Seiten
Nur mir. Immer, mit allem hierher kommen. Du wolltest ja hierher gehören. – Wirst du es bedingungslos und gehorsam tun?«
Ihre Augen waren groß und dankerfüllt auf ihn gerichtet; er konnte es an ihrem Gesicht sehen, wie die Gedanken in ihr vergebens nach Ausdruck rangen, aber er hatte dennoch keine Ahnung davon, mit welch einem innern Jubel ein neues Glück ihr aufging. Sie wollte es ihm so gern sagen, aber in ihrem wortarmen Gefühl verstummte sie statt dessen gänzlich, und plötzlich, als müßte sie sich anstatt des Wortes wenigstens durch die Gebärde helfen, glitt sie nieder vom Stuhl und kniete bei Erik hin, – wie auf einen ihr nun zugewiesenen Platz, erwartungsvoll, mit einem Blick wie ein Kind um Weihnachten.
Sie fühlte sich so glücklich. Zu Hause. Geborgen. Von hier aus mußte alles Gute kommen.
Er strich ihr leise über das Haar. »Also höre unsern Vertrag zu Ende,« sagte er in dem ruhigen Ton, unter dem sie ganz still wurde und lauschte, »wenn du mir deine Geschichten schenkst, dann schenke ich dir auch etwas. Du sollst, soweit es an mir liegt, nicht in deiner eignen Phantasie stecken bleiben, sondern mit klarem Blick so weit schweifen lernen, wie das Leben – das wirkliche, herrliche Leben – reicht. Und wenn es auch anfangs Anstrengung von dir verlangen sollte, meinst du nicht, daß ich dich damit etwas Schöneres lehren werde, als du dir bisher geträumt und zusammengedichtet hast?«
»Ach ja!« rief sie sehnsüchtig, als strecke sie verlangend beide Hände nach etwas Erwartetem aus, – »das ist sie ja: von allen die allerschönste Märchengeschichte!«
Ihm fiel der Ausdruck auf, weil sie ihn schon im Schulhof den Mädchen gegenüber gebraucht hatte.
»Grade das sagtest du ja, als du heute morgen den Mädchen erklärtest, daß du etwas Neues vor hättest. Was war es denn?«
Zu seinem Erstaunen fuhr Ruth zusammen und senkte den Kopf.
Erik sah betroffen aus.
»Was war es?« fragte er streng.
»Ich kann es nicht sagen,« versicherte sie scheu, »bitte, bitte nicht.«
Er faßte ihre Hand hart im Gelenk, so daß es sie schmerzte.
»Wenn es etwas ist, was dir so schwer fällt, auszusprechen, dann ist es um so notwendiger, daß du es sagst. Ich muß es wissen – jetzt gleich, Ruth.«
Sie versuchte, die schmerzende Hand aus der seinen zu ziehen, und als es ihr nicht gelang, senkte sie das Gesicht noch tiefer, so daß es sich an seinem Rockärmel fast versteckte.
Er bog ihren Kopf zurück und sah ihr in das Gesicht. Es war über und über in Glut getaucht.
»Es hilft nichts, sich zu verstecken,« sagte er unerwartet sanft, »du wirst mir immer nachgeben müssen, mein Kind. Mach es kurz!«
Ihre Hände schlangen sich nervös auf seinen Knien ineinander, dann hob sie sie mit einer bittenden Gebärde zu ihm auf.
»Es war nur – ich hatte alle diese Geschichten auf einmal so satt; alles stockte auf einmal, – nichts mocht' ich mir weiter ausdenken. So schön ich mir's auch ausdachte, mit so vielen Menschen drin ich mir's auch ausdachte, – ich blieb immer allein. Die Menschen grüßten und gingen vorüber. Und da – da kam eine solche Sehnsucht, – seit vier Tagen solche Sehnsucht. Ich konnte nicht mehr spielen. Nie mehr.«
»Sehnsucht – wohin?« fragte er halblaut.
