Ruth - Page 14

Bild von Lou Andreas-Salomé
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bekennen, daß ich gar nicht begreife, warum Sie alle beide so versessen drauf sind, Ruth ins Joch zu spannen. Natürlich hab' ich nicht das geringste gegen den Unterricht, den Sie vorhin als wünschenswert vorschlugen, – im Gegenteil, es freut mich für die Kleine. Aber ich möchte Sie doch bitten, das mit dem Stubenscheuern auch nicht einmal symbolisch auszuführen. Nicht ins Geistige zu übertragen. Machen Sie es nur nicht zu ernsthaft. Ruth ist es so gewohnt, umherzulaufen und in ihrer Faulheit vergnügt zu sein.«

»Ich glaube, Sie täuschen sich,« entgegnete Erik in bestimmtem Ton. »Ruth ist weder faul noch vergnügt. Sie ist es gewohnt, sich in einem selbstgemachten Traumdasein vollständig zu erschöpfen. Sie ist dadurch zum Teil ihrem Alter vorausgeeilt, zum Teil aber auch hinter ihrem Alter zurückgeblieben. Ich habe noch nie eine so ungleiche Entwicklung gesehen. Wenn sie nicht rechtzeitig aufgehalten wird, so läuft Ruth Gefahr, an ihrer Phantasie geistig zu erkranken.«

Der Onkel schüttelte verwundert den Kopf.

»Das ist doch kurios,« sagte er, »ich habe Ruth stets für ein höchst praktisches kleines Frauenzimmer gehalten. Von Phantasie war doch nie eine Spur an ihr zu bemerken. Alles was sie sagt, ist ja so direkt und nüchtern. Und am liebsten sagt sie gar nichts. Sie sollten nur wissen, wie nüchtern sie in allem ist, wo die jungen Mädchen sonst ihre Phantasie sitzen haben! Das hat mir stets so gut gefallen. Da kann Liuba gar nicht mitkommen.«

Seine Frau sah ihn verletzt an.

»Glücklicherweise nicht!« bestätigte sie etwas erregt. »Liuba würde nicht umhergehn wie in einen grauen Sack gekleidet, bloß weil es so am bequemsten ist. Und überhaupt – denken Sie nur, neulich hör ich, wie meine Tochter zu Ruth sagt: ›paß nur auf, wenn du ein Jahr älter bist, dann wirst du schon wissen, was schön und häßlich ist, und wirst vorm Spiegel fragen: Wie gefall' ich ihm?‹ – – Mein Gott, Sie wissen ja, wie junge Mädchen so unter einander reden! Aber was antwortet Ruth drauf? Sie lacht nur, und dann fragt sie erstaunt: ›Warum nicht lieber: wie gefällt er mir?‹«

In diesem Augen blick ging die Tür auf, und Ruth trat ein.

Sie kam aus ihrem Zimmer, ohne eine Ahnung, daß sie Besuch vorfinden würde. Als sie so unerwartet Erik erblickte, fuhr sie zurück und wurde glühend rot.

Diese plötzliche Anwesenheit seiner Person inmitten der Ihrigen, die ihr so fern standen, – die unerwünschte Vermischung eines sie ganz erfüllenden Bildes mit der Umgebung, die sie mied und floh, machte einen ganz seltsamen Eindruck auf sie. Etwa so, wie wenn eine Traumgestalt aus herrlichen Phantasien ins wirkliche Leben niedersteigt, um ein banales Gespräch zu führen; – etwa so, wie wenn man das Intimste, was nicht einmal Worte besitzt, in die Sprache des Pöbels übersetzt findet.

Daß Erik herkommen, daß er sich überhaupt mit ihren Verwandten auseinandersetzen mußte, das fiel ihr nicht im geringsten ein. Er hätte das schon so einrichten müssen, daß es eine Angelegenheit aus einer andern Welt – aus ihrer Welt blieb. Sonst wäre sie lieber noch des Nachts heimlich und auf bloßen Füßen zu ihm gelaufen.

