Gefährlicher Sommer (Teil 17; Text 1) - Page 2

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von Annelie Kelch

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tau“, flüsterte Hannes mir ins Ohr und grinste dabei wie ein Schaf, das sich vor dem Hirten versteckt hat.
O Gott, das hat mir jetzt ge­rade noch gefehlt, dachte ich.
„Lass es bleiben“, raunte Hannes mir zu. „Die Gnädigste fährt wie der Teufel.“
„Nett gemeint, Leni“, rief ich zurück, „aber Kora, Konny, Hannes und ich wollen doch morgen Abend nach Beckum, in dieses Rockkonzert. Deshalb haben wir beschlossen, uns tagsüber ein wenig auszuruhen und auf dem Hof zu bleiben.“
„Gute Idee“, grölte Leni hocherfreut. „Dann koche ich morgen für euch vier etwas ganz besonders Gutes.“
„Mach das, Leni. Wir freuen uns schon darauf“, rief Hannes megalaut.
„Und sagt bitte Selma und Anita Bescheid, dass ihr morgen in der Gutsküche zu essen be­kommt“, schrie Leni zurück, in einer Lautstärke, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn ihre Bitte bis zu Tante Selmas Haus hinter dem See gedrun­gen wäre. Gleichzeitig wurde mir ein wenig unbehaglich zumute, weil ich zu Recht befürchtete, dass Oma wieder rummeckern würde, wenn ich bei Leni zu Mittag äße.
*
„Ich würde mich viel lieber mit dir in der Registratur einschließen lassen als mit Konny“, schmeichelte Hannes, als wir um den See herumschlenderten. Er nahm meine Hand und drückte sie fest.
„Ehrlich, Katja, mittlerweile bin ich froh, wenn wir dies alles hinter uns gebracht haben. Ob du es glaubst oder nicht: Ich freue mich schon wahnsinnig auf den nächsten Sommer, wenn der Mörder von Knut endlich gefasst ist und hinter Schloss und Riegel sitzt. Mein Vater und Heiner schaffen die Arbeit auch ohne diesen Kerl. Und für den Wald müssen dann eben zwei oder drei Revierförster sorgen.“
„Helge ist noch nicht verurteilt, es kann auch jemand anderer gewesen sein“, sagte ich. „Ich weiß auch gar nicht so recht, was ich Helge schreiben soll. Wann denkst du, soll die Geldübergabe stattfinden, und wer nimmt die Knete in Empfang?“, lenkte ich Hannes ab; ich hatte ein megaschlechtes Gewissen, liebe Christine ... weil ich uns beiden die aufregendsten Ferien unseres Lebens bereiten wollte und die Jagd auf Knuts Mörder anfangs nur aus diesem Grunde, ohne große Hoffnung auf Erfolg, eingefädelt hatte. Mittlerweile bin ich jedoch überzeugt davon, dass es förmlich zum Himmel schreit, dass Helge verdächtig ist, und meine Fassungslosigkeit darüber, weshalb niemand außer Hannes und mir diesen Umstand zu bemerken scheint, wird von Tag zu Tag größer.
„Ich habe es mir überlegt“, sagte Hannes. „Lass uns mit der zweiten Nachricht an Helge warten, bis wir wissen, was in den Akten steht.“
Er blieb er plötzlich stehen, wandte sich mir zu und blickte mir fest in die Augen.
„Katja, es geht beim besten Willen nicht“, platzte er heraus. Und als ich ihn verständnislos ansah, fuhr er fort: „Ich kann es Konny einfach nicht sagen. Ich weiß mit hundertprozentiger Sicherheit, dass er nicht mitmachen wird.“
„Ehrlich gesagt, glaube ich auch nicht so recht daran, Hannes“, sagte ich zögernd. „Ich befürchte fast, dass er uns den guten Ausgang der Sache total vermasseln wird.“
„Und dann war alles, was wir bisher herausgefunden haben, umsonst“, stimmte Hannes mir zu.
„Unter Garantie läuft Konny sofort zur Polizei und erzählt, dass Kora vermutlich von Helge entführt wurde, und dann verhaften sie Helge und können ihm wieder nichts nachweisen, weil er angeblich ein Alibi hat.“
„Also müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen, Hannes. Aber was?“ Ich sah ihn ratlos an.
„Ich fahre allein, Katja. So doof sehe ich nun auch wieder nicht aus, als dass ich nicht Jurist werden könnte. Oder?“
„Wie kommst du denn darauf? Selbstverständlich nicht, Hannes.“
Ich lächelte ihn freundlich an. „Du siehst sogar sehr klug aus.“
„Danke, Katja. Also am Montag geht es los. Ich sage Vater einfach, dass ich mir aus unserer Wohnung ein paar Schulbücher holen will, Mathebücher. Ich bin nämlich ziemlich schlecht in Algebra und Geometrie.“
„Wie, du etwa auch?“, fragte ich überrascht.
„Siehste wohl, Katja“, sagte Hannes. „Da haben wir beide schon wieder etwas Gemeinsames.“
„Und was haben wir sonst noch gemeinsam?“, wollte ich erstaunt von ihm wissen.
