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und fragte ihn, warum er denn unbedingt meinen Personalausweis sehen will.
„Sie haben ein Exponat berührt“, war seine knappe Antwort.
„Ja. Und was hat das mit meinem Personalausweis zu tun?“
„Herr? Wie darf ich Sie ansprechen?“, fragte er gereizt, aber noch ruhig.
„Mit Sie, ist schon in Ordnung.“
Sein Mund blieb relativ lange offen. Irgendwann begann er wieder zu sprechen. Jetzt kommt bestimmt wieder der Satz, den ich schon auswendig kannte und ich überlegte kurz, ob ich ihn mit Aufsage sollte. Doch es kam anders.
„Sie haben ein Exponat berührt und vielleicht beschädigt. Darum muss ich ihre Personalien aufnehmen. Wenn Sie sich nicht freiwillig ausweisen, bin ich gezwungen die Kollegen von der Polizei zu rufen.“
Der Text war mir neu. Mir machte das Spiel inzwischen Spaß und die Blässe meiner Begleiterin blieb konstant.
„Herr“, seinen Namen hatte ich mir nicht gemerkt, „Sie unterstellen mir, dass ich das Exponat beschädigt habe. Das ist doch bestimmt viel Wert, so ein großes Kunstwerk.“
„Ich unterstelle Ihnen gar nichts. Sie haben es berührt und vielleicht dabei beschädigt.“
„Wenn ich es nicht beschädigt habe, brauchen Sie auch nicht meine Personalien.“
„Sie haben es aber berührt.“
Da hatte er Recht.
Der Sicherheitschef guckte mich mit ernsten Mine und zusammengekniffenen Augenbrauen an.
Ich musste mir erst einmal Klarheit verschaffen. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann möchten Sie meinen Personalausweis, weil ich eventuell bei meiner Berührung das Bild beschädigt habe?“
„Richtig.“
„Wenn ich es aber nicht beschädigt habe, dann brauchen Sie auch nicht meinen Personalausweis, richtig?“ Ich wartete nicht auf eine Antwort sondern sprach zügig weiter. „Wer bestimmt denn, ob ich das Bild beschädigt habe oder nicht?“
„Der Künstler oder ein Gutachter.“
„Ja dann lassen Sie den Künstler doch kommen, ich würde mich freuen ihn persönlich kennen zu lernen.“ Meine Freude war echt.
„Der ist zur Zeit nicht anwesend. Der kommt die Tage.“
„Ich habe einen Vorschlag“, sagte ich zu dem inzwischen fast unhöflichen Leiter. „Ich gebe dem Künstler meinen Personalausweis.“
Er schüttelte den Kopf und guckte auf den Boden. Mein Vorschlag gefiel ihm wohl nicht. Doch sein gesenkter Blick brachte mich auf eine Idee.
„Es geht um ein teures Kunstwerk und Sie unterstellen mir, dass ich es eventuell beschädigt habe.“ Ich sprach nicht weiter.
„Ja und nein. Es ist sehr wertvoll. Und vielleicht haben Sie es beschädigt.“
„Ich verlange, dass das Kunstwerk sofort gesichert und der Zugang abgesperrt wird.“ Ich fand meinen Einfall genial. Das musste an der Energie der Farben liegen.
„Wie soll das denn gehen. Heute ist die Eröffnungsfeier der Ausstellung. Sie sehen doch, wie viele Menschen hier durch den Raum gehen. Da kann nichts abgesperrt werden.“ Sein Kopf wurde rot und sein Stimme lauter.
Ich glaubte auch ein Zucken seiner Lider erkannt zu haben.
Inzwischen interessierten sich immer mehr Besucher für unsere Unterhaltung. Vielleicht hielten sie unsere Gespräche für das eigentliche Kunstwerk.
Energievoll wie die Farben des Kunstwerks, war auch ich mittlerweile und drohte dem älteren Herren, die Polizei zu rufen. Er schien mein Anliegen nicht zu verstehen. Als ich ihn bat, mit seinem Handy für mich die Polizei zu rufen, wurde er plötzlich so blass wie meine Begleiterin. Er wurde auch ganz stumm. Seine Lippen presste er zusammen und seine Augen wurden zu Schlitzen. Das hatte er wohl von seinem asiatischen Mitarbeiter gelernt, der verschwand, als der Hüne kam. Dieser stand immer noch schräg hinter seinem Chef, doch seine Bass-Stimme gab keinen Ton mehr von sich.
