Fortsetzung und Beendigung von Franz Kafkas Romanfragment "Amerika" - Page 18

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3 Jahre, die große Hauptbühne zur Verfügung gestellt werden. Die Generalintendanz verbeugte sich mit dieser großen Geste vor Madame Wind, die regelmäßig für den Nachwuchs sorgte. Und manch Talent hatte bereits die „ganz große Bühne“ erklommen, nach dem Abschluss bei Blip. Natürlich profitierte das Natur-Theater an erster Stelle, nach entsprechender Auswahl durch die Akademie-Chefin, nur wenige Talente wanderten an andere Bühnen im Land ab. Die Empfehlung der begnadeten Schauspielerin: Den Romeo unbedingt übernehmen und auch die Julia ins Stamm-Ensemble aufzunehmen. Beide hätten das Zeug zur langfristigen Karriere im Schauspiel-Gewerbe. Die General-Intendanz war deshalb auch vor Ort, als die Diplome vergeben wurden. Es war ein erhebender, schöner, besonderer Augenblick, da die „Kinderlein der Madame Wind“ einzeln aus der Reihe tretend nach vorne kamen, um das begehrte Dokument überreicht zu bekommen. In jedem der Fälle hatte die Akademie-Leiterin ein freundliches Wort, ein Lob oder eine kleine Ansprache aufzubieten. Die meisten gingen denn auch mit Stolz im Blick, und mit gerötetem Gesicht seitlich ab. Später gab es ein Gruppenfoto mit den Gewinnern, wie sich Blip ausdrückte: „Ihr seid alle Gewinner! Es waren großartige 6 Semester - so viele Talente... Ich bin überwältigt. Selten hat mir eine Studienzeit solch großes Pläsier bereitet. Vor allem möchte ich den Karl Roßmann loben. Er hat ohne Zweifel den größten Fortschritt innerhalb dieser 3 Jahre gemacht. Anfänglich hätte ich nicht gedacht, dass daraus solch ein Charakter-Schauspieler werden könnte. Doch durch deinen Fleiß, deine Beharrlichkeit und deinen Mut hast du, Roßmann, aufgezeigt, wie es gehen kann, wenn man nur an sich glaubt und niemals aufgibt. Eine klare, schöne Stimme, kein Nuscheln mehr, fast kein Akzent, du, mein Roßmann, hast mich sehr, sehr stolz gemacht!“ Und sie schüttelte, nach amerikanischer Art, sehr lange Karls Hände, flüsterte dabei: „Mein Meisterschüler!“ Karl erglühte, musste sich anstrengen, jetzt nur nicht zu weinen vor lauter Glück. Dankbar sah er Blip Wind an. Dieser Frau hatte er alles zu verdanken. Hernach wurde die neue Julia hoch gelobt und ebenfalls mit dem Diplom versehen, in beiden Fällen (es sind auch die einzigen in den Jahren des Studiums zwischen 1911 - 1913 gewesen) ein Master-Diplom summa cum laude, wenngleich dieser Zusatz lediglich inoffizieller Natur sein konnte. Aber genau dieser Zusatz half erstaunlich schnell in den Sattel eines edlen Rosses, das auf den Namen Erfolg hörte. Dionysos stand, als Nachbildung der berühmten römischen Statue, wohl entstanden zwischen 117 und 138 n. d. Z., ausgestellt im Museo Nazionale Romano, Palazzo Massimo Alle Terme, im Wachsausschmelzverfahren hergestellt, neben den Feierlichkeiten und bewachte die Zeremonie, quasi als oberster Dienstherr. General-Intendanz und ein nicht näher bezeichneter Mäzen hatten die Figur gestiftet, und sie wurde Madame Wind erstmals für dieses Diplomüberreichungs-Ritual zur Verfügung gestellt. Stolz ließ sich die Instituts-Leiterin daneben ablichten.

