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auf, da ihr Ohr ebenfalls getroffen wurde. Im letzten Moment zogen zwei fremde Hände erst sie und direkt danach ihren Freund in einen angrenzenden Raum. Grünlicher Nebel nahm ihnen das Bewusstsein noch bevor die beiden ansatzweise begreifen konnten, was gerade mit ihnen geschah.
Im Nebenraum, getrennt durch eine von dort aus durchsichtige Spiegelwand, stand R18-IIOOI fest entschlossen vor einem Pult mit modernster Technik.
„Ich habe schon wieder kläglich versagt. Aber auch wenn das Leben des Jungen nicht mehr gerettet werden kann, so soll wenigstens seine Seele in ihr weiterexistieren … und dann nichts wie fort mit dem Mädchen …“
War denn wirklich alles nur ein phantastischer Traum? Thorben schien wieder auf das Display jenes mysteriösen Smartphones zu schauen, das damals quasi vom Himmel einschwebte und ihn mit Kushiba bekannt gemacht hatte. Doch halt, seine Augen sahen wohl doch kein digitales Abbild, sondern die Realität selbst. Langsam stand er von dem staubigen Boden auf und schaute sich um. Hinter ihm befand sich ein alter Baum und in diesem Moment klärte sich endlich, warum Kushiba davon ausging mit einem Gott gesprochen zu haben, denn aus diesem Gewächs heraus musste wohl seine Stimme erklungen sein. Vom Raumschiff in der fernen Zukunft hatte man ihn also in Kushibas vorchristliche Heimat befördert.
Thorbens Hände wirkten ungewöhnlich zierlich und die Haare schienen quasi über Nacht lang gewachsen zu sein. Neugierig zog er eine Strähne zu sich heran und sah sich die rötlichen Fäden etwas genauer an. Seine Augen erkundeten daraufhin ungläubig den Oberkörper und hielten einen Moment lang über der deutlichen Ausbuchtung in Brusthöhe inne. Dort spannte sich die blaue Kleidung sichtlich und Thorben begann plötzlich vor lauter Entsetzen zu zittern.
„Ich bin in ihrem Körper?! … Das kann doch alles nicht wahr sein!! … Gebt mir sofort mein eigenes Fleisch und Blut zurück!!!“
Er schrie die Worte in Richtung Himmel, doch es gab von dort keinerlei Antwort.
„Nicht erschrecken ….“
Kushibas Warnung verfehlte ihr Ziel, denn Thorben sah niemanden und ging jetzt umso mehr davon aus langsam verrückt zu werden. Aber halt, der Mund hatte sich doch beim Sprechen bewegt, was darauf schließen ließ, dass sowohl er als auch sie Körperkontrolle ausüben konnte. Auch ihre Sprache verstand er nach wie vor. Am Anfang als der Kontakt noch ausschließlich über dieses Smartphone verlief, hatte wohl die Technik automatisch übersetzt. Dann in dem Raumschiff musste allerdings irgendetwas mit ihnen geschehen sein, denn sonst wäre dort eine wechselseitige Kommunikation zum Scheitern verurteilt gewesen. Aber jetzt? Sprachen etwa zwei Seelen miteinander, die keiner Übersetzung mehr bedurften? Es war alles unglaublich abgefahren und Thorben dachte darüber nach, ob der Tod in seiner aktuellen Lage nicht vielleicht sogar eine bessere Alternative wäre …
„Ich verstehe bereits seit jener Nacht nichts mehr, als ich deine Stimme aus diesem Baum hier heraus zum ersten Mal gehört habe. Dass ich jetzt wieder zu Hause sein darf ist wirklich unglaublich … Dich an meiner Seite zu haben macht mich jedoch richtig glücklich … Vielleicht bilde ich mir ja alles auch nur ein oder es ist doch ein Traum. Andererseits scheinst du offensichtlich Kontrolle über meinen Körper ausüben zu können … Wenn dem so ist, bleiben wir bis zum Ende in dieser sterblichen Hülle vereint! Es scheint dann wohl unser Schicksal zu sein und wenn es uns nicht gelingt damit fertig zu werden, steht nur noch ein einziger düsterer Ausweg zur Wahl …“
Das Stammesoberhaupt kam immer wieder in unregelmäßigen Abständen zu dem alten Baum und hoffte somit dessen Geheimnis zu lüften. Von seinem Sturz zeugte immer noch die gut sichtbare verkrustete Wunde im Gesicht, ansonsten schien er keine Schädigungen davongetragen zu haben. Unbemerkt geriet Kushiba, die bereits seit einiger Zeit spurlos verschwunden war, in sein Blickfeld. Sie stand vor dem Baum und führte Selbstgespräche. Seltsam daran war in erster Linie, dass Kushiba zuerst normal sprach, sich dann aber die Antwort in einer anderen, ihm völlig unbekannten Sprache gab. Ohne abzuwarten hob das Stammesoberhaupt einen faustgroßen Stein vom Boden auf und verließ sein Versteck.
