Kushiba und Thorben - Page 4

Bild von Maik Kühn
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Schweißperlenen bildeten sich auf seiner Stirn und das Herz begann immer schneller zu schlagen. Es musste sich hier einfach um einen wunderschönen Traum handeln, denn plötzlich stand sie direkt vor ihm und hinterließ noch einmal mehr Eindruck als über das Handydisplay bereits geschehen war. Erst jetzt entdeckte Thorben ihre grünbraunen Augen, die inmitten ungeschminkter Natürlichkeit sichtlich verunsichert nach Rat suchten. Auch die roten Strähnen in ihren langen zerzausten Haaren schienen keineswegs künstlich zu sein.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll … Schön, dass wir uns mal persönlich kennenlernen … Also, ich heiße Thorben und wie du siehst bin ich kein Gott …“
Die Stimme kam ihr sehr bekannt vor, deshalb zwang der erste Impuls Kushiba sich sofort vor ihm hinzuknien. Vielleicht war sie ja gestorben und dieser seltsame Ort verkörperte das Jenseits, was in ihren Vorstellungen jedoch völlig anders aussah. Leider konnte sie den offensichtlich zum Menschen gewordenen Gott nicht verstehen. Überhaupt, was trug dieses Wesen eigentlich für seltsame Kleidung? Seine kurzen hellen Haare waren ebenfalls sehr exotisch, von den blauen Augen einmal ganz zu schweigen.
Unbemerkt hinter einer einseitig durchsichtigen Glasscheibe packte R18-IIOOI das blanke Entsetzen. Statt der technischen Geräte hatte er versehentlich die beiden Protagonisten hergebeamt. Zum Glück gab es bis dato noch keine Mitwisser, denn es bestand höchste Kontaminierungsgefahr, weshalb die ungebetenen Gäste eigentlich sofort getötet werden mussten. Ohne noch mehr Zeit zu verlieren, ließ er ein Betäubungsgas in den Raum leiten und wartete bis Kushiba und Thorben ohnmächtig am Boden lagen. Dann beschaffte er sich zwei blaue Anzüge samt Unterwäsche, entkleidete beide völlig und verpasste ihnen ein neues Outfit. Nur die aus Tierzähnen bestehende Halskette des Mädchens durfte an ihrem Platz bleiben. Um bessere Kontrolle ausüben zu können und damit sie sich überhaupt untereinander verstehen konnten, fand jeweils ein Chip den Weg unter die Haut ihrer linken Unterarme. Abgelegen, aber dennoch nicht weit entfernt, befand sich eine ungenutzte Räumlichkeit. R18-IIOOI beförderte die beiden Leichtgewichte heimlich dorthin und überließ sie im Anschluss wieder sich selbst.
Kushiba gewann nach dem Aufwachen als Erste wieder die Fassung und schaute jetzt im Wechsel zu Thorben hinüber und an ihrem Körper herab. Es wurde immer seltsamer. Aus welchem unbekannten Material bestand diese komische blaue Kleidung? Na ja, wenigstens die Halskette hatte man ihr gelassen. Und warum trug Thor die gleichen Sachen, obwohl er doch ein Gott war? Dieser Raum glich dem Ersten, war allerdings ein wenig kleiner. Auf dem Boden befand sich offensichtlich etwas, um aufkommenden Hunger und Durst zu stillen, allerdings wollte sie in diesem Moment nichts zu sich nehmen …
„Ich weiß nicht, ob DU mich wenigstens verstehen kannst, aber ich möchte, dass du bei mir bleibst und mich hier nicht alleine zurücklässt.“
„Ich kann dich sehr gut verstehen. Du, ich bin kein Gott, also bitte nicht wieder hinknien. OK!? Wo befinden wir uns hier und was sind das eigentlich für komische Anzüge?“
Vielleicht war es Liebe auf den ersten Blick, bezogen auf ihre erste Vis-à-Vis-Begegnung oder einfach nur die Tatsache, dass Kushiba genauso verunsichert war wie er und beide nicht wussten wie ihnen geschah. Auf jeden Fall fühlte sich Thorben jetzt deutlich zu ihr hingezogen.
Sie konnte immer noch nicht glauben, dass jener Gott ein Mensch war und fragte sich, ob er denn wirklich die ganze Zeit den Stamm des heiligen Baumes bewohnt hatte. Neugierig näherten sich die beiden und als sie seinen Atem spürte, gelangten Thorbens Lippen wie von Geisterhand auf ihrem Mund und er gab einen langen zarten Kuss zum Besten.

