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den roten durchsichtigen,« meinte Jonas, »denn die ess' ich am liebsten. Sonst haben wir fast nur Apfelbäume und gewöhnliche Holzbirnen.«
»Die sehen ebenso schön aus,« entgegnete Ruth; »wenn man am Gitter steht, sieht es aus wie ein Märchen. Aber später werden sie so grün und natürlich wie die andern Bäume. Nur kleiner.«
»Das muß so sein,« erklärte Jonas gleichmütig, »sonst würde der Rasenplatz ja niemals rechten Schatten kriegen. Und der ist das Beste vom Sommer. Denn grade hier am Springbrunnen unter den Obstbäumen liegt meine Mutter im Ruhestuhl. Und sie kann die viele Sonne nicht vertragen.«
Ruth sah ihn mit Interesse an. Es kam ihr als etwas Besondres vor, daß er sich seiner kranken Mutter wegen über die Bäume und den Schatten freute und die grünen Blätter besser fand als all die wunderschönen weißen Blüten. Die Schulmädchen, die sie kannte, besaßen zwar meistenteils auch Mütter, aber die pflegten gesund zu sein, und nie hatte sie gehört, daß sie sich deren wegen auf den Sommer freuten, sondern immer nur wegen der Ferien. Und dann waren es Mädchen. Dies hier aber war ein Junge.
Sie betrachtete Jonas genauer, und er gefiel ihr sehr gut. Und auch er sah jeden Augenblick zu ihr hinüber, und auch sie gefiel ihm über die Maßen.
»Ist sie sehr krank?« fragte sie nach einer Weile zaghaft.
»Nicht sehr. Sie kann nur nicht aufstehn, – schon viele Jahre nicht,« belehrte er sie; »wenn sie das tun will, dann nimmt Papa sie in die Arme und trägt sie. Das kann er so prachtvoll. Manchmal hat sie auch Schmerzen, und weint. Und dann muß Papa immer bei ihr sein, und das hilft ihr.«
Ruth wandte unwillkürlich den Kopf dem Hause zu, wo die kranke Frau lag und wo er war, der sie trug und ihr half, wenn sie Schmerzen hatte.
»Hinter diesem Fenster,« sagte Jonas und wies mit der Hand über die Terrasse nach dem Wohnzimmer; »da ist eben ihr Stuhl der Sonne wegen hereingetragen worden.«
Aber im breiten Rahmen des geöffneten Fensters war nur Eriks Gestalt zu sehen, der ihnen den Rücken zukehrte. Und nun wandte er sich langsam um.
Ruth löste sich ein wenig hastig von dem Stamm, woran sie lehnte. »Jetzt will ich hineingehn,« sagte sie.
Nach dem Erik von der Straßenseite her Ruth in den Garten hatte treten sehen, war er wirklich an das Fenster des Wohnzimmers gegangen und hatte von Zeit zu Zeit nach der Obstbaumgruppe hinübergeblickt, wo sie mit Jonas stand und plauderte.
Klare-Bel lag neben dem Fenster, mit einer mühsamen und kunstvollen Handarbeit beschäftigt, die darin bestand, an einer schadhaft gewordenen Damastserviette das Muster nachzuziehen. Man nannte diese Arbeit in Holland »Mazen«. Und wer es ernst damit nahm, der wollte das »Mazen« bis auf das Ausbessern der Strümpfe und Unterjacken erstreckt wissen.
»Kommt Ruth noch immer nicht herein?« fragte sie nach einer langen Pause.
Er zog die Uhr.
»Nein. Noch fehlen einige Minuten an der Zeit,« bemerkte er einsilbig.
»Das ist doch eigentlich kein Grund, nicht hereinzukommen, wenn sie einmal da ist. Aber vielleicht steht sie viel lieber im Garten und plaudert mit Jonas, als daß sie im Zimmer sitzt und lernt, Erik. Das ist am Ende auch ganz natürlich.«
Er schwieg und blickte mit einem Ausdruck von Ungeduld auf ihre Handarbeit nieder. Er konnte das »Mazen« nicht leiden und behauptete, es verdürbe die Augen, und sogar den Charakter.
»Bitte, hör jetzt einen Augenblick mit dem Sticheln auf,« sagte er und nahm ihr einfach die Nadel aus der Hand, »ich weiß nicht, – das Zeug macht nervös.«
Dann sah er aber doch wie der auf die Uhr.
Ihm war die Ahnung gekommen, daß es doch nicht so ganz von selbst gelingen werde, bestimmende Macht über Ruth zu gewinnen, wie er sich's an jenem wundersamen Maiabend gedacht hatte. Sie wollte durch keine unerwartete oder unerwünschte Bewegung von seiner Seite in ihrem selbständigen Traumleben gestört werden, und erhob sie ihn auch zum Helden ihrer »allerschönsten Märchengeschichte«, so mußte er sich dabei doch ganz still verhalten und auf alle ihre Intentionen eingehn, – sonst entglitt sie ihm leise wieder, so leise und traumhaft, wie sie in sein Leben gekommen war.
Das durfte nicht sein; der Erzieher in ihm litt es nicht, daß ihm mißlinge, was er sich mit Ruth vorgenommen hatte. Er wußte: er würde nicht eher ruhen, als bis er ihren Willen ganz in der Hand hielte. Aber welch eine zarte Hand wollte er dann für sie haben!
Neben diesen pädagogischen Erwägungen erfüllte ihn eine ungeduldige Freude. Freude über den Kampf, der ihm mit Ruth bevorstand. Erik, der andre weit besser zu erforschen verstand als sich selbst, ahnte gar nicht, wie stark sich unter dem Deckmantel des Pädagogen ein jugendliches, herrschsüchtiges Verlangen in ihm regte.
Er wandte sich dem Garten zu.
»Jetzt kommt sie!« sagte er, und wirklich, es klang wie ein Seufzer der Erleichterung.
Seine Frau unter drückte ein Lächeln und nahm ihre Arbeit wieder auf. »Nun, viel Erfolg, Erik! Vergiß nur nicht, daß wir um neun Uhr den Tee nehmen. Du wirst sie hungrig und durstig machen, denk' ich mir.«
Er war über den Flur in seine Arbeitstube gegangen und öffnete schon von innen die Tür, als Ruth kam und anklopfen wollte.
»Endlich!« bemerkte er, während sie eintrat, »weißt du, Ruth, was meine Frau soeben meinte? Sie meinte, du seiest gewiß viel lieber mit Jonas draußen im Garten als bei mir hier in der Stube. Was sagst du dazu?«
Sie blickte ihn unsicher an und setzte sich auf seinen Wink in den Ledersessel, der am Fenster stand. Dann erwiderte sie mit niedergeschlagenen Augen: »Ich bin doch gekommen, weil ich wollte, – nur weil ich's wollte. Daß Jonas auch hier ist, wußt' ich doch gar nicht. Das ist ja nur Zufall. Den fand ich hier.«
Er wußte nicht gleich, was ihn an der Antwort, die keine war, überraschte. Sie betonte ausschließlich, daß sie ganz aus freien Stücken hier sei. Auf einen Vergleich ließ sie sich vorsichtshalber gar nicht ein.
»Wenn es in der Folge nur nicht umgekehrt kommt, mein liebes Kind,« sagte er, indem er an seinen Schreibtisch trat und einige Hefte und Bücher zurecht legte, »denn mit Jonas plaudern oder im Garten umhergehn wirst du ja in der Folge nur, wenn du ›willst‹,