Hochsommer ist jetzt, der Himmel heute bedeckt, ein Sommergewitter liegt in der Luft. Ich verlasse mein Haus mit einem Schirm in der Hand und steure meinen Parkplatz an. Meine Füße zögern, stocken. Wie kommt der Wurm, der Regen liebt, auf den Asphalt neben mein Auto? Sorgsam hebe ich ihn auf und trage ihn in meinen Garten. Ob er überlebt? Als wir Kinder waren, haben wie sie in der Mitte geteilt, sie krochen in zwei Richtungen davon, so vermehren sie sich, dachten wir. Wir haben sie auch als schärfste Form der Mutprobe respektlos in den Mund gelegt und verschluckt. Über den Wert der Regenwürmer als Lebewesen haben wir nicht nachgedacht. Jetzt weiß ich es besser und entschuldige mich für mein kindliches Verhalten bei euch, ihr Lumbricidae, so euer Name in der schönen lateinischen Sprache. Euch Erdwürmern trage ich ein Lob hinterher. Ihr seid die "Gärtner des Bodens". Durch euch und andere emsige Mitarbeiter wie Tausendfüßler und Bakterien wird aus unserem Bioabfall wieder Humus. Dadurch, dass ihr den Erdboden mit Gängen durchzieht, werden die verschiedenen Bodenschichten außerdem durchmischt und aufgelockert. Am meisten beeindruckt mich euer außergewöhnliches Liebesleben. Ihr seid beides, Mann wie Frau. Eigentlich könnte sich jeder von euch selbst befruchten, das ist euch aber zu langweilig. Deshalb bevorzugt ihr das duale Liebesspiel, was ich gut verstehe. Ihr legt euch zu zweit längs entgegengesetzt eng nebeneinander, der Kopf des einen am Körperende des anderen. Euer bisexuelles Liebespiel im Frühjahrs- und Herbstnächten dauert bis zu fünf Stunden lang. Vorbildlich zärtlich seid ihr zueinander. Während ihr eure Bauchseiten aneinander presst, umhüllt ihr euch mit einem Schleimmantel und beginnt mit einem etwa fünfstündigen Samenaustausch. Jeder von euch Würmern gibt und empfängt zugleich: Über Samenrinnen transportieren ihr die eigenen Samenzellen zu den Eierstöcken eures Partners. Dort wird das Sperma in einer Art Zwischenablage gespeichert. Danach windet ihr euch wieder aus eurem Schleimmantel heraus. In die leere Hülle packt jeder seine eigenen Eier, zusammen mit dem Fremdsperma. Außerhalb eures Körpers findet dann die eigentliche Befruchtung statt. Mehrere Wochen später schlüpfen eure Kinder, etwa ein Zentimeter lange Würmchen. Ihr Bodenwürmer lasst euch Zeit für die Liebe, kennt keine Konkurrenzkämpfe und keine Eifersuchtsszenen wie wir Menschen. Friedlich seid ihr und für uns sehr nützlich. Respekt und ein großes Danke im Namen aller meiner Artgenossen. Hoch lebe der Lumbricus!
Regenwürmer (Lumbricidae) gehören zum Stamm der Ringel- bzw. Gliederwürmer. Weltweit gibt es mehr als 3.000 verschiedene Regenwurmarten. Von den 400 europäischen Arten kommen in Deutschland etwa 40 vor. Eine der größten und häufigsten einheimischen Arten ist der gemeine Regenwurm oder Tauwurm (Lumbricus terrestris). Der gemeine Regenwurm wird 9-15 cm lang und bis zu 1 cm dick. Er besteht aus einer Vielzahl einzelner, meist völlig gleichförmiger Segmente, die sich äußerlich als Körperringel abzeichnen. An jedem Segment mit Ausnahme des ersten und letzten befinden sich vier Borstenbündel mit je zwei Borsten, mit deren Hilfe sich die Würmer beim Kriechen im Boden festhalten können. Geschlechtsreife Tiere besitzen im vorderen Körperdrittel einen verdickten, drüsigen Gürtel der bei der Fortpflanzung eine Rolle spielt. Regenwürmer sind Zwitter und befruchten sich gegenseitig. Der gemeine Regenwurm ist vorne zugespitzt und erscheint am Hinterende oft abgeplattet. Vorne auf dem Rücken ist er dunkelviolett gefärbt, hinten heller mit dunkelrotem Längsstrich. Die Lumbricidae leben im Boden von Wäldern, Wiesen, Äckern und in unseren Gärten. Wegen ihrer weichen Außenhaut sind sie von Schatten und Feuchtigkeit abhängig, denn trotz der fortwährenden Schleimabsonderungen durch die Rückenporen trocknen sie im Sonnenlicht schnell aus. Deshalb kriechen sie am liebsten nachts und bei Regenwetter aus dem Boden. Regenwürmer ernähren sich von abgestorbenen Pflanzenteilen. Diese werden bei der Passage durch den Verdauungstrakt zu Kothumus verarbeitet und in kleinen Haufen meist an den Öffnungen der Gänge ausgeschieden. Besonders in der Nacht ziehen sie abgefallene Blätter von der Erdoberfläche in ihre Wohnröhren, so wird der Prozess der Verrottung beschleunigt. Die Bodenfruchtbarkeit unserer Ökosysteme ist von der unterirdischen Grabungstätigkeit der Regenwürmer abhängig.