Fortsetzung und Beendigung von Franz Kafkas Romanfragment "Amerika" - Page 12

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voran zu treiben wusste. Endlich war es auch soweit, Azimuth selbst griff ins Geschehen ein, sichtlich erfreut sondierte sie ihre Klasse, erfreute sich der Fortschritte, prüfte und ließ alle die erforderlichen Schritte und Bewegungen ausführen, die sie die „Grundmechanismen“  nannte. Beim Gesang musste Karl sich selbst ein kleines Manko eingestehen, jedoch waren Haltung, Bewegung (das Schreiten), Ausstrahlung und Attitüde so ganz nach dem Geschmack der großen Mimin. Da gab´s deutlich schwächere Akademieschüler, das fand auch Karl. Seine Aussprache bemängelte die Akademie-Chefin etwas. Sein Akzent sei ja ganz in Ordnung (sie fand ihn sehr charmant, ein wenig wienerisch), die schleppende Sprechweise, das leichte Nuscheln jedoch, das beanstandete sie aber doch. Ja, Karl arbeitete daran. In den einsamen Nächten, inmitten seines so winzigen Raumes, betrachtete er das Tomec-Bild von Prag und rezitierte ohne Unterlass, über viele Stunden, die erforderlichen Sprech-Übungen. Nach dem 3. Semester lobte ihn die allgewaltige Chefin. Er habe überdeutliche Fortschritte gemacht. Karl erglühte vor Stolz. Ein Lob aus solch gewaltigem Munde ließ ihn heftig erröten. Mittlerweile waren die Charaktere auch eingeteilt: Die Kokotte, der Liebhaber, die Muse, der arme Poet, die Buhlerin und der Geck. Wer für das Gesinde abkommandiert wurde, hatte es, aus der Sicht der Akademie-Chefin, nicht geschafft. Der Liebhaber oder die Muse, ja, die erfreuten sich der großen Zuneigung Blip Winds. Karl hatte es zum Liebhaber, damit auch zum Durchbruch, geschafft. Der Stolz schwellte ihm sogar ein wenig die Brust.

Er hatte es auch selbst bereits bemerkt. Sicherer in seiner Art, selbstbewusster und deutlich souveräner bewegte er sich auf den Brettern, die für ihn die ganze Welt zu bedeuten schienen. Er glänzte in den Fächern Dramaturgie und Rollenspiel, er lernte rasch und gut, auch die „großen Rollen“, sehr umfangreich im Text. Eines Tages hat die große Künstlerin dann eine Ankündigung zu machen: „Am Samstag, meine Dame (an die einzige Dame im Ensemble gewandt, die von der Anfänger-Klasse leider nur mehr übrig geblieben war) und meine Herren, werden wir das erste Stück vor einem fachkundigen Publikum aufführen. Wir geben den Amphitryon, von Molière. Alkmene werde ich selbst spielen, den Jupiter gibt unser junger Freund hier, Karl Roßmann.“

Es schien Roßmann, als müsse er jetzt und sofort in Ohnmacht fallen. Welch Freude, welch unfassbare, überschäumende, tiefe Freude! „Die Cléanthis wird von unserer bezaubernden jungen Dame hier gespielt (Blip zeigte auf die einzige Frau in dieser Gruppe), und die weiteren Rollen spreche ich nun im Einzelnen den Herren zu. Als da wären....“ Während die große Mimin die Rollen und ihre Vergabe besprach, hatte Karl Tränen in den Augen. Was für eine Herausforderung. Er würde den Jupiter zu spielen haben. Und, leicht errötend, dachte er daran, dass es eine Liebesnacht zu spielen galt, zwischen der Alkmene und dem Jupiter. Was würde wohl Johanna zu solch einem Treiben sagen? Könnte sie den hehren Wert erfassen, wüsste sie, dass es sich hier lediglich um eine Kunst-Darstellung handelte, die keinerlei Bezug zu der realen Welt außerhalb des Theaters aufzeigte? Würde sie das Stück wertfrei und ohne galligen Gefühle  genießen können, wissend, dass zwischen Karl und dieser Blip nicht das Geringste an Liebeshändel vonstatten ging? Weder vor noch nach dieser Aufführung? Zumal Blip Wind ja auch mit Anfang 60 um fast 20 Jahre älter war als Johanna, gar 36 Jahre älter als Karl. Sicher schien Roßmann aber, er würde es Johanna nicht so zu erklären wissen können, dass sie es in ihrer kindlich-naiven Seele auch vollinhaltlich würde begreifen lernen.