Langsam öffneten sich seine Augen. Der Tag war bereits fortgeschritten, denn die Sonne stand hoch am Himmel. Das Stammesoberhaupt richtete sich auf und schaute umher, doch von Kushiba fehlte jede Spur.

Eng umschlungen lagen die beiden auf dem weichen Boden des abgeriegelten Raumes.
„Ich verstehe nichts von alldem hier und jegliche Gedanken nach dem Sinn des Ganzen enden bei mir in starken Kopfschmerzen … Aber trotzdem bin ich glücklich, solange du in meiner Nähe bist!“
Thorben fühlte sich von ihren Worten sehr geschmeichelt.
„Uns kann niemand mehr trennen, egal zu welcher Zeit und an welchem Ort.“
Beinahe hätten sie das leise Geräusch nicht bemerkt, aus dessen Richtung jetzt ein schmaler Türspalt in Erscheinung trat. Neugierig wurde die Öffnung vergrößert und als niemand zu sehen war, schlichen Kushiba und Thorben Hand in Hand nach draußen. Triste Gänge aus Metall, vielleicht Stahl, taten sich vor ihnen auf. Es gab keinerlei Fenster und künstliches Licht fungierte als monotone Beleuchtung. Erst nach einiger Zeit schien in der Ferne etwas Interessantes sichtbar zu werden. Beim Näherkommen entpuppte sich dieses Etwas als Bullauge. Thorben näherte sich vorsichtig als Erster dem Ziel und schaute hinaus. Wie angewurzelt blieb er stehen und konnte nicht begreifen, was sich gerade vor ihm auftat. Dieses stählernde Gebäude in dem sie sich befanden war nicht einfach Teil einer Stadt oder irgendwo in freier Wildbahn angesiedelt. Nein, es handelte sich mutmaßlich um ein Raumschiff bzw. eine Raumstation von gigantischem Ausmaß. Das Monstrum umkreiste die Erde, allerdings war die komplette Nordhalbkugel in Wolken gehüllt und da im nächtlichen Teil der Südhalbkugel alles völlig verdunkelt war, schloss er daraus, dass der einst blaue Planet wohl mittlerweile unbewohnbar sein musste. Das Szenario deutete auf einen vorausgegangenen Atomkrieg hin. Sollte sich dies bewahrheiten, würden die Überlebenden in dieser Raumstation ihr Dasein fristen, falls es nicht sogar noch mehrere davon gab ...
Kushiba hatte eine solch gigantische Kugel noch nie gesehen und nicht ansatzweise erschloss es sich ihr, worum es hier eigentlich ging. Derweil versuchte Thorben den Anblick zu verarbeiten, indem er stellvertretend für die Verursacher seinen Heimatplaneten um Verzeihung bat.
Ein Mädchen aus der Antike, dazu jemand aus dem 21. Jahrhundert und beide werden in einer fernen Zukunft zusammengeführt. Es musste sich wohl oder übel um eine Art Experiment handeln. Kushiba und er waren sehr wahrscheinlich zufällig ausgewählte Versuchskaninchen. Man erhoffte sich anscheinend irgendwann rückwirkend die Erde vor dem Untergang bewahren zu können …
Hinter ihnen hörten sie ein Zischen. Thorben drehte sich um, legte instinktiv seine Hand auf die schmerzende Brust und sackte zu Boden, denn irgendetwas hatte ihn ins Herz getroffen. Kushiba beugte sich zu dem Verletzten hinunter und schrie kurz darauf laut

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