Karl Roßmann war jetzt ein echter, ausgebildeter, amerikanischer Schauspieler mit einem summa cum laude-Diploma. Ihm stand die Welt des Theaters offen. Nicht lange nach dem letzten Tag an der Akademie kam das erste Angebot vom Natur-Theater, ihn fest zu verpflichten, zunächst, wie Karl ja schon wusste, fürs Tournee- Ensemble zu engagieren, auf schließlich 2 Jahre fix. Nach dieser Zeit der Bewährung sollte es dann in Oklahoma City für ihn auf die große Bühne gehen. Hier würde sich Karl zu bewähren haben, hier würde sich zeigen, ob er auch wirklich das Zeug zum „großen Mimen“ hatte, oder ob er in der 2. Reihe stehen würde, den Stars zusehend, ihnen zuarbeitend, als Butler, Portier, Bauer oder Arbeiter sein Auskommen fristend. Wie es Blip Wind gern sagte: „In der zweiten Reihe dahin vegetierend, ohne jemals eine Chance zu haben, die tragende Rolle zu spielen.“

Karl hatte seiner Intendanz gleich nach dem erfolgreichen Abschluss an der Wind- Akademie die Kündigung als Vorarbeiter im technischen Bereich überbracht. Seine Vorgesetzten staunten nicht schlecht, als er ihnen offenbarte, dass er ein nun neues Kapitel aufzuschlagen gedenke. Er werde seiner Bestimmung folgen und ein Actor werden/sein. Die Brigade verlor einen guten Arbeiter, die Intendanz erhielt jetzt den hervorragend ausgebildeten, neuen Star am Schauspieler-Himmel. So sprach es der General-Intendant aus. „Legen Sie als Romeo Ehre ein, und Sie werden sehr sicher einen guten Vertrag von uns erhalten, Herr Roßmann. Seien Sie uns als Spitzenkraft im hart umkämpften Jahrmarkt der Eitelkeiten sehr herzlich willkommen. Wann diese Karriere startet, liegt ganz bei Ihnen. 2 Jahre Wander-Theater, das ist die ganz harte Schule, mein junger Freund, danach geht es zurück nach OK City, in die Heimat, auf die große Bühne daheim. Na, was meinen Sie? Ist das ein Angebot?“

Und wieder wurden Hände geschüttelt, extrem lange, und wieder erglühte Karl vor Stolz. Angenommen... Wie gern er dieses Wort hörte. Sofort schrieb er lange und quasi mit glühender Nadel gestrickte Briefe. Er schrieb Franz Kummerbund zuerst, hernach den Eltern und dann Johanna und Jakob. Alle lud er ein, nach Oklahoma zu kommen, ihn auf der gewaltigen Bühne des Natur-Theaters zu sehen, als „Romeo“. Dazu wolle er die Hälfte der Kosten einer Überfahrt mit dem Schiff beitragen, schrieb er heiteren Gemütes. Vom Tode seines Freundes Giacomo schrieb Karl keine Zeile. Jetzt galt es, positiv auf das weitere Leben zu blicken. Jetzt galt es, optimistisch in die Zukunft zu sehen. Kein Blick zurück, kein Gedanke an Tod und Trauer, jetzt ist es endlich soweit, sprach Roßmann zu sich selbst, jetzt steht dir endlich die Welt offen!

Der Generalintendant hatte ihm versichert, dass die Diplom-Auszeichnung cum laude quasi der „Türöffner“ gewesen sei. Denn noch nie zuvor in der Historie des Theaters habe es so etwas schon einmal gegeben: Ein Bühnenwerker wird zum Schauspieler. Azimuth Wind habe ihm, dem Intendanten, versichert, dass sie bislang lediglich neun mal diese besondere Auszeichnung verliehen habe. Und jeder dieser, bislang, hoch gelobten Akademie-Abgänger hätte es im Schauspielberuf zu hohen Ehren gebracht. Das „Institut für darstellende Kunst Azimuth Wind“ freue sich, sogar einen Preisträger hervor gebracht zu haben. Und der Intendant nannte einen bekannten Namen, sogar Karl kannte ihn auf Anhieb. „Diese Fakultät genießt einen exzellenten Ruf, daher war es gar keine Frage, lieber Roßmann, dass wir Sie und Jenna Lockhart [Cléanthis und Julia] sehr gern für unser Tournee-Ensemble übernommen haben. Später möchte ich Sie aber unbedingt einmal

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