Karl wischte diese Gedanken rasch beiseite. Es ging nun darum, die sicherlich sehr wichtigen Damen und Herren im Publikum zu überzeugen. Sofern er dies schaffte, war ihm auch der Abschluss sicher. Der Akademie-Brief. Sein Diploma! Und genau darauf kam es ihm an. Er wollte bestehen. Vor Gott und der Welt, vor aller Augen. Diesen Damen und Herren vom Fach-Publikum wollte er einen Jupiter geben, wie sie ihn so schnell nicht wieder vergessen würden. Sein ganzer Körper streckt sich durch. Wenn einer eine Chance verdient hatte, nach all diesen Mühen und Plagen, dann der dauerübernächtigte Roßmann. Den Rollentext lernte er so schnell und mühelos, dass er sich den Spaß erlaubte, auch alle anderen Sprechrollen zu studieren. Das konnte ihm, bei einer Text-Unsicherheit eines Protagonisten, durchaus hilfreich sein: „Wolltet Ihr nicht vielleicht dies hier sagen...?“ Flott eingeschoben, könnte es einen „Hänger“  eines Mimen schnellstens reparieren helfen. Es kam nun darauf an. Denn auch die Presse, nicht nur die aus Oklahoma City, würde anwesend sein bei dieser Premiere.

Karl liebte die unkonventionellen Methoden und überraschenden Aufgaben, die Blip Wind den Jungschauspielerinnen und Jungschauspielern in ihrer Akademie stellte. Eine Herausforderung als Beispiel soll hier geschildert werden, als Sinnbild für den mannigfaltigen Ideenreichtum der Instituts-Leiterin: Eines Tages brachte Madame Blip Wind zwei Töpfe mit. In einem Topf befanden sich die Namen berühmter Autoren, und im anderen Topf Tiernamen. Jeder musste erst den Dichter ziehen, hernach - aus dem anderen Topf - das Tier. Blip wollte, dass man sich in nur 3 Tagen diesem Tier annähere, seine Wesenszüge erfasste, den „Kern der Persönlichkeit also“, das sagte Azimuth Wind, und dann in einem entsprechenden Kostüm etwas vortrage, in einem 15minütigen kleinen Schauspiel, in welchem der Text des ausgelosten Autors im Mittelpunkt stünde. Erwünscht seien, so Madame Wind, eigene Interpretationen im Hinblick auf die „Seele des Tieres“, Variationen des Themas, Anmerkungen, kluge, kurze Bonmots und Paralipomena. Karl zog Emily Dickinson (Emily Dickinsons Lyrik ist ein singulärer Kosmos: „Ich wohne in der Möglichkeit“), sollte eine gute Viertelstunde aus „Sie trug es...“ rezitieren, hier ist das Original:

She bore it till the simple veins
Traced azure on her hand --
Til pleading, round her quiet eyes
The purple Crayons stand.

Till Daffodils had come and gone
I cannot tell the sum,
And then she ceased to bear it --
And with the Saints sat down.

No more her patient figure
At twilight soft to meet --
No more her timid bonnet
Upon the village street --

But Crowns instead, and Courtiers --
And in the midst so fair,
Whose but her shy -- immortal face
Of whom we’re whispering here?

Die Cléanthis zog T. S. Eliot und den Schakal. Keine leichte Aufgabe, wie Karl fand. Roßmanns Tier war der Pinguin. Eine undankbare, aber interessante „Challenge“.

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