feier seines 50jährigen Geburtstags hochkarätige Gäste sowie Günter eingeladen. Aus dem Bereich des Sports waren u. a. Otto Schneitberger (legendärer Eishockeyspieler in der DEG und der Nationalmannschaft) sowie Fritz Walter (Fußballlegende und wie Uwe Seeler und Franz Beckenbauer Ehrenspielführer der Nationalmannschaft) anwesend. Günter saß neben Fritz Walter und sein Gegenüber war Otto Schneitberger.

Hier drei Beispiele von Günters Fußball-Kontakten, die sich fast in Richtung einer persönlichen Freundschaft entwickelten. Diese Personen schickten Günter regelmäßig Ansichtskarten, die von der gesamten Mannschaft unterschrieben sind.

Erich Deuser
war ein Masseur mit Staatsdiplom und hatte seine Praxis nicht weit von der Total-Tankstelle wo Günter arbeitete und ihn kennenlernte.
Deuser war als Masseur bei Fortuna Düsseldorf tätig, als Sepp Herberger ihn 1951 zur deutschen Fußballnationalmannschaft holte. Diesen Posten hatte er bis 1982 inne. Daneben betreute er bei den Olympischen Spielen 1952 bis 1976 Sportler verschiedener Sportverbände.

Kuno Klötzer
war von 1953-57 und 1963-67 Trainer von Fortuna Düsseldorf. Günter lernte ihn bei einer Siegesfeier in einem Lokal kennen. Von 1973 bis 1977 war Klötzer Trainer des HSV. Günter gab ihm das Bild, auf dem er 1967 mit Uwe Seeler vor dessen Haus steht (siehe unten), und bat ihn, es von Uwe unterschreiben zu lassen. So geschah es.

Bernd Franke
Günter lernte ihn während dessen Zeit als Torwart bei Fortuna Düsseldorf 1969-71 kennen. Seine großen Erfolge hatte Franke 1971-85 bei Eintracht Braunschweig. Er hatte sieben Einsätze in der Deutschen Nationalmannschaft und nahm an der Fußball-Weltmeisterschaft 1982 in Spanien teil. Über 40mal saß er auf der Reservebank (Sepp Maier und später Harald Schumacher waren die ständige Nummer Eins) auch bei dem WM-Endspiel 1982, das Deutschland mit 1:3 gegen Italien verlor. Günter bekam später von Franke dessen Trikot vom WM-Endspiel und hatte es 28 Jahre zu Hause in seinem Schrank. Neulich schenkte er es einem jungen, talentierten Torwart von Schwarz-Weiß 06 und erzählte bei der Übergabe im Vereinshaus die Geschichte dieses Trikots. Typisch Günter!

© Willi Grigor, Herbst 2011
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Nachträge

Am 15. September 2011 fand eine große Wiedersehensfeier mit Günter und den noch übriggebliebenen Freunden in Ratingen Homberg statt, wo Erich, einer dieser Freunde, seit langem wohnt. Es war fast wie in alten Tage. Nun waren wir alle um die 70 und Günter zusätzlich nahezu bewegungsunfähig. Aber Späße machen konnte er immer noch. Er gab auch Beweise seines Fußballwissens, indem er die Mannschaftsaufstellung und die Torschützen von großen, Jahrzehnte zurückliegenden Spielen der Fortuna Düsseldorf herableierte. Es war ein wunderbarer Abend und mein Abschied von Günter. Sieben Monate später verstarb er.

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Jetzt, einige Tage vor Weihnachten 2011, hat sich die Situation für Günter (und Heidi) nachteilig geändert. In den letzten Wochen ist Günter bei seinen Ausflügen mit dem Rolli in die Stadt und auch in der Wohnung mehrfach gestürzt. Er liegt jetzt im Düsseldorfer Universitätskrankenhaus. Die Ärzte versuchen herauszufinden, warum sich die Situation so dramatisch verändert hat. Die Operation nach dem Bruch des Schenkelhalsknochens könnte einen Nerv beschädigt haben. Der Herzrhythmus ist gestört, er kann nur noch im Bett liegen und ist auf ständige Hilfe angewiesen. Heidi ist jeden Nachmittag bei ihm. Günter ist jedoch nicht sehr kooperativ und was er sagt ist zum Teil unverständlich, er will unbedingt nach Hause, was aber unmöglich ist. Das Pokal-Achtelfinale seiner geliebten Fortuna gegen Borussia Dortmund am 20. Dezember in Düsseldorf konnte er nicht einmal im Fernsehen verfolgen. Fortuna verlor knapp den Kampf. Hoffentlich kann Günter seinen gewinnen.
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Ich telefonierte mit Heidi. Günter ist immer noch in der Rehaklinik. Es geht ihm etwas besser aber gut ist es nicht. Er wird die Rehaklinik bald verlassen müssen. Er will wieder nach Hause, aber wenn er nicht besser wird, kann Heidi den erforderlichen Pflegeaufwand allein nicht stemmen. Für Heidi ist die Zukunft unklar. Günter ist aber immer noch so geistesgegenwärtig, dass er uns an das 50-jährige Jubiläum von FC-Total (der tote Theken-Club, der in unserem Geist immer noch lebt) in diesem Jahr erinnert.
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Ich hatte das Bedürfnis, aus der Ferne Günter eine Freude zu bereiten und mit einer Überraschung etwas aufzumuntern. Ich dachte an Uwe Seeler, den Günter am meisten verehrte, seitdem er 1967 mit ihm an dessen Gartentor sprach.
(Als Günter 50 Jahre alt wurde, rief seine Frau spontan Uwe Seeler an und bat ihm, Günter einen Geburtstagsgruß zu schicken. Dies wäre das schönste Geschenk für Günter. "Uns Uwe" tat dies und gab damit wieder einmal ein Beispiel seiner sprichwörtlichen Volksnähe und Großzügigkeit.)
Gedacht, getan, ich schickte folgenden Brief nach Hamburg:

Åmål, 23. Januar 2012

Herrn Uwe Seeler
Weg am Sportplatz 6

Lieber Herr Uwe Seeler,

ich bitte Sie freundlichst um einen persönlichen Gruß an meinen kranken Freund Günter Kohnen in Düsseldorf.
Als Vorbemerkung und zum besseren Verständnis ein kurzer Auszug aus meinem Tagebuch..
(Meine Anm.: Auszüge aus der Biografie oben)
..Günter leidet seit vielen Jahren an einer schweren Krankheit und sein Zustand hat sich in letzter Zeit dramatisch verschlechtert. Er hat eine positive Grundeinstellung und ist ein Mensch, dem ein weiterer unerwarteter, persönlicher Gruß von seinem Fußballidol Uwe viel Freude und Kraft in seiner derzeitigen Lebenssituation geben wird.
Lieber Uwe Seeler, ich bitte Sie deshalb, auf dem beigefügte Blatt "Lieber Fußballfreund Günter" (oder ein eigenes) einen persönlichen Gruß zu schreiben und dieses an Günter zu senden. Ein adressierter und frankierter Briefumschlag ist beigefügt. Ich bedanke mich recht herzlich und wünsche Ihnen und dem HSV alles Gute für 2012 und alle folgende Jahre.

Am Montag den 23. Januar schob ich den Briefumschlag an Uwe Seeler in den Briefkasten. Die Briefmarke für den Rückumschlag an Günter hat mir meine Schwester vorher zugeschickt. Auf den Umschlag hatte ich das Bild von 1967 geklebt, das ihn zusammen mit Günter vor seinem Haus zeigt. Das müsste doch eine Garantie dafür sein, dass er den Umschlag auch öffnen wird.

Ich informierte Heidi über diese Aktion aber sie sollte Günter nichts erzählen, damit es eine echte Überraschung wird, wenn Uwe ihm schreibt. Natürlich sandte Uwe Grüße. Bereits am darauf folgenden Donnerstag rief Heidi an und erzählte, dass sie Post von Uwe mit Grüße an Günter erhalten hat.

Heidi erzählte mir einige Tage später am Telefon, dass Günter sich "wie ein König" freute, als sie ihm den persönlichen Gruß von Uwe Seeler in der Rehaklinik übergab. Er konnte es nicht fassen und zeigte allen, die in sein Zimmer kamen, das Blatt mit den Bildern und Uwes handschriftlichen Gruß an ihn.
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Seit 28. Januar ist Günter wieder zu Hause aber immer noch mehr oder weniger ein Pflegefall. Heidi wird sich nach besten Kräften um ihn kümmern und hoffentlich die erforderliche Hilfe von den zuständigen Behörden bekommen.
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Günter Kohnen starb am 14. April 2012.
Er wurde eingeäschert und anonym beigesetzt. Die Asche wurde auf der dafür vorgesehenen Wiese des Stoffeler Friedhofs in Düsseldorf verstreut. Diese Wiese liegt gegenüber dem Fußballplatz von Schwarz-Weiß 06, dem Fußballverein, dem Günter Zeit seines Lebens verbunden war.

Damit ist Günters Familienzweig verwelkt und abgestorben. Keiner der drei Brüder hat Nachkommen gezeugt. Der älteste lebt zwar noch, wird diesen Zweig aber nicht mehr retten können.

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Wenn Freunde verschwinden

Bei Sonne macht´s Spaß zu spazieren,
der Schatten geht stets mit uns mit.
Unmöglich ist´s ihn zu verlieren,
er folgt uns auf Schritt und auf Tritt.

Wenn ziehende Wolken, die spielen,
verstecken den himmlischen Schein,
verschwinden die Schatten, die vielen,
man fühlt sich ganz plötzlich allein.

So ist es, wenn Freunde verschwinden,
die ständig und stets waren da.
In Gedanken kann man sie finden
und glauben sie wären ganz nah.

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© Willi Grigor, 2011/2012 (Rev. 2016)

Siehe auch:
literatpro.de/prosa/270617/de-2011-nostalgisches-wiedersehen-mit-duesseldorf
literatpro.de/prosa/010317/de-1958-gefaehrlicher-spass-im-rhein
literatpro.de/prosa/120117/de-die-vier-dora-die-bierzeitung-und-deren-auswirkungen
literatpro.de/gedicht/031217/in-der-jungen-jugend-zeit

Veröffentlicht / Quelle: 
Rheinische Post, Düsseldorf, Print 19. April 2017 und Online http://www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/stadtteile/oberbilk/das-bewegte-leben-des-guenter-kohnen-aid-1.6763697

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