„Du bist nicht mehr unsere Kushiba! Hast mich hier neulich halb tot liegen lassen und jetzt das … Du Dämon, von dir wird gleich nichts mehr übrig bleiben!“
Bevor das Stammesoberhaupt zum Schlag ausholen konnte, umarmte ihn Kushiba geistesgegenwärtig. Bittere Tränen flossen an ihren Wangen entlang und benetzten die Schulter des Mannes. Er ließ sofort den Stein fallen und erwiderte die Umarmung. Kushiba versuchte ihm zu berichten, was seit jener Nacht als die Stimme aus dem Baum erstmals zu ihr gesprochen hatte geschehen war, aber selbst sie konnte das Erlebte immer noch nicht richtig begreifen, geschweige denn er.
Um Schaden von ihr und seinem Stamm abzuwenden, traf das Oberhaupt schweren Herzens eine harte, aber notwendige Entscheidung. Er stellte ein Bündel mit nützlichen Dingen zusammen und übergab sein geliebtes Stammesmitglied der Wildnis. Sie musste von nun an bis an ihr Lebensende alleine für ihr Überleben sorgen oder sich einem anderen Volk anschließen. Dort würde ihr allerdings wohl dasselbe Schicksal drohen wie hier, denn von Dämonen besessene Menschen galt es unschädlich zu machen. Kushibas Anführer hoffte allerdings in den Tiefen seiner Seele, dass sie überleben würde und schaute der jungen Frau nach, bis sie für immer hinter dem Horizont verschwunden war.
Kushiba und Thorben (in Gedichtform)
Prolog
dem Stein entwachsen, doch vor dem Eisen
es lebten bereits die ersten Weisen
ihr Zeugnis ging der Menschheit verloren
denn sie waren wohl nicht auserkoren
darum folgt mir, kommt mit in jene Zeit
hört die unglaubliche Mär von der Maid
Bronzezeit I
am Rande der Wildnis und ständig fallend aus dem Rahmen
haust eine Jugendliche, sie trägt Kushiba als Namen
ihr Körper in Felle gehüllt, ergänzt durch Stoff aus Wolle
dazu eine Kette mit Zähnen in schmückender Rolle
so liegt sie in dieser Nacht schlaflos auf ihrem Lager
es knurrt der Magen, denn das Essen war heute mager
Kushiba schwärmt aus, entfernt sich leise von der Sippe
vorbei an Feuerstellen sowie einem Gerippe
über ihr das Firmament, so unendlich fern
dort löst sich plötzlich ein besonders heller Stern
fällt lautlos nieder, was ihr bedrohlich erscheint
bis er sich dann mit einem alten Baum vereint
dessen dicker Stamm dadurch beinahe zerbricht
sie jetzt jedoch lockt mit mystisch-goldenem Licht
neugierig nähert sich Kushiba dem bizarren Orte
vom Leuchten ausgehend spricht jemand zu ihr diese