»Hierher!« sagte sie mit leiser Stimme und wandte den Kopf hinweg.
Er ließ ihn frei, ließ zu, daß sie ihn wieder an seinem Rockärmel versteckte.
Beide Arme hatte er um sie geschlungen.
II.
Erik saß bei Ruths Onkel und Tante im Empfangssalon, hielt Hut und Handschuhe auf den Knien und blickte nachdenklich darauf nieder, während er dem Gespräch der beiden zuhörte.
»Ich finde, mit deiner Reise stimmt es gut zusammen, Mathilde,« sagte der Onkel jetzt, »denn während du mit Liuba in Wiesbaden bist, ist Ruth grade so ganz unbeaufsichtigt hier. Ich weiß ohne dies nicht, was die Kleine mit den langen Ferien anfangen soll, da in diesem Jahr die meisten Bekannten nicht aufs Land, sondern ins Ausland gehn.«
Erik besaß ein scharfes Auge für die Außenseite von Menschen und wurde stark durch sie beeinflußt. Der Onkel mit seinem aschblonden, schon etwas graugemischten Haar und Bart, mit den schmächtigen Schultern seiner elegant gebauten Gestalt und den frauenhaft feinen Händen gefiel ihm recht gut. In Ton und Haltung erinnerte er ein wenig an Ruth. Dagegen empfand Erik gegen die Tante eine ausgesprochene Antipathie.
»Solche Besuche bei allerlei Bekannten auf dem Lande wären auch jetzt durch aus keine geeignete Beschäftigung für Ruth,« bemerkte er aufblickend; »sie muß zu tun haben, – wirkliche Arbeit und Anstrengung muß sie haben. Selbst körperliche oder geistige Überanstrengung wäre noch besser als Mangel an Beschäftigung. In diesen Jahren braucht man starke Nahrung, und Ruth braucht sie am meisten.«
»Siehst du; was sage ich immer?« fiel die Tante ein, und nickte ihrem Mann bedeutsam zu; »ich sage immer: man läßt sie viel zu viel gewähren. Aber du hast das immer am bequemsten gefunden.«
»Lieber Gott! was wolltest du denn auch mit solchem kleinen Frauenzimmer anfangen,« versetzte der Onkel begütigend, »man konnte sie doch nicht etwa anstellen, Stuben zu scheuern?«
»Nein, weißt du, lieber Louis! das brauchst du nur wirklich nicht vorzuhalten, – es ist ja grade, als ob ich Ruth Dinge verrichten ließe, die sich nur für den niedrigsten Dienstboten schicken!« sagte seine Frau, die scherzende Übertreibung unerbittlich ernst nehmend, »aber sich ein wenig im Häuslichen umsehen, – das hätte Ruth ganz wohl können. Liuba wird ja auch dazu angehalten. Es ist doch nun einmal der Beruf der Frau.«
Erik betrachtete mit schlecht verhehltem Spott in den Augen die große, stattliche Erscheinung der Tante, für deren ganzes Wesen ihm charakteristisch erschien, daß die gewohnten guten Formen des äußern Benehmens einen gewissen Mangel an natürlicher Grazie nicht zu verdecken vermochten.
»Was das anbetrifft,« unterbrach er sie ungeduldig, »so brauchen Sie sich dieser Versäumnis wegen nicht weiter anzuklagen. In einem so von allen Seiten bedienten Hause bleibt die sogenannte ›häusliche Hilfe‹, bestehe sie nun im Blumenbegießen oder Kaffeekochen, im besten Fall eine gleichgültige Spielerei, – im schlimmern Fall weckt sie die Einbildung, man habe etwas geleistet. Dagegen hätt' ich gegen das Stubenscheuern nicht viel einzuwenden.«
Der Onkel lachte erfreut auf. »Jetzt haben Sie es aber mit meiner Frau gründlich verdorben!« drohte er scherzend, »aber ich muß