Ich wollte langsam weiter und noch andere Kunstwerk betrachten und unterbrach den Leiter in seiner Meditation. „Also was jetzt? Rufen Sie nun die Polizei oder soll ich die Polizei rufen. Dann müssten Sie mir aber Ihr Diensthandy leihen, denn ich habe mein Smartphone nicht dabei.“
Er blieb stumm.
Ich guckte den Hünen freundlich an; vielleicht würde er mir ja sein Diensthandy leihen. Aber der schien auch mit offenen Augen zu meditieren.
Also wandte ich mich an meine Begleiterin, um sie zu bitten, mir ihr Smartphone zu geben.
Genau in diesem Moment beendete der ältere Herr seine Meditation. Er hatte wohl schlecht meditiert, sein Gesicht bekam wieder diese rote Farbe und seine Augen schienen Blitze auf mich abzufeuern. Seine Stimme war laut und unfreundlich, als er mir mitteilte, dass das wohl das Unverschämteste sei, was er in seinem Beruf erlebt hatte. Er werde jetzt die Polizei rufen und dafür sorgen, dass man mich festnimmt. Sehr hektisch nahm er sein Diensthandy aus der Jackentasche und drückt eine Nummer.
Er sprach wirklich mit er Polizei und erzählte etwas von Beschädigung eines Kunstwerks.
Ich weiß nicht mehr, wie ich auf diese Idee kam, aber ganz plötzlich schrie ich laut, „alle runter, alle runter, gleich knallt 's!“
Ernst genommen hat mich niemand, was wohl auch daran lag, dass es in dem Raum sehr laut war und viele Besucher inzwischen fest davon ausgingen, dass wir das eigentliche Kunstwerk sind. Nur der Leiter des Sicherheitsdienstes reagierte etwas unkontrolliert und rief „ja, ja, ja“, in sein Diensthandy.
„Die sind gleich hier“, war alles was er sagte, während er etwas zittrig das Diensthandy wieder in seine Jackentasche steckte.
Ich nickte nur kurz und wandte mich meiner Begleiterin zu.
Es dauerte nicht lange und zwei nette Personen in modernen blau-grauer Polizeiuniform kamen auf uns zu. Der Leiter drehte sich sofort wild gestikulierend zu den Beamten um. Es waren ganz nette Beamte, ein kräftiger junger Herr mit einem modernen Haarschnitt und eine junge Dame mit zu einem Pferdeschwanz zusammen gebundenen blonden Haar. Sie hatte ein süßes Lächeln und ich hoffte, sie würde mich befragen. Ich hatte Glück. Sie stellte sich als Hauptkommissarin vor. Ihren Namen habe ich nicht behalten, ich weiß nur, dass sie ihren Vornamen nicht nannte. Ganz ruhig fragte sie mich um was es geht und ich erklärte ihr die Situation. Nett wies ich sie darauf hin, dass es hier um einen sechsstelligen Betrag geht und sie verpflichtet ist, das Kunstwerk in ihrer Asservatenkammer zu sichern. Die nette Polizistin wollte meinen Personalausweis sehen und hilfsbereit gab ich ihr sofort das Dokument. Sie ging damit zu ihrem Kollegen. Die Beiden beratschlagten sich und sprachen in ihre Mobilfunkgeräte. Ich staunte, dass die Polizei noch immer so unhandliche Geräte hat, während ein Museums-Sicherheitsdienst schon die sehr fortschrittliche Methode mit der hohlen Hand nutzte. Nebenbei konnte ich beobachten, wie der Leiter des Museum-Sicherheitsdienstes immer unruhiger wurde und seine Kopffarbe immer mehr ins rot abglitt.
Die beiden Beamten hatte viel zu besprechen und zu funken. Mir wurde langsam langweilig. Weggehen konnte ich nicht, die nette Ordnungshüterin hatte noch meinen Ausweis. Also sorgte ich für meine Begleiterin, die zusehends nervöser wurde. „Reg' dich nicht auf. Wir gehen, wenn die Polizistin mir den Ausweis wiedergegeben hat. Ich möchte noch andere Exponate mit dir angucken. Die schließen hoffentlich heute bei der Eröffnungsfeier nicht so früh.“
Einige Besuche setzten ihren Rundgang fort, wahrscheinlich dachte sie, die Comedy-Einlage zur Eröffnung der Ausstellung, sei beendet. Ich sah den Sicherheits-Hünen leider auch nicht mehr; jetzt hätte ich Zeit mit ihm über seine neue Funktechnik zu sprechen. Den Sicherheits-Chef wollte ich nicht ansprechen, der war mir zu unsympathisch.