„Eine ganze Menge“, sagte Hannes. „Hast du das etwa noch gar nicht bemerkt? Also wirklich, Katja.“
„Ehrlich nicht, Hannes. Was denn?“
Ich stellte mich gewiss nicht absichtlich dumm, liebe Christine, und es ist die reine Wahrheit, dass ich bisher auch nicht die klitzekleinste Gemeinsamkeit mit Hannes feststellen konnte.
„Weißt du, mein Vater sagt, dass ...“, begann Hannes.
Leider erfuhr ich nicht mehr, welche Meinung Axel Kröger zu diesem Thema vertritt, liebe Christine, denn Konny kam uns entgegengerannt und fuchtelte aufgeregt mit den Armen.
„Hannes“, rief er völlig außer Atem. „Muss es wirklich sein, dass wir morgen Abend nach Beckum fahren?“
„Klaro“, gab ich übermütig an Hannes' Stelle zur Antwort. „Ich will doch den Gitarristen der Band kennenlernen.“
„Untersteh dich“, sagte Hannes.
„Übrigens, was glaubt der große starke Axel Kröger, dass wir beide gemeinsam hätten?“, warf ich schnell ein.
Krögers Meinung war mir zu meinem eigenen Erstaunen seit Kurzem ungemein wichtig geworden, liebe Christine. Konny sah uns aufmerksam an und schwieg beleidigt.
„Nichts, Katja. Es ist nicht so wichtig“, sagte Hannes. In diesem Moment hätte ich Konny am liebsten zum Teufel gejagt.
„Konny, teurer Cousin, nun gönn doch wenigstens der armen Kora den Spaß, nachdem sie etwas dermaßen Schreck...“ Ich boxte ihn heftig in die Seite. „... äh, etwas dermaßen schrecklich Schönes über diesen Schlagzeuger Kai denkt“, beendete er unbeholfen den Satz.
„Ihr habt sie ja nicht mehr alle“, sagte Konny mit einem geringschätzigen Unterton in der Stimme. „Ich gehe jetzt zu Helge und helfe ihm im Kuhstall.“
„Sofern er denn da ist", grinste Hannes, aber Konny war schon abgedüst.
„Übergelaufen zum Feind“, sagte Hannes, als Konny außer Hörweite war. „Ich fass es einfach nicht. Ein Glück, dass wir ihn nicht in unsere Pläne eingeweiht haben. Eingeschlossen in einer Registratur! Mit dem! Und womöglich noch über Nacht! Nur über meine Leiche! Und beinahe hätte ich mich auch noch verplappert.“
„Kann doch jedem mal passieren“, sagte ich.
„Lass uns wieder zur Laube gehen“, schlug Hannes vor. „Vielleicht sitzt dein Opa noch drin und erzählt uns ein paar Takte vom Krieg.“
„Ich glaube nicht, dass er sich allzu gerne daran erinnert“, sagte ich. „Ich habe eher den Eindruck, dass es ihn viel mehr interessiert, was auf dem Hof vor sich geht, ob der Spinat rechtzeitig abgeerntet wurde, ob Leni die Kräuter in Schuss hält und so weiter. Lass ihn bitte nicht wieder von seinen Kriegserlebnissen erzählen. Er ist doch schon so alt und darf sich nicht aufregen.“
„Na gut, Katja. Vielleicht hast du recht“, stimmte Hannes mir zögernd zu. „Aber es wundert mich doch sehr, dass gerade du das sagst, wo du doch immer und immer wieder vom Dritten Reich anfängst.“
„Tatsächlich?“, fragte ich verwundert. „Das ist mir selber noch gar nicht aufgefallen.“
Wir hatten die Laube erreicht. Axel Kröger saß neben Opa und zog an seiner Pfeife. Beide waren dermaßen in ihrer Unterhaltung vertieft, dass sie uns nicht kommen hörten.
„... also das war so, Axel“, hörten wir Opa berichten, „dass im Winter 1916/1917, auch Hungerwinter genannt, Brot und Kartoffeln durch Steckrüben ersetzt werden mussten. Die Stimmung im Volk war deshalb verheerend und als auch noch Kaiser Franz Josef von Österreich-Ungarn starb ...“
Hannes stubste mir seinen spitzen Ellenbogen in die Hüfte und raunte: „Von wegen, ist schon zu alt und darf sich nicht mehr aufregen.“
„Na, wo kommt ihr denn beide her?“, unterbrach Opa seinen Kriegsbericht und sah uns freundlich an.
„Wir sind um den See spaziert, Herr Franzen“, gab Macheath wahrheitsgemäß Auskunft.
„Übrigens, ich möchte am Dienstag nach Lübeck fahren und mir aus der Wohnung ein paar Mathebücher holen. Das ist dir doch recht, Papa?“
„In Anbetracht deiner schlechten Zensuren habe ich nicht das Geringste dagegen, mein Sohn“, lachte Kröger.
„Ich fahre mit dem Rad“, fuhr Hannes fort und bleibe vielleicht über Nacht.“
„Ganz wie du willst, Hannes“, sagte sein Vater.