Entsetzlich rot und linkisch sah sie aus, wie sie sich da, verlegen und mit scheuem Gesicht, in die Türspalte drückte. Aber nicht Verlegenheit empfand sie, sondern eine unentwirrbare Mischung von Zorn und Scham, – Scham darüber, daß etwas Zartes, ihr Zugehöriges vor fremden Augen herumgezeigt und besprochen wurde.

»Nun, Ruth, benimmt man sich so?« bemerkte die Tante verweisend, »kannst du nicht näher kommen?«

Da tat sie etwas Wunderliches. Sie hob beide Hände seitlich vor die Augen, und so, mit scheuklappenartig verdecktem Gesicht, ging sie, wie ein Kind, das sich vor fremden Gästen fürchtet, durch das Zimmer bis vor den geschnitzten runden Sofatisch, um den sie saßen.

Der Onkel lachte, seine Frau schüttelte mißbilligend den Kopf und sagte strafend: »Ein so großes Mädchen!«

Erik, der bei Ruths Eintreten den Kopf nach ihr gewandt hatte, blickte sie schweigend und aufmerksam an. Als sie dicht neben ihm stand, hob er die Hand und zog ihr die Hände vom Gesicht fort. »Warum willst du mich heute nicht ansehen, Ruth?« fragte er sie.

Sie antwortete nicht. Noch war sie sehr rot und hielt die Augen zu Boden gesenkt. Dieses »Du«, das er zu ihr sagte, und das sie gestern so dankbar hingerissen hatte, verletzte sie heute beinahe. Es klang ganz anders – hier, an dieser Stelle, – es klang wie die Anrede, die man einem Kinde gegenüber wählt, das unter lauter Erwachsenen dasteht. Ja, sie stand ihm und den andern gegenüber, und sie verhandelten da über sie, als wäre sie verraten und verkauft, – als handelte sich's gar nicht um ihre – ihre eigne, eigenste Angelegenheit.

Durch Erik fühlte sie sich verraten und verkauft.

»Sie lernen ja Ruth von einer liebenswürdigen Seite kennen,« meinte der Onkel, noch immer lächelnd, »aber sie ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Was ist dir nur in die Krone gefahren, Kleine? Verlegen hab' ich dich noch nie gesehen.«

Erik, der sie unverwandt ansah, suchte jetzt die Aufmerksamkeit von ihr abzulenken.

»Wir wollen schon miteinander zurechtkommen,« sagte er mit warmer Stimme und wandte sich an den Onkel mit einer Frage wegen Tag und Stunde des geplanten Unterrichts.

Ruth stand teilnahmslos daneben, ohne die Wechselreden der andern zu beachten. Nur die Röte wich allmählich von ihrem Gesicht und machte einem Ausdruck verhaltener Traurigkeit und Enttäuschung Platz. Sie blickte nicht auf, sondern studierte eingehend das glänzende Muster des Parkettfußbodens.

Da, als Erik schon Miene machte, sich zu verabschieden, hörte sie ihren Onkel sagen: »Wenn es Ihnen also wirklich kein zu großes Opfer ist, so erwarten wir Sie hier nachmittags nach Ihren Schulstunden!«

»Nein!« warf Ruth plötzlich laut dazwischen. Es war, als ob sie auf wachte. Erstaunt und blitzend gingen ihre Augen vom einen zum andern. »Hierher? das ist ja ein Irrtum. Ich werde hinaus kommen.«

Alle sahen sie verwundert an, als sie das so kategorisch, ohne eine Spur von Befangenheit erklärte. Erik aber erhob sich rasch.

»Das ist am Ende wirklich das Bessere,« stimmte er ihr unwillkürlich bei, »und wenn Ruth den Weg nicht scheut und den Abend dann bei uns verbringen will, so wär' es in der Tat während dieser Sommertage vorzuziehen.«

Er sprach nicht mehr mit

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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