Fortsetzung und Beendigung von Franz Kafkas Romanfragment "Amerika" - Page 17

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dem 13., ausgerechnet am Schlitten Nummer 13, sich ein Unfall am Schnürboden ereignet hatte. Man schrieb den 13.06. 1913, und er ging in die Historie des Natur-Theaters als Unglücks-Tag ein. Entfernt wurde der Schlitten Nr. 13, auch fand an diesem Freitag keine einzige Vorstellung statt. Alle trauerten um Giacomo Barbieri. Die Küchenbrigade ebenso wie all seine neuen Kollegen von der Bühne. Über 100 Menschen sind zu seiner Beerdigung auf dem Riverside Gardens Cemetery in der Nähe des Forest Parks gekommen. Nicht weit entfernt: Der Oklahoma City Zoo. Bei dieser Wahl hatte Karl maßgeblichen und hohen Anteil, wusste er doch von Giacomo, dass dieser Tiere sehr liebte und zudem die Natur. So war er in unmittelbarer Nähe zum Zoo und zum Park. Er konnte selbst entscheiden, wohin er seine Seele wandern ließ, zu den Tieren oder in die geliebte Natur. Die halbe Küchenbrigade war angerückt, stand Spalier. Ein Dudelsackspieler intonierte „Amazing Grace“, und wirklich allen standen die Tränen in den Augen. Man hatte gesammelt, und es war viel Geld zusammen gekommen. Es hatte, da Giacomo nicht einen Verwandten oder Bekannten in Amerika gehabt hatte, ausgereicht, einen sehr schönen, aber dennoch schlichten Grabstein anfertigen zu lassen. Karl, als der beste Freund des Verblichenen, durfte die Inschrift aussuchen. Er entschied sich für eine italienische Beschreibung: Una vita molto breve ma piena (ein leider kurzes, jedoch erfülltes Leben), denn der Freund war ursprünglich Italiener gewesen. Die Bühnenarbeiter hatten einen riesigen Kranz gestiftet, und der Sprecher der OK City Theater-Gewerkschaft hielt eine kurze, dennoch sehr bewegende Rede. Doch der Hauptredner sollte Roßmann sein. Ihm versagten die Nerven. Er kam leider nur bis zu den Tagen im Hotel Occidental, dann brach er weinend ab. Er konnte nicht mehr, ihn überwältigte die Trauer. Fanny führte ihn, die Gute, vom Rednerpult weg, nahm ihn tröstend in den Arm. Das tat unendlich gut. Er wollte eigentlich noch seine Trompete erklingen lassen, für den Verstorbenen. Doch er ließ es sein.

Es war genau diese Umarmung, nach der er sich ja letztlich so sehr gesehnt hatte, die ihn endgültig davon überzeugte, dass sein Engel Fanny die richtige Frau an der Seite eines künftigen großen Schauspielers sein würde. Glücklich und traurig, alles im gleichen Augenblick, das erfuhr Karl hier, abseits der bewegten Menge. Als der Sarg in Hausdachform, weiß, und mit wunderschönen Messing-Griffen ausgestattet, schließlich in den Boden gelassen wurde, stand Karl Hand in Hand mit Fanny dort, lauschte den Klängen des Dudelsacks, gedachte des toten Freundes, und weinte hemmungslos. Ab und an fühlte er Fannys Hand. Sie drückte die seine, so, als sei das unsichtbare Band zwischen ihnen untrennbar. Karl drückte zart zurück. Jedoch sah er Fanny nicht an. Sein Herz schlug so schnell wie selten zuvor. Ja, er war jetzt doch sehr verliebt. Und er verbot sich gleichzeitig dieses Aufschluchzen des Herzens (da doch eben erst der Sarg seines Freundes der Erde überantwortet worden war, es war noch keine Viertelstunde seither vergangen), denn heute war doch die Zeit des Trauerns, nicht aber die Zeit der Freude und der sich zufliegenden Herzen. Dennoch ließ er die kleine Hand der Fanny nicht los. Noch bis kurz vor Beendigung der Rede des letzten Vorarbeiters, unter dessen Kommando Giacomo gestanden, und unter dem er ja leider auch den Tod gefunden hatte, hielt er die zarte Hand der hübschen Fanny. Nun wurde noch ein gewaltiger Kranz der Intendanz gebracht, die ebenfalls zwei Vertreter abgestellt hatte, um den jungen Mann entsprechend zu ehren. Diese Wertschätzung hätte Giacomo B. sicher sehr gefallen, dem eine gewisse, allerdings recht harmlose Eitelkeit nachgesagt wurde. Sie bezog sich im Wesentlichen auf die pechschwarze Haarpracht, die zeit seines Lebens kaum zu bändigen gewesen war.