„Und morgen Abend wollt ihr also ins Konzert?“
„Ja“, sagte Hannes. „Kora hat sich beim Baden in einen Schlagzeuger verguckt, und Katja will unbedingt den Gitarristen kennenlernen.“
Es war leider nicht möglich, ihm unbemerkt einen Vogel zu zeigen, liebe Christine. Hannes tritt laufend ins Fettnäpfchen, ohne die Konsequenzen zu bedenken.
Axel Kröger sah mich überrascht an. „Ich dachte, du interessierst dich nur für Bücher, Katja?“
„Ja, schon“, stammelte ich verlegen und fühlte, wie mir das Blut in die Wangen stieg, „aber wenn wir nun schon einmal dorthin fahren, dann will ich wenigstens den Gitarristen kennenlernen. Ich mag nämlich Gitarrenmusik besonders gerne.
„So, so“, sagte Hannes' Vater und sah mich dermaßen nachdenklich an, als hätte ich eine Mitteilung von epochaler Bedeutung bekanntgegeben, liebe Christine.
„Wie wäre es, wenn ich euch begleite?“
„Gerne, Herr Kröger“, hörte ich mich sagen – wie kam ich bloß dazu, Christine. Ich hätte mich nachträglich ohrfeigen können. Diese bescheuerte Höflichkeit um jeden Preis haben Mutter und Vater Kleve mir eingeimpft. Jetzt trage ich sie ein Leben lang mit mir herum. Weißt du vielleicht, wie man die wieder los wird? Ich erwarte deine Antwort binnen achtundvierzig Stunden. Es eilt!!!
Hannes giftete mich wütend an. „Aber Papa, für solche Musik bist du doch schon viel zu alt“, fauchte er.
„Sag so etwas nicht“, lachte Kröger. „Wir nehmen Katjas Mutter mit, dann hat sie auch mal eine kleine Abwechselung.“
„Das ist eine prima Idee, Axel“, lächelte Opa.
Mir hatte es im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen, und wahrscheinlich zog ich ein Gesicht, als hätte ich zu viel Senf auf eine Bockwurst gegeben. Das fehlte mir noch zum Glück. Und ich hatte mich tatsächlich schon ein wenig auf die Musik gefreut, liebe Christine. Womöglich kommt es noch so weit, dass Mutti mit Axel Kröger Rock 'n' Roll tanzt.
„Solche Festivitäten müssten für über Zwanzigjährige verboten sein“, flüsterte Hannes mir mit fliegenpilzgiftiger Stimme ins Ohr, und ich war ausnahmsweise seiner Meinung.
„Axel, Axel, wo steckst du denn schon wieder?“ Lenis Stimme drang durch den Efeu zu uns in die Laube.
„Hier in der Laube, Leni. Zu Befehl!“, donnerte Kröger. Es hörte sich ziemlich krass nach Bundeswehr an, obgleich er dabei lächelte.
Leni kam über den Rasen gestapft und jammerte: „Ich weiß vor Arbeit nicht, wo mir der Kopf steht und du sitzt hier rum und hältst Siesta!“
„Siesta bedeutet Mittagsruhe, Lene, und jetzt ist es mittlerweile kurz vor neun. Mach doch auch endlich Feierabend. Du hast ihn dir verdient“, sagte Kröger.
„Komm mir nicht so, Axel“, schimpfte Leni. „Helge hat angerufen, aus dem ,Goldenen Krug'. Er ist gleich hinter Beckum mit seinem VW liegengeblieben. Der Motor lässt sich nicht mehr anwerfen. Kannst du ihn abschleppen?“
„Wo wollte Helge denn um diese Zeit noch hin? Morgen früh soll doch das letzte Heu eingefahren werden. Ich dachte, er sei im Kuhstall und hilft unserem Heiner beim Ausmisten“, wunderte sich Herr Kröger.
„Der Kuhstall ist längst fix und fertig. Ich glaube, Helge hat eine Liebste in Lübeck. Er deutete so etwas an.“
„Dunnerlüttchen“, lächelte Opa. Hannes und ich sahen uns verblüfft an.
„Für mich wird es Zeit für einen letzten Rundgang über den Hof“, sagte Herr Kröger. Er erhob sich etwas schwerfällig und streckte sein Kreuz.
„War ein langer Tag heute. Bis morgen, meine Herrschaften.“
Er nickte uns zu und stiefelte steifbeinig davon. Leni watschelte hinter ihm her und laberte ihn mit irgendwelchen hauswirtschaftlichen Sorgen voll. Hannes schien sich köstlich darüber zu amüsieren; aber noch bevor sie den Hofplatz erreicht hatten, hatte Kröger das ,gute alte Mädchen für alles' abgewimmelt und war geflüchtet. Unsere Leni stand wie ein begossener Pudel unter den duftig blühenden Linden und ließ die fleißigen Arme hängen.
Dafür wird er büßen, dachte ich. Leni derart schnöde zu behandeln. Mir wird dazu etwas einfallen, darauf kannst du dich verlassen, liebe Christine.

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