Fortsetzung und Beendigung von Franz Kafkas Romanfragment "Amerika" - Page 21

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Kostüm zu schlüpfen und einen kleinen Monolog aus dem Stück zu sprechen. Artig spendete die kleine Gruppe Beifall. Und Kummerbund rief gar „Bravo! Bravissimo!“ Dies hielt der junge Künstler jedoch für absolut übertrieben.

Der große Tag war gekommen. Unabhängigkeitstag, Nationalfeiertag, Premiere. Karl ist noch nie zuvor jemals so aufgeregt gewesen. Er kannte den Begriff Lampenfieber natürlich, in Amerika nannte man das „Stage fright“, aber so, wie es ihn jetzt gepackt hatte, so war es zuvor noch niemals aufgetreten. Denn um 19 Uhr, also eine Stunde vor der Uraufführung, raunte ihm Blip zu: „Der Senator ist eben eingetroffen. Ja, der Mäzen, von dem ich dir berichtete, er ist jetzt da. Der Senator Edward Jakob. Bitte, gib alles, mein Meisterschüler. Wenn du Ehre einlegst, werden die Sponsor-Gelder fließen. Ich bete zu Gott, dass du und Jenna Höchstleistungen auf die Bühne zu bringen in der Lage sein werdet, ich bete dafür. Enttäusche mich nicht, Roßmann!“

Karl lugte vorsichtig durch den schweren Vorhang in den Zuschauerraum. Und es stockte ihm der Atem, das Herz schlug wie irrsinnig. Dort saß der Senator, es war sein Onkel. Und er unterhielt sich mit Karls Eltern. Ihm wurde augenscheinlich auch Kummerbund und Johanna vorgestellt. Was Karl nicht wusste: Im Vorfeld hatte es eine Begegnung zwischen dem schwerreichen Kaufmann und seinem Großneffen gegeben, die sehr erfreulich verlaufen war. Somit war der Onkel friedlich und recht gut gestimmt. Noch vor dem 1. Gong kam er in die Garderobe, zu Karl. Raschen Schrittes kam er auf den bereits fertig geschminkten und kostümierten Romeo zu: „Lieber Neffe, lass uns vergessen, was einst geschehen ist. Ich hoffe inständig, du weißt auch heute noch, dass ich nicht anders zu handeln vermochte. Jetzt aber sei all das der Vergangenheit anheim gestellt, wir sollten den Mantel des Vergessens darüber decken. Ich freue mich, dass du etwas aus dir gemacht hast, Karl. Und ich bin, als Kunst-Mäzen und -Förderer, ganz außerordentlich beglückt darüber, dass es dich in die Gefilde der darstellenden Kunst getrieben hat. Eine außerordentliche und mutige Entscheidung. Wenn du gut bist, werde ich dich gerne fördern.“ Herzlich und sehr freundschaftlich fiel der Händedruck aus. Entgegen der amerikanischen Sitte, die Hände sehr lange zu schütteln, lösten sie sich schon bald wieder. „Du hast jetzt andere Sorgen, mein Neffe. Du solltest allein sein und dich vorbereiten. Ich wünsche toi toi toi.“ So ist´s richtig, dachte Karl. „Ach, dies noch. Ich habe aus New York auch Pollunder, Green und Mack mitgebracht, Klara Pollunder ist auch im Publikum. Man fiebert der Premiere entgegen!“ Die Aussöhnung mit dem Senator, das Wissen um das illustre Publikum (Klara würde ihm zusehen!), die große Chance, die sich ihm hier bot, all das überwältigte Karl, doch überkam ihn, nach dem 2. Gong, eine sehr tiefe, innere Ruhe.

Und mit dem Frieden in der Seele konnte der große Vorhang endlich aufgehen, und alle Zuschauer ins Verona des Jahres 1597 entführen. „The show must go on!“ Karl war bereit. Der Text saß, Jenna hatte sich ebenso gut vorbereitet, die Generalprobe war, wie gewünscht, leicht missglückt, so schien alles bereit, um Oklahoma City und ganz Amerika eine der besten Premieren der letzten Jahre und sogar Jahrzehnte zu bereiten. Wie der Schauspieler gern sagt: Wenn die Generalprobe missglückt, wird die Premiere großartig! Es gab viele „Hänger“ auf der Generalprobe, daher schien die Premiere gerettet. Sie würde großartig werden!

Nach Beendigung der Vorführung gab es 24 Vorhänge, stehende Ovationen, auch  laute Bravo-Rufe. Immer und immer wieder mussten sowohl der Romeo als auch die Julia, erst einzeln, dann zusammen, auf die Bühne kommen. Man war begeistert. Später bezeichnete man die Julia als hinreißend, den Romeo als epochal und sogar exorbitant. Jeder weitere Romeo, der auf einer Theater-Bühne steht, müsse sich an diesem hier messen lassen, so die Presse. Begeisterung allerorten, der Senator Edward Jakob ließ sich nicht lumpen und spendete dem Wind-Institut eine ganze Million Dollars. Nach diesem Triumph konnte man Karl nicht mehr ins Ensemble für das Tournee-Theater stecken. Das war unmöglich. Man bot ihm an, gleich auf die Hauptbühne zu wechseln. Nathan der Weise sollte aufgeführt werden, und Karl war für die Rolle des Curd von Stauffen vorgesehen, des Tempelherrn. Edward Jakob kaufte für Karl eine kleine, aber ungemein schmucke Eigentumswohnung in OK C., und er bot an, auch für Johanna und Jakob zu sorgen. Johanna übrigens konnte im Theater eine Anstellung als Näherin/Kostümbildnerin erlangen. Karl Roßmann sah sie und seinen Sohn regelmäßig, aber eine Liebesbeziehung mochte er nicht mehr zu Johanna aufbauen. Sie verstand das auch, fand später einen netten Amerikaner, der sich liebevoll um sie und das Kind bemühte. Karl schien es recht zu sein. Sein Sohn würde ja für immer auch sein Sohn bleiben. Mochte Johanna nur den Joseph heiraten, dagegen hatte er nichts. Sein eigenes Liebesglück aber fand Karl niemals bei Fanny oder bei Jenna.