Zu meiner Überraschung kamen noch zwei Polizisten auf uns zu. Leider ohne nette Dame. Diese Herren Polizisten sahen griesgrämig aus. Sie kamen direkt auf mich zu und stellten sich, ohne mich zu begrüßen, direkt vor das Kunstwerk. Wieder blieben Besucher tuschelnd stehen. Ich vermutete, dass sie davon ausgingen, dass die Polizisten, die wie Wachsfiguren vor dem großen Kunstwerk standen, ein Teil des Kunstwerks sind.
Es kam Unruhe auf. Ich sah, wie eine große Hebebühne herangeschoben wurde und der Leiter des Sicherheitsdienstes zusammen mit den netten Polizisten die Besucher aufforderten, den Raum zu verlassen. Manche Besucher kamen nur mürrisch der Aufforderung nach und versuchten, sich so lange wie möglich vor dem Rauswurf zu drücken.
Meine nervöse Begleiterin und ich wurden nicht aufgefordert, den Raum zu verlassen. Gerne wären wir auch gegangen, doch ich hatte meinen Personalausweis noch nicht zurück.
Die Hebebühne wurde vor das große Kunstwerk geschoben und zwei Museumsmitarbeiter fuhren hoch und versuchten das Kunstwerk abzuhängen. Während die anwesenden Sicherheitskräfte, meine Begleiterin und ich der Demontage zusahen, wurde es am breiten Eingang zu diesem Ausstellungsraum sehr unruhig und laut.
Wie auf Kommando drehten wir uns alle um. Menschen kamen in den Raum gerannt, pressen sich an die Wände, andere hockten sich hin und begannen zu schreien. Lautsprecher waren zu hören, aber nicht zu verstehen und irgendwo knallte es laut. Besucher fingen an zu schreien und einige ganz engagierte warfen sich sogar auf den Boden. Der Lärm im Museum wurde unerträglich. Wenn das eine Show zur Eröffnungsfeier der Ausstellung sein sollte, haben die aber deutlich übertrieben, dachte ich noch.
Doch schon kamen Menschen, völlig in schwarz gekleidet, in eine Art Sportanzug mit vielen Taschen und mit Gesichtsmaske auf uns zu gestürmt. Ich konnte noch gerade meine Begleiterin schnappen und uns neben die Hebebühne stellen. Dann hockten wir uns hin und sahen, wie die schwarzen Menschen die Hebebühne stürmten. Wieselflink enterten sie die Plattform und warfen die beiden Museumsmitarbeiter zu Boden, genau in dem Moment, als diese das Kunstwerk gelöst hatte.
Mit einem Knall, als hätte ein Blitz direkt neben mir eingeschlagen landete das Kunstwerk auf dem Museumsboden. Grollend wie ein nahes Gewitter zerbrach es in unzählige Kunstwerkstücke, die wie Geschosse durch den Raum flogen.
Plötzlich war Stille. Kein Mucks war zu hören. Selbst die Menschen mit der Gesichtsmaske waren still. Jetzt erkannte ich, dass auf ihren Rücken die Buchstaben SEK eingestickt war. Es waren diese SEK-Menschen, die als Erste anfingen Befehle zu schreien. Verstanden habe ich nichts, ich sah nur, wie die beiden Museumsmitarbeiter von der Hebebühne herunter gebracht wurden und der unsympathische Sicherheits-Chef sich auf den Boden hockte und seine Gesicht in seinen Händen versteckte.
Die SEK-Menschen liefen mit den zwei Mitarbeitern hektisch aus dem Raum. Mir viel auf, dass sie ihre Personalausweise nicht abgegeben hatten.
Egal. Die nette Polizistin sah jetzt etwas gestresst aus, und ich habe auch kleine Schweißflecke auf Ihrem schönen Uniformhemd gesehen, genau dort, wo ich bei Frauen oft hingucke. Sie gab mir kommentarlos meinen Ausweis zurück.
Ich nahm meine leicht zitternde Begleitung an die Hand und verließ zügig diesen Ausstellungsraum. In den Gängen des Museums wurden die Besucher, und wir dann auch, von der Polizei mit Unterstützung der Menschen vom SEK auf den Ausgang zu gedrängt. Ich vermutete, dass die Ausstellungseröffnungsfeier zu Ende war.
Leider haben wir die Kunststücke im letzten Raum der Ausstellung nicht sehen können. Schade.
geschrieben im April 2017
In Wirklichkeit gab ich dem asiatisch aussehenden Mitarbeiter meinen Personalausweis.
Kommentare
Sehr gerne gelesen. Großes Kino !
HG Olaf
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