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konnte. Zwar hatte man das Stück der modernen Sprache angepasst, jedenfalls annähernd, aber für einen Zuschauer mit Schul-Englisch-Kenntnissen war das eine sehr große Herausforderung.
2.400 km betrug die Entfernung von New York nach Oklahoma City. Karl konnte die 5 Besucher nicht in New York vom Hafen abholen. Er steckte mitten in den General- Proben für das Stück. Niemand hätte es verstanden, wenn er jetzt nach New York gereist wäre. Er hatte brieflich um Verständnis geworben. Letztlich kam es ihm so vor, dass sowohl die Eltern, als auch Johanna, dieses Verständnis aufbrachten. In solch einer wichtigen Phase, kurz vor der Uraufführung, könne man das auch ganz gut nachvollziehen, schrieb die Mutter. Das war hilfreich, denn Karl hatte sich ein schlechtes Gewissen eingeredet. Wie konnte man nur verlangen, dass nun alle nach Amerika kommen, um ihn auf der Bühne zu bewundern, wenn er noch nicht einmal anwesend war, um sie entsprechend in Empfang zu nehmen? Er half bei der Suche nach der Zug-Verbindung, er organisierte die komplette Rückreise, ging auch zur Pension und zahlte bereits im Voraus alle Kosten für die insgesamt vierzehn Tage Aufenthalt seiner fünf Besucher. Die Aufregung hätte kaum größer sein können. An jedem Tag versuchte Karl sich auszurechnen, wo das Schiff sich gerade befand. Er musste sich jedoch konzentrieren. Oklahoma City sollte den besten Romeo dieses noch jungen Jahrhunderts zu sehen bekommen.
Azimuth Wind teilte am Tag der Ankunft der Eltern, Johanna und Jakob plus Franz Kummerbund im Schlepp, mit, dass der größte Mäzen des Natur-Theaters, auch ein sehr persönlicher Freund ihrer „Wenigkeit“ (das sagte sie tatsächlich, obschon jeder wusste, dass sie eindeutig narzisstisch veranlagt war), bei der Gala-Vorstellung am kommenden Samstag um 20 Uhr anwesend sein würde. Sie bitte sich aus, gerade diesen Mäzen, „der bereits viele Millionen in das Projekt Natur-Theater hineingesteckt habe“, ganz und gar freundlich und ausgesucht höflich zu behandeln. Man möge ihm alle Fragen beantworten und seinen Wissensdurst in jeglicher Hinsicht stillen. Seinen Namen nannte Madame Wind nicht, aber sie sagte, dass es ein schwerreicher Mann mit großem Einfluss sei, der vielleicht sogar als Gouverneur für den Staat New York infrage kommen könnte, schon bei der nächsten Wahl. Genau dieser Mäzen habe ja auch, man erinnere sich, dem Institut die wunderschöne Dionysos-Statue übereignet.
Das Wiedersehen, die Tränen flossen reichlich, war so herzlich und ergreifend, wie es sich Karl ausgemalt hatte. Keiner machte ihm Vorwürfe. Man lobte sein Aussehen, er war zu einem stattlichen Herrn heran gereift, man erfreute sich an seiner Art, dem Stil, der vornehmen Sprache, die der Vater „weltmännisch“ nannte, Karl musste dabei schmunzeln, und man spaßte und scherzte gemeinsam beim Mahl in einem wirklich guten Restaurant in Downtown OK City. Karl herzte und küsste Jakob, der gar nicht so recht wusste, wie ihm geschah. Dieser für ihn nahezu fremde Mann, sein Vater? Der 11jährige scheint befangen, ein wenig fremdelnd, meinte die Mutter. Das aber wird sich bald geben, so auch Johanna. Immerhin sei sein Vater ja bald ein großer Mime, der auf einer gewaltigen Bühne stehen würde und die Lorbeeren einheimste für die hohe Kunst der schauspielerischen Darstellung einer großen Figur von William Shakespeare. Der Freund, Franz, hatte ihn sehr heftig umhalst. „Eine Ewigkeit später sehen wir uns in Amerika wieder“, freute sich Kummerbund, „es ist irgendwie gar nicht so recht zu fassen, Karl. Hier stehe ich, in Oklahoma City, und begegne dir, dem alten Freund, den ich zuletzt in Prag gesehen habe, und dem ich für die Reise nach Amerika viel Glück wünschte, damals. Ich weiß noch, wie du mit deinem bescheidenen Koffer in der Hand, etwas verloren, die Fahrt nach Hamburg, zum Schiff, angetreten hast. Ich hatte damals gar kein gutes Gefühl, dich betreffend, sei mir nicht gram. Aber du hast dich durchgebissen, ein kleiner Fisch in einem Haifischbecken, du hast nicht nur die Zeiten überlebt, nein, du hast sie sogar gemeistert. Ich bin sehr stolz auf dich, Karl.“
Roßmann standen die Tränen in den Augen. Er wollte die Hand seines Jungen gar nicht mehr loslassen. Immer wieder drückte er sie sacht, der Knabe sah zu seinem Vater auf und wunderte sich, um wie viel jünger der doch war, betrachtete er seine Mutter Johanna. Aber natürlich sagte er nichts. Überhaupt sprach Jakob nur wenig. Seine Scheu konnte er in so kurzer Zeit kaum ablegen. Zumal die Eindrücke, dieses große Amerika, sehr nachhaltig auf den kleinen Mann einwirkten. O ja, seine kleinen Kameraden in der Schule würden ihn ganz gewiss beneiden. Für längere Zeit würde Jakob direkt im Mittelpunkt stehen. Und das freute ihn nicht gerade wenig.
Man ging aus, Karl zeigte mit einigem Stolz auch nahezu jeden Winkel des Theaters, erklärte seine früheren Aufgaben, und ließ, in einem geeigneten Augenblick, auch die Vorhang-Maschinerie arbeiten. Sanft glitt der gewaltige Vorhang zurück, gab ihn frei, den Blick, auf die pompöse Doppel-Bühne, dieses Spektakel der besonderen Art. Da standen allen die Münder offen, und Jakob konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Da war es, das erste Wunder seines Lebens. Er wird diesen Eindruck nie wieder, davon war der Junge überzeugt, vergessen können. Diese Bühne, dieses Theater, und der Vater war ein Teil der riesigen Maschinerie, ein Teil des imposanten Ganzen. Jetzt glänzten seine jungen Augen, wenn er den Vater betrachtete. Jetzt wurde der Griff gleichsam fester, wenn seine Hand in der des Vaters lag, nun schaute der Knabe sehr viel öfter auf, in das Gesicht des Vaters, der ihm glücklich zulächelte. Johanna bemerkte es sofort. Karl hatte das Herz des gemeinsamen Kindes gewonnen. Nicht auszudenken, wenn der Sohn den Vater abgelehnt hätte. Aber dadurch, dass sie in all den Jahren nicht einmal schlecht von Karl gesprochen hatte, blieb der Vater, leicht schemenhaft, aber doch durchaus angenehm, im Geiste des kleinen Knaben stecken und kleben. Natürlich hatte Johanna ihm Fotos gezeigt. Aber das war ja nichts gegen das, was Jakob dann zu sehen bekam. Karl Roßmann im Kostüm, den Romeo über alle Maßen vortrefflich darstellend. Der Sohn selbst würde bei der Premiere natürlich nicht anwesend sein. Aber während der Führung durch das Theater, beim Fundus im Keller angekommen, hatte es sich Roßmann nicht verkneifen können, in sein