Wieder in die Spur zurück zu finden, wieder dem Alltag die Stirn zu bieten, nach all dem, das fiel Karl sehr schwer. Auch hatte er seit der Beerdigungs-Zeremonie kein Wort von Fanny vernommen. Er selbst hatte sich nicht getraut, sie aufzusuchen. In aller Unschuld hatte er ihr, in tausend Variationen, seine Liebe gestanden, jedoch nur in seiner Phantasie. Realiter schien ihm das Unterfangen ein unmögliches zu sein, er scheute sich, überhaupt einen Anlauf zu nehmen. Wie würde sie reagieren? Ist es für sie nur ein Akt der Menschlichkeit gewesen, etwa gute 25 Minuten lang seine Hand, in allen Ehren, gehalten zu haben? Dies war ja auch bemerkt worden, von sehr vielen Anwesenden. Doch keiner fragte nach, und auch Fanny ließ sich nicht mehr blicken.

Das war nun fast 3 Wochen her. Und gerade jetzt hatte Karl auch ganz andere, viel größere Probleme. Er sollte den Romeo spielen. Zum Abschluss der Akademiezeit, endlich - den Romeo! Das größte Projekt, gleich das Königs-Projekt. Er fühlte es tief in sich: Er würde dieser großen Aufgabe gewachsen sein! Er würde es Madame Blip Wind beweisen, ihr und ganz Amerika! Zuvorderst Oklahoma City.

Nur wenige Nächte danach hatte Karl erneut diesen fürchterlich real wirkenden, so deprimierenden Traum vom Greis, der seinen noch lebenden Hund im Garten zu begraben suchte. Wieder warf es Roßmann in seinen Kissen hin und her, diesen Albtraum empfand er als einen Fingerzeig. Am Morgen danach, und Karl war völlig verschwitzt und desorientiert erwacht, erinnerte er den Eintrag aus dem „Buch der Träume“: Unglück für einen Freund! Nun wusste er es: Das Schicksal hatte seinen Freund Giacomo auserwählt, die Erde deutlich früher als gedacht zu verlassen. Es gab klare Signale, die darauf hingedeutet hatten. Diese Zeichen auch zu erkennen, das ist die Aufgabe des Menschen. Hinweise gibt es derer viele. Doch meist sind die Menschen blind, so sie auf den Wink des Schicksals stoßen. Entweder wollen sie die Zeichen nicht erkennen, vor allem dann, wenn diese strikt negativ ausgelegt werden könnten, oder sie wiegeln ab: Das ist doch der reine Zufall, das hat weiter nichts zu bedeuten. Gib gut auf deine Träume acht, sagte Karl zu sich selbst, sie vermitteln in der Regel klare Tendenzen, mitunter auch deutliche Zeichen künftiger Ereignisse.

Dem Akademie-Abschluss-Mammut-Projekt, Romeo und Julia, fieberten alle mit heißer Stirn entgegen. Ein geschäftiges Summen und Brummen durchfuhr diese altehrwürdigen Hallen und Gemäuer des Natur-Theaters von Oklahoma, denn für dies besondere Event sollte, wie alle

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