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Man wird förmlich mit hineingerissen.«
»Ja, das ist nichts mehr für dich, meine Arme,« sagte Erik, »es gab aber Zeiten, wo du solche Gewitterstürme und dazu das Brüllen des Meeres aushalten mußtest, ohne daß ich bei dir war.«
»Das war auch entsetzlich, Erik, ganz entsetzlich war es,« versicherte sie zusammenschaudernd, »damals, als du mit Leuten hinausfuhrst, wenn ein Schiff in Gefahr war. Und das eine Mal, weißt du, wo du es ganz allein warst, der den Niels und die andern dazu beredete. Denn die hatten ja auch Frau und Kind. Aber das hast du immer so gut gekonnt: die Leute bereden. ›Es wird gehn!‹ sagtest du zu ihnen, und da glaubten sie dir.«
»Du glaubtest mir ja auch, Bel, wenn du allein zurückbleiben mußtest, und wenn es dir schien, als ginge das nicht.«
»Ja, Erik. Manchmal dachte ich, der Schreck würde mich töten. Aber dann sagtest du so zuversichtlich: ›Wenn ich nach Hause komme, naß und müde, Bel, dann muß ich da doch meine Frau finden und den kleinen Jungen, und beide vergnügt und gesund.‹ Nun, und da mußte es wohl so sein.«
Er schwieg. Vor seinem Blick stand eine Sturmnacht, wo er, aus wirklicher Lebensgefahr heimkehrend, seine Frau gefunden hatte, wie sie, das Kind neben sich, mitten in der kleinen Stube auf den Knien lag und laut betete.
Einen Augenblick lang war er fast bestürzt auf der Schwelle stehn geblieben, denn noch nie hatte er sie beten sehen. Als sie heirateten, waren ihm unter ihren Sachen ein paar Andachtsbücher in die Hände gefallen, und wie sie ihn darin blättern sah, fragte sie ihn:
»Glaubst du an das, was darin steht?« Er hatte mit ernsten Augen aufgeblickt und geantwortet: »Nein, Bel.« Seitdem war dieser Gegenstand nur noch ein einziges Mal, nach Jahren, im Gespräche wieder berührt worden, und da war es ihm mit innerm Staunen aufgegangen, daß seine Frau, ohne es auch nur selbst recht zu merken, ihren Glauben gar nicht mehr besaß. Auf seine Frage, wie denn das geschehen sei, hatte sie mit ihrem freundlichen Gleichmut verwundert erwidert: »Ja, Erik, wenn es doch gar nicht so ist, – was kann es dann noch nützen, daran zu glauben?«
Und als er nun in jener Sturmnacht in seinen hohen Schifferstiefeln und seinem nassen Wollwams hereintrat, da hörte sie auf zu beten und streckte ihm mit einem Freudenschrei beide Arme entgegen. Er hob sie von den Knien auf und küßte sie. »Tust du das, Bel, wenn ich nicht bei dir bin?« fragte er sie leise.
»Wenn du nicht bei mir bist, Erik!« sagte sie weinend, »denn dann, scheint mir immer, muß ich es tun!«
Damals trug sie sich mit dem zweiten Kinde. Kurz darauf tat sie den gefährlichen Sturz, der ihr die Gesundheit kostete, und das Kindchen wurde tot geboren.
Als Gonne mit einer brennenden Lampe herein am, fuhr Erik aus seinen Gedanken auf.
»Ich möchte jetzt zu mir hinübergehn,« bemerkte er und küßte seine Frau auf die Stirn, »ich habe noch Schularbeiten für morgen. Sobald du müde bist, mußt du mich rufen lassen.«
Bei Erik im Zimmer war es schon fast dunkel. Nur von ein paar rosenroten Wölkchen, die sich von der großen Wolkenmasse losgewunden hatten und nun mit heiterm Leuchten selbständig auf einem breiten Stück Himmelsblau umherschwammen, fiel ein schwacher Schein durch die Fenster. Man konnte in ihm den Schreibtisch, den Bücherschrank, das alte lederbezogene Sofa an der Längswand ziemlich deutlich erkennen.
Erik stutzte und blieb auf der Schwelle stehn.
Er hatte einen Augenblick klar zu sehen geglaubt, daß auf dem Ledersessel am Fenster Ruth säße. An Halluzinationen konnte er doch nicht leiden.
Mit einem Gefühl des Ärgers über sich selbst schloß er hin er sich die Tür und ergriff von einem Nebentisch einen Leuchter, um Licht zu machen.
Da fuhr er zusammen und setzte den Leuchter wieder hin. Auf dem Sessel saß wirklich jemand. »Ich bin es!« sagte eine klägliche Stimme. »Ruth!« rief er laut.
Sie war es. Durchnäßt bis auf die Haut, in Kleidern, von denen das Wasser schwer auf den Fußboden herabtropfte und die an einer Seite zerrissen niederhingen. Ihre Zähne schlugen hörbar aneinander.
Erik hatte sie in seine Arme gerissen und betastete sie besorgt und erregt mit liebkosenden Händen, – Brust und Arme und das verworrene Haar, das so eng und feucht um ihr kaltes Gesichtchen klebte.
»Wann – wann, – von wo bist du gekommen? Warst du denn nicht zu Hause?«
»Ich war nicht zu Hause,« sagte sie zaghaft und schmiegte sich frostbebend an ihn; »ich bin vom Stadtbahnhof wieder zurückgefahren. Und hergelaufen. Grade als es losging. Ich will nicht nach Hause,« fügte sie flehend hinzu, »mich friert so!«
»Mein Liebling, du sollst nicht nach Hause! Du sollst hier bleiben! Aber wie lange mußt du hier schon sitzen? Wie konntest du das nur tun? Und es hat dich doch niemand an der Tür auf der Terrasse läuten hören?«
»Ich habe nicht geläutet. Ich schämte mich. Ich bin hier durchs Fenster geklettert. Aber es ging schwer,« gestand sie, und Mund und Augen lachten übermütig zu ihm auf.
»Und dann? Wenn ich nun gar nicht mehr hier hereingekommen wäre?«
»Dann hätt' ich die ganze Nacht hier sitzen müssen!« erklärte sie schaudernd und rieb den Kopf an seinem Arm wie eine naß gewordene Katze. Und dann sagte sie ganz leise: »Denn vor den andern konnt' ich's nicht sagen. Und doch mußt' ich's sagen. Deshalb kam ich ja zurück! Ich mußte sage: Ich will alles tun, was ich soll.«
Eine Viertelstunde später war Jonas nach dem Bahnhof unterwegs, um ein Telegramm an Ruths Onkel aufzugeben, daß sie draußen übernachten müsse. Ruth selbst wurde wohl verpackt in Jonas' Bett gelegt, das Gonne eilig für sie hergerichtet hatte. Dann bekam sie heißen Tee zu trinken und fiel in einen unruhigen Schlummer.
Jonas fühlte sich sehr stolz, als er bei seiner Rückkehr hörte, daß er Ruth das wichtigste Möbel, das der Mensch besitzt, sein Bett, abgetreten habe. Und voll Begeisterung streckte er sich an diesem Abend in Eriks Arbeitsstube auf dem alten Lederdiwan aus, dessen Polsterwerk an Härte und unbegreiflichen Beulen nichts zu wünschen übrig ließ. Auch war Jonas zu aufgeregt, um bald einzuschlafen, und alle Augenblicke guckte er durch die Türritze, und fragte, was denn Ruth jetzt wohl