Wie der Zufall so spielt. Nach der Premiere hatten sich alle ihm bekannten Besucher der Uraufführung zusammen gesetzt. Dabei kam Karl direkt neben Klara zu sitzen. Voller Bewunderung sprach sie von seinem Talent, seiner wunderbaren Präsenz auf der Bühne, von seiner trefflichen Art, einen solch großen Charakter zu verkörpern. In diesen 2 Stunden, da die Runde schmauste, lachte, trank und plauderte, in genau diesen 2 Stunden verliebten sich die beiden ineinander. Mack, einstiger Reitlehrer des damals blutjungen Karl, war schon lange nicht mehr Klaras Verlobter. Sie hatte es ihm am Tisch erzählt. „Wir sind längst auseinander“, zischelte sie ihm zu. Dabei drückte sie ihr Bein sehr sacht an das seine. Pollunder, der seine Tochter gerne mit Karl Roßmann zusammen sah, nickte freundlich, als Karl ihn einmal mit suchendem Blick ansah. Es gab keinerlei Vorbehalte gegen den jungen Künstler. Da auch Klara eine Künstlerseele innewohnte, konnte man hier von einer schicksalhaften und sehr besonderen Fügung sprechen. Zwei freie Herzen, die einander nach nur sehr kurzer Zeit bereits zugetan waren. Für Karl war diese Entscheidung, für Klara, folgerichtig. Schon damals, in Pollunders Landhaus, schien er dem Reiz der jungen Frau erlegen zu sein. Hätte sie ihn nicht mit Jiu Jitsu auf das Kanapee geworfen, wer weiß, damals hätte er sich ganz bestimmt sofort in sie verliebt. So dauerte es eben sieben Jahre.

Klara zog nach Oklahoma City, wurde Karls Frau. Den Sohn wollte er nach seiner Eheschließung nicht zu sich nehmen. Die Mutter hatte das Sorgerecht, und jener Stiefvater Joseph sorgte gut für den Jungen. Also beließ Karl es bei dieser sicher für alle Beteiligten sorgenfreien Konstellation. Bald hatte das Paar eigene Kinder. Klara liebte ihren Gatten sehr, die Bewunderung für seine hohe Kunst ließ auch mit den Jahren nicht nach. Sie hatten jetzt zwei Töchter, Lara und Lana. Und Karl? Jedes Stück, in dem er brillierte, wurde zu einem großen Erfolg. Sein Name wurde bald in ganz Amerika genannt. Ab und an gab er Gastspiele, kam auch nach New York, wo sein Onkel, der jetzige Gouverneur, sich sehr freute, wieder einmal Zeit mit seinem Neffen verbringen zu können. Karl hatte es geschafft. Er wurde neben Mary Pickford und Warner Baxter, Marlene Dietrich und George Arliss genannt, und da war dieser Karl Roßmann noch nicht einmal 40 Jahre alt. Klara blieb ihm eine liebende Ehefrau, die beiden Töchter und sein Sohn, sie alle machten ihm viel Freude. Ab und an sind die Eltern gekommen, zu Besuch, und nie wurde Karl müde zu erwähnen, dass hier, in Amerika, alle Chancen gegeben seien, die Möglichkeiten zu entdecken. Benötigt würden lediglich ein sehr scharfer Blick und die Geistesgegenwart, die Chancen dann auch zu ergreifen. Natürlich gehört, so schmunzelnd Karl, auch eine gehörige Portion Glück dazu. Dies sei unbestritten. Er habe, und dabei sah er auf seine Frau und die beiden Mädchen, dieses Glück ganz sicherlich gehabt. Dafür erhielt er einen Kuss auf die Stirn von Klara, die jetzt Roßmann hieß.

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>Da Dr. Franz Kafka bereits 1924 verstorben ist, betrachtet S. Fischer seine zu Lebzeiten und innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist veröffentlichen Gesamt-Werke inzwischen als gemeinfrei. Wir erteilen daher keine Genehmigungen und untersagen auch keine Nutzungen mehr zu Kafkas Werken.

Es kann sein, dass es in anderen Ländern andere urheberrechtliche Vorgaben gibt; für den deutschsprachigen Raum jedoch ist stark davon auszugehen, dass Ihnen niemand hier mehr etwas genehmigen kann oder untersagen darf.<

Mit freundlichen Grüßen

Doris Mall
S. Fischer Verlag
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